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Veröffentlichungen - Dr. Beate Richter


Relationale Bildung für Europa.
Vorschlag zu einem bildungswissenschaftlichen Forschungsprogramm

Beate Richter (Gedanken zum Auftakt der Round-Table-Gespräche im September 2016)

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Als überforderndes, sogar bedrohliches Kennzeichen unserer Zeit wird oft die Komplexität in gesellschaftlichen oder von technischen Systemen aufgerufen. Wir sagen damit, dass uns die Komplexität überfordert, da wir das System nicht in Gänze erfassen, sein Verhalten nicht vorhersehen, nicht vorhersagen können. Pragmatisch [1] gedacht, heißt das, dass wir angesichts einer komplexen Situation nicht wissen, wie wir reagieren bzw. handeln sollen. In solchen Situationen ist die menschliche Bedeutungsbildung – mit einer passenden Handlung auf eine vorausgehende Handlung oder Situation zu reagieren –, die ein verstehendes Kommunizieren erlaubt, empfindlich gestört [2].
Für Kinder sind solche Störungen alltäglich. Sie reagieren auf eine Handlung oder Situation und müssen oft feststellen, dass sie falsch liegen. Sie verstehen nicht, d. h. sie wissen nicht, wie man auf eine bestimmte Handlung reagiert und sind zuweilen damit überfordert. Aber sie finden schnell eine Person, die ihnen hilft, die ihnen zeigt, wie man richtig reagiert, oder eine Maschine, von der sie lernen können, richtig zu reagieren. Der Staatschef, der auf einen Terroranschlag in seiner Hauptstadt reagieren muss, steht wie das Kind vor einer komplexen und neuartigen Situation, in der er sich für eine richtige Reaktion entscheiden muss. Nur kann er keine höhere Instanz fragen, keiner kann ihm sagen, was eine richtige und was eine falsche Handlung ist, da es diese Situation noch nie gegeben hat. Wie diesen politischen oder unternehmerischen Entscheidungsträgern geht es auch Wissenschaftlern. Sie sehen sich Phänomenen gegenüber, die keiner vor ihnen bisher gesehen oder bearbeitet hat. Diese Phänomene erscheinen neu, komplex, unerklärlich, d. h. wir wissen nicht, wie wir mit ihnen umgehen sollen.
Am beschriebenen Phänomen der menschlichen Ratlosigkeit, dem Nicht-Wissen, wie zu handeln ist, macht sich aus der Sicht des Pädagogen das grundsätzliche pädagogische Problem fest: Uns fehlen immer wieder gute Strategien, um dem ratlosen Menschen nachhaltige, vielleicht auch effektive Wege zu einem sicheren, d. h. passenden Handeln in einer Gemeinschaft aufzuzeigen. Zu allen Zeiten besteht der pädagogische Impuls, den Menschen in seiner Entwicklung zu unterstützen, indem man ihm richtige Handlungsweisen vorgibt. Diese Vorgaben beginnen im Kindergarten und enden in der Berufsausbildung oder der Universität. Abschließender Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit müsste sein, den Menschen zu befähigen, mit dem Neuen, dem Unbestimmten selbstständig umgehen zu können. Am Ende des Wissens, des Bekannten, des Bestimmten angelangt, brauchen Wissenschaftler und Entscheidungsträger Methoden, um angesichts des Unklaren, Unbestimmten, des Neuen in ein eigenständiges bedeutungsbildendes Handeln zu kommen. Man kann sagen, der Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit ist die Abschaffung des Pädagogen.
Die praktische Pädagogik benötigt also zu allen Zeiten effektive, zeitgemäße und nachhaltige Strategien, um Menschen jeden Alters darin zu unterstützen, über Interaktionen einen funktionalen eigenen Weg der Bedeutungsbildung zu entwickeln, der bis zur völlig autarken Selbstbildung führen kann. Diese Entwicklung hin zu einem handlungsfähigen Menschen wird seit Wilhelm von Humboldt im deutschen Sprachraum mit dem Wort Bildung belegt. Hierbei wird der Prozess des Sich-Bildens als ein Selbst-Werden, ein Sich-Entwickeln der Person in Lernprozessen oft mit dem Prozess des Ausbildens, Be-Lehrens, Erziehens verwechselt. Der Bildungsprozess kommt aber nur der Person selbst zu. Pädagogen müssen daran glauben, dass ihre Tätigkeit eine bildende Wirkung hat, neben oder über jene Interaktionen hinaus, die jeder Mensch im alltäglichen Handeln erlebt. Die bewusste und gesteuerte Unterstützung durch Pädagogen nimmt aber wahrscheinlich nur einen sehr kleinen Bereich der bildenden Interaktionen ein. Somit sprechen Überlegungen zur Thematik Bildung alle Personen an, die Menschen in ihrem Werden, ihrer Entwicklung begleiten: Eltern, Verwandte, Erzieher, Lehrer, Hochschuldozenten, Trainer, Berater, Coaches, Therapeuten etc.
Gängige Meinung ist nun: Wer wissen möchte, wie der Bildungsprozess eines Menschen vom Kind bis hin zum selbstständigen Entwickler neuer Bedeutungen unterstützt bzw. gefördert werden kann, der sollte Klarheit darin haben, was diesen Bildungsprozess ausmacht. Pädagogen haben bis heute keine Einigkeit erreicht, was sie unter Bildung verstehen. Erst auf der Basis eines zeitgemäßen Bildungsverständnisses könnten Strategien für die entscheidenden pädagogischen Wirkungsbereiche entwickelt werden: die frühkindliche Bildung, die Bildung von Kindern und Jugendlichen und die Bildung von Erwachsenen.
Gründe für diese Art der Suche nach einem strategisch nutzbaren Bildungsverständnis hat es immer gegeben. Zu Recht trifft hier der Vorwurf, nichts Neues zu suchen. Der Hauptgrund für den Ausbruch "zurück zu Humboldts Bildung" liegt in der Wahrnehmung eines Rückschritts in den pädagogischen Institutionen in Europa. Bildung wird wieder reduziert auf Ausbildung, auf Schulung in der Anpassungsfähigkeit junger, aber auch älterer Menschen an zumeist ökonomische Systemanforderungen. Evaluationen wie PISA, Reformen der Hochschulbildung wie im Bologna-Prozess führen zu pädagogischen Strategien, die nur in Maßen auf die Herausforderungen unserer gesellschaftlichen Entwicklungen vorbereiten und kaum Beiträge leisten, die Handlungsfähigkeit der Menschen hin zu einer Selbststeuerung in komplexen bzw. unbestimmten Situationen zu fördern.
Mit einer theoretischen Fundierung bzw. Operationalisierung von Bildung könnten die Stellschrauben für pädagogisches Handeln in Institutionen der europäischen Bildungssysteme bestimmt werden. Weniger eine vorschnelle Konkretisierung dieser Fundierung in Form weiterer Reformen soll die Perspektive dieses Forschungsprogramms sein, sondern eine grundsätzliche Diskussion um ein zeitgemäßes Verständnis von Bildung. Letztlich ist zu prüfen, ob das Konzept Bildung eine Basis für eine zeitgemäße Entwicklung von Bildungsinstitutionen und -systemen in Europa sein kann. Ein weiterer großer Schritt würde dann sein, spezifische und übergreifende pädagogische Strategien zu entwerfen. Um passende pädagogische Strategien zu entwerfen, die eine Optimierung von individuellen Bildungsprozessen bis hin zur Befähigung von Selbstbildungsprozessen ermöglichen, ist ein fundiertes Wissen um die Struktur von Bildungsprozessen nötig und damit ein Wissen um das, was Bildung fördert bzw. hemmt.
In Deutschland nimmt der Bildungsdiskurs seinen Ausgangspunkt bei Wilhelm von Humboldt. Im Rahmen der "Bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung" wird seit Mitte der 1980er Jahre in der Linie von Rainer Kokemohr, Hans-Christoph Koller und Winfried Marotzki der Schwerpunkt auf eine Verbindung von traditionell theoretischer Bildungsphilosophie und aktuell hofierter empirischer Bildungsforschung über das Konzept der Biographie gelegt. Seit nunmehr 30 Jahren ist das erklärte Ziel, den transformatorischen Bildungsbegriff in der Humboldtschen Tradition zu präzisieren. Als Basis wird folgender Bildungsbegriff gewählt: Bildung ist ein Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person aus Anlass von Krisenerfahrungen, welche die bestehenden Figuren in Frage stellen [3]. Trotz intensiver Forschungstätigkeit kommen diese Studien nicht zu einer zufriedenstellenden Operationalisierung des Bildungsbegriffes.
Beate Richter attestiert 2014 dieser dem Interpretativen Paradigma verpflichteten Forschungstradition, sich in einer methodologischen Sackgasse eingerichtet zu haben. Als Weg aus dieser schlägt sie den Übergang zu einer relationalen pragmatischen Methodologie vor, die sich in den Sozialwissenschaften international bereits langsam etabliert (siehe u. a. Kivinen/Piiroinen, 2006; Fuhse/Mützel 2010). Grundsätzlich geht es hierbei um eine Lösung von repräsentationalen bzw. substantiellen Methodologien, die eine Trennung von Ontologie und Epistemologie vornehmen, was schwerwiegende Trennungen nach sich zieht und zu Dichotomien wie etwa von Theorie und Empirie führt. Eine relationale Perspektive wird aktuell als pragmatische Methodologie gedacht, welche die Bedeutungsbildung in der Interaktion verortet, nach dem Wie des Prozesses der Bedeutungsbildung fragt und nicht nach dem Warum, das die genannten Dichotomien erzeugt (Kivinen/Piiroinen, 2006).
Eine erste Arbeit, die im relationalen Paradigma eine Vorstufe zu einer Operationalisierung wagt, liegt mit der Dissertation "Bildung relational denken" von Beate Richter (2014) vor. Diese als Exploration zu verstehende Arbeit wählt eine dem relationalen Denken verpflichtete Methode, die informelle Axiomatisierung in der Tradition von Wolfgang Stegmüller und Wolfgang Balzer, und arbeitet die Struktur von Bildungsprozessen heraus, indem sie die empirische Entwicklungstheorie von Robert Kegan axiomatisiert. Ergebnis ist ein "Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung", das über eine Modellierung des Bildungsprozesses eine klare Abgrenzung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen ermöglicht und einen vielversprechenden Ansatz für eine Operationalisierung des Bildungsbegriffes darstellt.

Aus diesem Stand der Forschung zum Bildungsbegriff ergeben sich nun drei Arbeitsfelder, die nach einer angemessenen Exploration zu eigenständigen Forschungszielen werden können:
1. Auf der Ebene der Methodologie ist die Perspektive des relationalen, nicht-repräsentationalen mithin pragmatischen Denkens zu sichern. Hierbei ist abweichend von realistischen Methodologien das Wie der sozialwissenschaftlichen Bedeutungsbildung zu bestimmen. Die großen Fragen sind: Welches Ziel hat eine relationale Erkenntnisgewinnung? Was sind die Alternativen zu einer Dichotomisierung von Theorie und Empirie? Wie sollten wir diese anders verstandenen ‚Theorien‘ nennen? Welche Methoden erlauben die Zielerreichung einer relationalen ‚Theorie‘-Bildung?
Diese Fragen sind entscheidend für die Begründung einer methodischen Operationalisierung des Bildungsbegriffes, sofern wir nicht zu der Einsicht kommen, dass auch diese Form überholt ist.
2. Methoden im relationalen Paradigma sind noch nicht etabliert. Der Rückfall in eine Rekonstruktion des Bildungsbegriffes im substantiellen Paradigma muss vermieden werden. Somit besteht die Aufgabe, bestehende Methoden der Theoriebildung / Begriffsdefinition oder -rekonstruktion entweder als relationale zu identifizieren oder neue relationale Methoden zu entwickeln. Die zu beantwortenden Fragen lauten: Welche Methoden können im Rahmen einer relationalen Methodologie etabliert werden, um eine bildungswissenschaftliche relationale ‚Theorie‘-Bildung zu ermöglichen? Kann die informelle Axiomatisierung (nach Stegmüller/Balzer) als funktionale Methode im relationalen Paradigma genutzt werden?
3. Akzeptiert man vorerst die informelle Axiomatisierung als eine relationale Methode, sind weitere empirische Theorien über Robert Kegans Entwicklungstheorie hinaus zu axiomatisieren, um die Struktur von Bildungsprozessen zu bestimmen. Die empirische (zumeist qualitative) Bildungsforschung stellt aktuell keine empirischen Theorien bereit, die einen Entwicklungsgrad erreicht haben, der eine Axiomatisierung sinnvoll macht. Hingegen sind einige Entwicklungstheorien der Psychologie in einem erfolgversprechenden Stadium. Robby Cases, Kurt Fischers Ansätze könnten untersucht werden, um Übereinstimmungen mit Kegans Theoriestruktur herauszuarbeiten und Begriffsfelder innerhalb dieser Struktur noch weitergehend zu bestimmen. Von besonderem Interesse sind bei dieser Vertiefung der Struktur die Anlässe von Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse und der Transformationsprozess selbst.

[1] Ich beziehe mich hier auf die pragmatistische Maxime von Charles Sanders Peirce: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce, 1973, S. 6) (CP 5.18).
[2] Ich vermute, dass der Begriff der Komplexität je nach Zeitgeschehen austauschbar ist. Begriffe wie Risiko, Informationsflut, Orientierungsverlust waren in deutschen Diskursen um gesellschaftliche Veränderungen zur Jahrtausendwende sehr beliebt. Auch das Wort Krise scheint aktuell ein Marker zu sein, der anzeigt, dass wir nicht wissen, wie wir handeln sollen.
[3] Zu finden sind diese Formulierungen in den verschiedenen Schriften von Kokemohr, Koller, Marotzki und den auf ihren Schriften aufbauenden Dissertationen (siehe Richter 2014).


Berlin, September 2016

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Literatur
Balzer, Wolfgang (1982): Empirische Theorien: Modelle - Strukturen - Beispiele, Braunschweig/Wiesbaden 1982.
Balzer, Wolfgang (1997): Die Wissenschaft und ihre Methoden. Grundsätze der Wissenschaftstheorie, Freiburg/München 1997.
Case, Robbie (1999): Die geistige Entwicklung des Menschen. Von der Geburt bis zum Erwachsenenalter, Heidelberg.
Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
Drechsel, Paul (2010): Von Grassmanns Ausdehnungslehre zur Geometrischen Algebra und Logik, Vortrag im Ernst Schröder Zentrum der TU Darmstadt, 29. Januar 2010, Online: http://www.drechselscience.de/Vortrag%20TU-Darmstadt-29-01-10.pdf, Zugriff am: 11.6.2012. Drechsel, Paul (2013): Relationskonzept, Online: http://www.drechsel-science2.de/relationskonzept/, Zugriff am: 8.4.2013.
Drechsel, Paul (o. J.): Logik der Arbeitsverteilung und Arbeitsverbindung, Kapitel 2 des Manuskripts, Online: www.drechsel-science.de/Globalisierungs-Vortrag/Buch-Kapitel-2.pdf, Zugriff am: 18.4.2012.
Drechsel, Paul; Schmidt, Bettina; Gölz, Bernhard (2000): Kultur im Zeitalter der Globalisierung: von Identität zu Differenzen, Frankfurt/M. 2000.
Fischer, Kurt; Bidell, Thomas (2006): Dynamic Development of Action and Thought, Online: http://www.gse.harvard.edu/~ddl/articlesCopy/FischerBidell ProofsCorrected.0706.pdf
Fuhse, Jan; Mützel, Sophie (Hrsg.) (2010): Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung, Wiesbaden.
Kegan, Robert (1982): The Evolving Self. Problem and Process in Human Development, Cambridge (Mass.)/London 1982 (E-Book).
Kegan, Robert (1986): Entwicklungsstufen des Selbst. Fortschritte und Krisen im menschlichen Leben, München 1986.
Kegan, Robert (1994): In Over Our Heads. The Mental Demands of Modern Life, Cambridge (Mass.)/London 1994.
Kokemohr, Rainer (1992): Zur Bildungsfunktion rhetorischer Figuren. Sprachgebrauch und Verstehen als didaktisches Problem. In: Entrich, Hartmut; Staeck, Lothar [Hrsg.]: Sprache und Verstehen im Biologieunterricht, Alsbach, S. 16-30.
Kokemohr, Rainer (1994): "C’est la crise". Zur Funktionsweise alltagsrhetorischer Weltdeutungen. In: Sabban, Annette; Schmitt, Christian [Hrsg.]: Sprachlicher Alltag. Linguistik – Rhetorik – Literaturwissenschaft, Tübingen, S. 227-244.
Kokemohr, Rainer (2004): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Fremden. Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie, (unveröffentlichtes Manuskript).
Kokemohr, Rainer (2007): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Anspruch des Fremden. Eine theoretischempirische Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie. In: Koller, Hans-Christoph; Marotzki, Winfried; Sanders, Olaf [Hrsg.]: Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrungen. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Bielefeld 2007, S. 13-68.
Koller, Hans-Christoph (1999): Bildung und Widerstreit. Zur Struktur biographischer Bildungsprozesse in der (Post-)Moderne, München 1999.
Koller, Hans-Christoph (2000): Bildung in der (Post-)Moderne. Bildungstheoretische Überlegungen im Anschluss an Lyotards Philosophie des Widerstreits. In: Pedagogisch Tijdschrift, (2000)3/4, S. 293-317.
Koller, Hans-Christoph (2002): Bildung und kulturelle Differenz. Zur Erforschung biographischer Bildungsprozesse von MigrantInnen. In: Kraul, Margret; Marotzki, Winfried [Hrsg.]: Biographische Arbeit, Opladen 2002, S. 92-116.
Koller, Hans-Christoph (2004): Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft, Stuttgart 2004.
Koller, Hans-Christoph (2012a): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Stuttgart 2012.
Koller, Hans-Christoph (2012b): Anders werden. Zur Erforschung transformatorischer Bildungsprozesse. In: Miethe, Ingrid; Müller, Hans-Rüdiger [Hrsg.]: Qualitative Bildungsforschung und Bildungstheorie, Opladen/Berlin/Toronto 2012, S. 19-33.
Koller, Hans-Christoph; Marotzki, Winfried; Sanders, Olaf [Hrsg.] (2007): Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrungen. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Bielefeld 2007.
Leisegang, Dieter (1969): Die drei Potenzen der Relation. Frankfurt 1969.
Marotzki, Winfried (1990): Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie. Biographietheoretische Auslegung von Bildungsprozessen in hochkomplexen Gesellschaften, Weinheim 1990.
Marotzki, Winfried; Nohl, Arnd-Michael; Ortlepp, Wolfgang (2006): Bildung. In: Einführung in die Erziehungswissenschaft. Wiesbaden 2006, S. 165-172.
Osmo Kivinen, Tero Piiroinen (2006a): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy, Philosophy of the Social Sciences, 36 (2006) 3, 303-329.
Richter, Beate (2014): Bildung relational denken. Eine strukturtheoretische Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs anhand von Robert Kegans Entwicklungstheorie, Dissertation an der HumboldtUniversität zu Berlin.
Stegmüller, Wolfgang (1980a): Ein kombinierter Zugang zum Verständnis der Theoriendynamik. Wie sich historische Interpretationen des Theorienwandels durch Benützung mengentheoretischer Strukturen präzisieren lassen. In: Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980, S. 136-174.
Stegmüller, Wolfgang (1980b): Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980.
Stegmüller, Wolfgang (1986a): Rationale Rekonstruktion von Wissenschaft und ihrem Wandel, Stuttgart 1986.

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Alles ist relationale Zeichenbildung! Kommunikation als interaktiver Bedeutungsbildungsprozess Ein Versuch, Relationslogik (nach Paul Drechsel & Dieter Leisegang) und Semiotik (nach Charles S. Peirce) zu verbinden.

Beate Richter (9/2015)

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Die Frage, die über diesem Versuch steht und hier nicht abschließend beantwortet werden kann, lautet: Wie entstehen in interaktiven Kommunikationsprozessen Bedeutungen? Mit dieser Frage wird die Suche nach einer relationalen Methodologie verfolgt, wie sie Kivinen und Piiroinen (2006) unter der Bezeichnung pragmatischer Relationalismus fordern [1].
Paul Drechsel behauptet in einer langen, wenig beachteten Tradition: "Alles ist Relation!" [2] (Drechsel 2009). Charles Sanders Peirce eröffnet mit seiner Behauptung "Alles ist Zeichen!" im späten 19. Jahrhundert die neue Tradition der Semiotik. In einer Zeit, in der die Rede vom relationalen Paradigma und relationalen Netzwerken Mode geworden ist, möchte ich diese beiden fundamentalen Ansätze miteinander ins Gespräch bringen, um dem so genannten relationalen Denken eine strukturtheoretische Basis zu geben. Kommunikation wird hierbei als Prozess der Bedeutungsbildung verstanden und als Akt der Zeichenrelationierung interpretiert.
Ziel dieses Textes ist es, auf die Möglichkeiten der Verbindung dieser beiden Ansätze hinzuweisen und sie in ihren sich gegenseitig ergänzenden Kernen darzustellen. Die Zusammenführung in eine gemeinsame Struktur des Bedeutungsbildungsprozesses, in einem Modell der evolutionären Bedeutungsbildung bleibt hier jedoch noch offen.

Paul Drechsel: "Alles ist Relation!"

Wenn Kivinen und Piiroinen (2006) von John Dewey die Idee aufnehmen, dass die Relation, welche die Bedeutungen erst schafft, zum zentralen Untersuchungsgegenstand eines Methodologen werden sollte, so versäumen sie doch zu bestimmen, was sie unter einer Relation verstehen. Eine philosophische Denktradition, die die Relation in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, pflegen die Relationslogiker. Wenig beachtet, bezieht sich Paul Drechsel in seinen zahlreichen Veröffentlichungen zur Relationslogik auf Dieter Leisegang (1969), der nach langer Unterbrechung der philosophischen Diskussion die Relationslogik in den 1960er Jahren in Erinnerung bringt. Drechsels iterative Erweiterung (2000 bis 2010) dieser Relationslogik wird von Beate Richter (2014) aufgenommen und im Rahmen einer entwicklungstheoretischen Axiomatisierung formal präzisiert. Letztere ist Hauptgegenstand des aktuellen, oben genannten Forschungsprojektes der Modellierung von Bedeutungsbildung.
Neben der traditionellen Relationslogik der funktionenlogischen Mathematik [b = R(a)] gibt es eine philosophische Sichtweise der Relation, welche die Relation a r b als ein antinomisches Produkt von Innen und Außen betrachtet (Drechsel 2009). "Zum einen verbindet die Relation ‚R’ die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet somit ihr ‚Innen‘, ‚Einen‘ oder ‚Identität‘, zum anderen trennt sie zugleich die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet ihr ‚Außen‘, ‚Trennen‘ oder ‚Differenz‘" (Drechsel et al. 2000: 40). Diese Momente des Verbindens und Trennens schließen sich wechselseitig ein und aus und führen in eine "fundamentale Widersprüchlichkeit", die im Verlauf der europäischen Denkgeschichte auf drei verschiedene Weisen gelöst worden ist (Drechsel et al. 2000: 40).
Diese von Dieter Leisegang (1969) als Relationen erster, zweiter und dritter Potenz bezeichneten Lösungen können folgendermaßen interpretiert werden: Die Relation erster Potenz stellt sich als absolute Trennung von Zeichen dar, die damit in einer Außenbeziehung stehen. Die Verbindung von Zeichen ist hingegen die reine Innenbeziehung. Beide Momente – das Trennen und das Verbinden – sind Erscheinungsformen der vollständigen Relation R, aber nur unabhängig voneinander denkbar. Die Relation dritter Potenz erscheint als Vollzug des Relationierens (Richter 2014: 53) und ist nach Drechsel die Kombination der ersten und zweiten Potenz der Relation: "Die Relation dritter Potenz operiert in untrennbarer Parallelität von ‚Innen‘ und ‚Außen‘, ihre Momente operieren in einem paradoxen Doppelspiel. Fixiert man das Innen, operiert das Außen, fixiert man das Außen, operiert das Innen" (Drechsel et al. 2000: 65).
Diese Denkweisen der ersten, zweiten und dritten Potenz der Relation lassen sich in Peirce Schlussregeln der Deduktion, der Induktion und der Abduktion wiedererkennen. Während Leisegang und Drechsel die Relation fokussieren und eine allgemeine Bestimmung der Relata überspringen, fokussiert Peirce das Zeichen und lässt die Relation als solche außer Acht. Die Zusammenführung beider Ansätze kann zu einer Präzisierung der Idee einer relationalen Bedeutungsbildung führen. Bevor jedoch dieser Zusammenhang hergestellt wird, soll hier zunächst Peirce Zeichenbegriff in eigener Interpretation zusammengestellt werden.

Charles Sanders Peirce: "Alles ist Zeichen!"

Wohlbekannt und aus den Collected Papers (CP) des Charles Sanders Peirce [3] vielzitiert, sind seine pragmatistische Maxime bzw. das pragmatische Prinzip [4], die Schlussregel der Abduktion und die Definition des Zeichens. Obwohl Peirce die Frage des Pragmatismus mit der Frage der Logik der Abduktion gleichsetzt [5], finden sich keine Untersuchungen, die diese Deckungsgleichheit aufnehmen. Hinzu kommt, dass die Bildung trirelationaler Zeichen auch von Peirce selbst nicht im Zusammenhang mit seinen Schlussregeln diskutiert wird. Im Folgenden wird daher der Versuch gewagt, zunächst die pragmatistische Maxime konsequent auf die triadische Struktur des Zeichens zu beziehen, und damit eine neue Deutung der Peirceschen Zeichendefinition vorgeschlagen. Anschließend wird diese Zeichendefinition unter Verwendung von Leisegangs und Drechsels Interpretation der Relation mit den Denkweisen der Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion verbunden. Damit gelingt es, das Zeichen konsequent dreiwertig und relational zu denken und so das substantielle Denken zu übersteigen.
Wer mit Peirce‘ Verständnis von Semiose arbeiten möchte, muss bezüglich des Zeichen-Begriffes radikal umdenken. Ein Zeichen ist logisch nicht zweiwertig – wie in zahlreichen Zeichentheorien des 20. Jahrhunderts [6] –, sondern dreiwertig zu denken. Nicht nur Zeichen und Bezeichnetes, sondern Repräsentamen, Objekt und Interpretant bestimmen nach Peirce die dreiwertige Zeichen-Struktur. Darüber hinaus ist ein Abschied von der bisherigen Denkweise von Repräsentation nötig. In vielen Auseinandersetzungen mit Peirce‘ Ansatz wird die Rede von Objekt und Repräsentamen unangemessen übersetzt in ein Verhältnis des realen Objekts zum zeichenhaften Abbild und der Interpretant wird fälschlicherweise als ein Interpret aufgefasst, der die Vermittlung zwischen Original und Abbild übernimmt [7].
Nina Ort fordert in ihrer Reflexionslogischen Semiotik in Bezug auf Peirce‘ Zeichenbegriff den Verzicht auf die Idee der Vermittlungsfunktion, die zum Denken der zweiwertigen Logik gehört, und fordert das konsequente Denken dieser Funktion als Relationierung (Ort 2007: 195 f.). Diese Forderung wird hier mit der pragmatischen Maxime von Peirce kombiniert, um zu einem relationalen dreiwertigen Verständnis von Semiose als Prozess der Zeichenbildung zu gelangen. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist hierbei das Prozessdenken. Es geht nicht darum, die Entstehung eines materialen Zeichens im Sinne eines Wortes oder eines Verkehrszeichens zu begründen, sondern um die Bildung von Bedeutungen, die Handlungen motivieren.
Das Prinzip des Pragmatismus formuliert Peirce in seinen Harvard-Vorlesungen aus dem Jahr 1903 folgenderma- ßen: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce CP 5.18). ["Pragmatismus ist das Prinzip, daß jedes theoretische Urteil, das in einem Indikativsatz ausdrückbar ist, eine unklare Form des Denkens ist, deren einzige Bedeutung, wenn sie eine besitzt, in der Tendenz liegt, eine korrespondierende praktische Maxime zu verstärken, die als ein Konditionalsatz, dessen Nachsatz im Imperativ steht, ausdrückbar ist" (Peirce, 1973, S. 7).]
Ein Konditionalsatz hat die Form: Wenn X, dann Y. Der Nachsatz Y soll hierbei ein Imperativ sein. Wenn ich also das Zeichen X wahrnehme, dann bedeutet mir dieses, dass ich im Sinn von Y handeln sollte. Wenn die Pianistin ihr Klavierspiel beendet und dazu die Hände nach dem Abheben von den Tasten wieder senkt und langsam aufsteht, dann darf bzw. sollte das Publikum applaudieren. Das Applaudieren des Publikums wird wiederum zum Zeichen, das eine scheinbar endlose Kette von Handlungen erzeugt: Die Pianistin verbeugt sich und dankt. Auf ein bekanntes Zeichen (wenn) folgt eine gewohnte Handlung (dann).
Mit der pragmatischen Sicht auf die Zeichenbildung wird negiert, dass ein Zeichen als solches Bedeutung hat, und postuliert, dass es seine Bedeutung durch die Konsequenzen seines Gebrauchs erhält. Für Peirce heißt das: "There is no distinction of meaning so fine as to consist in anything but a possible difference of practice" (Peirce 1999: 265). Es werden keine Originale oder Objekte mit entsprechenden Symbolen oder Abbildern verknüpft, sondern Zeichen mit Zeichen, die einen Weisungscharakter für uns haben. Die Bedeutung des ersten Zeichens Z1 besteht darin, zu wissen, welche Handlung, die wiederum zu einem Zeichen Z2 wird, zu folgen hat. Die Verknüpfung von Z1 und Z2 kann als Regel betrachtet werden.
Im oben aufgeführten Prinzip des Pragmatismus lässt sich der Zeichenbegriff allerdings nur schwer erkennen. Peirce definiert das Zeichen als triadische Relation: "A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object” (Peirce CP 2.274).
Aus pragmatischer Perspektive können das Repräsentamen und das Objekt als die Zeichen Z1 und Z2 interpretiert werden. Sie erscheinen vorerst logisch in der Chronologie von Erstem und Zweitem. Oft als das Allgemeine oder das Vermittelnde interpretiert, ist das Dritte, der Interpretant, der die Relation r im Sinne der Regel "Wenn …, dann …!" zwischen den Zeichen herstellt (siehe Abbildung 1). Da die Bezeichnungen Abbild und Objekt zu häufig in Verbindung mit einer zweiwertigen Logik verwendet werden, verzichte ich darauf und nutze nur den Begriff Zeichen unter Angabe der Position 1 oder 2 bzw. w(-enn) oder d(-ann). Später wird sich zeigen, dass die Reihenfolge 1, 2, 3 der Schlussregel der Abduktion entspricht, wie in Peirce‘ Gleichsetzung von pragmatischem Prinzip und Logik der Abduktion.


Abbildung 1: Pragmatische Interpretation des trirelationalen Zeichens nach Peirce

Nimmt man nun diese Struktur als Basis, lässt sich der oben im Beispiel beschriebene Kommunikationsprozess als eine endlose Kette von Zeichenrelationen verstehen (siehe Abbildung 2). Jede Anschlusshandlung Zd (d = dann) wird in dieser Position 2 wiederum zum Zeichen Zw (w = wenn) in der Position 1 einer Folgerelation. Für ein Ego wird das Zeichen Zd1 von Alter zum Zeichen Zw2.


Abbildung 2: Kommunikationsprozess mit trirelationalen Zeichen

Ein Zeichen hat für mich eine Bedeutung, wenn ich weiß, wie ich reagieren kann oder sollte. Es ist bedeutungslos, wenn ich kein Reaktionszeichen zur Verfügung habe. Bedeutung entsteht also durch die Verknüpfung eines Zeichens mit einer Handlungsanweisung, die wiederum zu einem Zeichen für einen Interpreten wird, so dass ein interaktiver Kommunikationsprozess entsteht.

Relationale Zeichen und Relationslogik

Die oft an Peirce‘ Zeichenbegriff gestellte Frage, was denn nun das eigentliche Zeichen sei – das Zeichen in der ersten Position des Repräsentamens oder die gesamte Trirelation –, lässt sich auch hier noch nicht beantworten und zeigt zugleich ein Befangensein im substantiellen Denken. Bei genauerer Betrachtung werden die Zeichen Zw und Zd und die Wenn-dann-Relation r auch in der pragmatischen Interpretation der Triade substantiell gedacht. Die beiden Zeichen der Triade in Positionen 1 und 2 repräsentieren etwas: eine Wenn-Situation und eine DannHandlung. Die Relation repräsentiert eine Wenn-dann-Schlussregel.
Wie lässt sich dieser Rückfall in substantielles Denken mit Peirce‘ Anspruch auf einen relationalen Zeichenbegriff vereinbaren? Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Aufnahme der Ideen der oben vorgestellten Relationslogik. Beziehen wir dieses relationslogische Denken auf Peirce Zeichentriade, wird deutlich, dass das Sprechen von den Zeichen Zw und Zd den Charakter der Relation erster Potenz und das Sprechen von einer Wenn-dannRelation der Relation zweiter Potenz gleichkommt. Die Rede von diesen Teilen der Zeichentriade bringt die Semiose (den Zeichenbildungsprozess) zum Stillstand. Mit den Zeichen Zw und Zd und der Zeichenrelation r werden vorerst nur die Produkte oder Ergebnisse des Zeichenbildungsprozesses erfasst. Wir können den Prozess der Relationierung entweder nur als getrennte Zeichen denken, die wir nachträglich in eine Beziehung zueinander setzen, oder nur als die Relation, als ein Wenn-dann. Der Vollzug, die Relationierung selbst ist nicht erfassbar und kann im Schema der Leisegangschen Relationslogik der Relation dritter Potenz zugeschrieben werden. Nur letzteres kann als reines relationales Denken, als relationaler Kommunikationsprozess im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, als jener Prozess, in dem neue Bedeutungen gebildet werden. Die Fokussierungen der Relata und der Relation sind dem substantiellen Denken zuzuordnen.

Schlussregeln: Abduktion, Deduktion und Induktion

Eine wichtige Konsequenz dieser Überlegungen ist, dass der Bedeutungsbildungsprozess in drei verschiedene logische Formen aufgelöst werden kann, die wiederum mit den drei Schlussregeln von Peirce – der Abduktion, der Deduktion und der Induktion – identifiziert werden können. Der Vollzug der Relationierung als Relation dritter Potenz ist sich seiner selbst nicht bewusst und kann vorerst mit der Abduktion gleichgesetzt werden. In der Relation erster Potenz zeigt sich eine bewusste Aktivität, die die Bestandteile des Relationierungsprozesses als Zeichen identifiziert, also trennt. Diese Aktivität möchte ich - vorerst unbegründet - mit der Schlussregel der Deduktion identifizieren. Die Folge des deduktiven Schlussprozesses, in dem die Zeichen getrennt werden, bildet der induktive Schlussprozess, in dem die Relation (zweiter Potenz) selbst als ein verbindendes Moment bestimmt wird.
Die Rede von bewussten und unbewussten Aktivitäten ist hier nicht passend. Alle drei Aktivitäten erfordern Bewusstsein, nur dass der abduktive Schluss eine spontane Relationierung darstellt, die als konstruktiver Innovationsprozess bezeichnet werden muss, während man Deduktion und Induktion als Rekonstruktionsprozesse bezeichnen kann, die eine abduktiv gebildete Bedeutung festigen und übertragen. Die Relata als Zeichen und die Relation als Verbindung der Zeichen werden in Wiederholungsakten interaktiver Kommunikation als solche bestimmt. Insofern kann im Falle des abduktiven Schlusses von einem unbestimmten Konstruieren und in den Fällen der deduktiven und induktiven Schlüsse von bestimmendem Rekonstruieren gesprochen werden. Diese Schlussweisen erscheinen nicht erst hier als die originären Methodologien der Sozialwissenschaftler. Die großen Streits der Paradigmen-Vertreter sind immer mit der Präferenz einer Schlussform geführt worden. Alle drei Schlüsse sollten nach den obigen Überlegungen in eine relationale Methodologie aufgenommen werden.
Abduktion, Deduktion und Induktion können mit Blick auf Peirce Zeichendefinition konsequenter relational gedacht werden. Dazu werden hier die (mehr oder weniger) bekannten Definitionen der Schlussformen von Peirce zusammengestellt und kritisch betrachtet.
Erst in seinen späten Schriften zur Logik der Forschung (ab 1901) manifestiert sich bei Peirce der Zusammenhang der logischen Schlussformen von Abduktion, Deduktion und Induktion in dieser Abfolge als die Logik der Forschungsmethoden (CP 7.59). Ralf Müller (1999) fasst diese für jeden Forschungsprozess notwendige Abfolge treffend unter dem Begriff "Metaschlußfolgerung" "als Semiose zweiter Stufe" zusammen und bestimmt sie "als de[n] Prototyp einer Semiose überhaupt, da alle drei Stufen der ‚Schlußfolgerung‘ selbst Schlußfolgerungen sind" (Müller, 1999, S. 85). Isaac Levi (1997) und J. Jay Zeman (1986) verweisen ebenfalls auf diese logische Reihenfolge: "The broadest sketch of the process of inquiry in Peirce’s terms begins with abductive reasoning, which is the educated hypothesis-formation which proposes initial organizations of figure in the problematic field. Deduction enters in a mediating way, drawing out the consequences of the abductive hypotheses. And induction consists in the return to experience which aims at confirming or refuting those hypotheses by seeing whether the deduced consequences hold or not" (Zeman, 1986, S. 12). Hier wird der vielzitierte Zusammenhang aufgemacht, dass die Abduktion eine Hypothese entwirft, die Deduktion deren Auswirkungen/Reichweite aufzeigt und die Induktion diese Auswirkungen/Reichweite überprüft.
Betrachtet man nun Peirce Aussagen zu den einzelnen Schlussregeln ergibt sich folgendes, noch nicht vollständig konsistentes Bild:
Die Abduktion wird mit dem Prinzip des Pragmatismus gleichgesetzt: "… the question of pragmatism … is nothing else than the question of the logic of abduction” (CP 5.195). Sie kann also als die oben aufgezeigte Wenndann-Relation von Zeichen gedacht werden. Hierbei steht die Abduktion am Beginn einer jeden Ausbildung von Gewohnheiten, im Sinne (später) geprüfter Regeln. Peirce spricht von einer Erwartbarkeit (abductive expectability) in Abgrenzung zur deduktiven Notwendigkeit (deductive necessity) und induktiven Wahrscheinlichkeit (inductive probability) (CP 5.193). Scheinbar im Widerspruch zu dieser Begriffswahl steht seiner Charakterisierung des abduktiven Schlusses: "The abductive suggestion comes to us like a flash. It is an act of insight, although of extremely fallible insight. It is true that the different elements of the hypothesis were in our minds before; but it is the idea of putting together what we had never before dreamed of putting together which flashes the new suggestion before our contemplation" (CP 5.181).
Versteht man den Prozess des abduktiven Schlusses als eine Wenn-dann-Hypothese, die durch das nicht-notwendige Zusammenbringen von bekannten Zeichen entsteht, dann liegt in den Zeichen der bewusste, erwartbare Teil; in der Verbindung jener Teil, den Peirce mit einem may be besetzt (CP 5.171) [8]. Diese Hypothese als Ganzes stellt jene neue Idee dar, die nur im abduktiven Prozess entstehen könne (CP 5.171) [9].
Die Deduktion nimmt als das notwendige Schließen die Mittelposition zwischen Abduktion und Induktion ein. Wichtig ist hier, dass wir Peirce‘ Charakterisierung der Deduktion nicht mit der deduktiv-nomologischen Forschungslogik der empirischen Wissenschaften gleichsetzen. Das notwendige Schließen gehe vom hypothetischen Zustand der Dinge aus und definiere diesen abstrakt (CP5.161) durch die Erläuterung der Begriffe der Prämissen (CP5.176). "… necessary reasoning is merely explicatory of the meaning of the terms of the premisses, only reversing the use to be made of it" (CP5.176). Diese Überlegung lässt sich mit Blick auf die pragmatische Wenn-dann-Relation von Zeichen als eine wiederholte Veränderung des Gebrauchs der Zeichen interpretieren, um die Relation bestimmter Zeichen zu festigen. Es geht also um die eindeutige Bestimmung der Zeichen, die in der hypothetischen Relation stehen. Diese Bestimmung ist nicht mit der üblichen Definition von Begriffsinhalten zu verwechseln. Sie ist ein Bestimmen im Sinne von Abgrenzen, was mit der oben genannten Bestimmung von consequences als der Reichweite einhergeht. Welche Zeichen sind jene, die in der Hypothese in eine Relation gebracht werden dürfen? Nicht die Überprüfung der Übereinstimmung der Hypothese bzw. ihrer Zeichen mit dem Zustand der Dinge der realen Welt, sondern die Existenz der Relation zwischen den realen Dingen der Prämisse und der Konklusion ist hier für Peirce entscheidend (CP5.161). Als Ziel des deduktiven Schließens kann damit betrachtet werden, dass durch die Deduktion aus der hypothetischen Anregung der abduktiven Zusammenführung eine stabile Wenn-Dann-Relation wird, die den Charakter einer Vorhersage hat (CP 5.171) [10]. Die Wenn- und Dann-Zeichen werden erst in diesem Trennungsprozess zu bestimmten Zeichen, was einer Relation erster Potenz gleichkommt. Für die Induktion wird das Ergebnis der Deduktion, also die gesicherte Wenn-Dann-Relation bestimmter Zeichen, zum Ausgangspunkt. Sie erhält den Status einer Theorie. "Induction consists in starting from a theory, deducing from it predictions of phenomena, and observing those phenomena in order to see how nearly they agree with the theory” (CP 5.170). Peirce spricht immer wieder von einem Testen der Vorhersage der Deduktion durch die Induktion (CP 5.171). Bezogen auf die pragmatische Wenn-Dann-Relation kann dies nur bedeuten, dass entweder beim Erscheinen eines Wenn-Zeichens mit einer gesicherten Wenn-Dann-Relation als Theorie ein Dann-Zeichen vorhergesagt wird oder umgekehrt beim Erscheinen eines Dann-Zeichens über die bekannte Relation (Theorie) ein Wenn-Zeichen rekonstruiert werden kann.
Der Unterschied zwischen deduktivem und induktivem Schluss ist hier nicht ohne weiteres ersichtlich. In beiden Fällen scheint es um ein Testen der Relation von Wenn- und Dann-Zeichen zu gehen. Im Fall der Deduktion wird jedoch bis zur Fixierung der Relation getestet, welche Zeichen zusammengehören, d. h. die Zeichen werden zu Zeichen gemacht. Im Fall der Induktion wird die Relation bewusst eingesetzt, um das dritte Element zu bestimmen. Im induktiven Testprozess wird die verbindende Relation selbst zum Zeichen gemacht. Diese Fokussierung der Relation entspricht dem Gedanken der Relation zweiter Potenz. Peirce Bezeichnung als induktiver Wahrscheinlichkeit lässt sich nur damit erklären, dass auch hier eine Art Lernprozess einsetzen muss. Zu einem Zeichen Zw1 wurden durch Deduktion ein Zd1, Zd2, Zd3 usw. stabil relationiert. Die Person, die nun in einer bestimmten Situation Zw1 wahrnimmt, muss das richtige Dann-Zeichen wählen. Im Testverfahren wird sie die bekannten verbindenden Relationen einsetzen, bis das richtige Dann-Zeichen bestätigt worden ist. Zw1 und eine bestimmte Relation müssen erkannt sein, um ein Zdx erzeugen zu können. Ungeklärt ist hierbei die Frage, wie diese Fokussierung der Relation gelingt. Gregory Bateson und Paul Watzlawick sprechen von einer Interpunktion. Die Beziehung der Kommunikationspartner wird thematisiert, d. h. sie wird zum Zeichen und kann später sogar symbolisiert werden. Ich halte es nicht für sinnvoll, hier von notwendig und wahrscheinlich zu sprechen. Die Lernprozesse, die Peirce hier als Testprozesse beschreibt, haben denselben Grundcharakter: Sie zielen auf Zeichenbildung und Symbolisierung – nur dass die Deduktion Zeichen in einem Abgrenzungsverfahren bildet und die Induktion versucht, ein Beziehungsmoment symbolisch zu fixieren. Beide Schlüsse sind an Wiederholungsprozesse gebunden.
Die Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion können also aus derselben Zeichenstruktur (Wenn-Zeichen, Dann-Zeichen und relationierende Regel) handlungslogisch abgeleitet werden. Die Abduktion wird hier als jener Entwurf verstanden, der alle drei Elemente im selben Moment zusammensetzt: Zwei Zeichen werden zu einer Regel relationiert. Die Deduktion folgt als ein Modus der Anwendung dieser Regel auf ähnliche Situationen. Im Gegensatz zu den bestehenden Peirce-Interpretationen soll hier die Deduktion in ihrer Funktion als Prüfmechanismus aufgefasst werden. Die gebildete Regel wird auf ihre Anwendbarkeit überprüft und in diesem Trennungsprozess eine Zeichenbildung vorgenommen. Die Induktion kann erst auf die Deduktion folgen, da sie die getrennten Zeichen in einer spezifischen Regel voraussetzt. Ebenfalls abweichend von den Peirce-Interpretationen möchte ich die Induktion als die Verallgemeinerung der Regel bzw. der Relation verstehen. Mit induktiven Schlüssen gelangen wir zu allgemeineren Formen der abduktiv erzeugten und deduktiv geprüften speziellen Regel.

Fazit

Aus der Zusammenführung von Drechsel/Leisegangs Relationslogik und Peirce‘ zeichentheoretischen Ansätzen lassen sich folgende Strukturen der Bedeutungsbildung in der menschlichen Kommunikation ableiten:
(1) Der Bedeutungsbildungsprozess einer Person beginnt mit einem abduktiven Schluss. In einer Interaktion von Ego und Alter wird von Ego ein Zeichen mit einem weiteren Zeichen in eine Folgebeziehung gesetzt. Beide Zeichen und ihre Verbindung sind für Ego vorerst hypothetische Setzungen, die in Wiederholungsprozessen stabilisiert werden müssen.
(2) Die intuitiv geistesblitzartige Setzung der Zeichenrelation wird in jenem Sinne deduktiv gefestigt, dass ein Wenn-Zeichen und ein imperatives Dann-Zeichen von jeweils ähnlichen Zeichen durch Wiederholungsversuche durch Ego getrennt werden. Die Betonung liegt hier nicht auf der Bestätigung der Hypothese, vielmehr auf der präzisen Bestimmung der zusammengehörigen Zeichen in einem Abgrenzungsprozess.
(3) Der dritte Schritt von Ego im Rahmen der Entwicklung einer Bedeutung hat induktiv schließenden Charakter. Die Relation der Zeichen wird bestimmt, vermutlich um die deduktiv stabilisierte Zeichenrelation auf andere Interaktionspartner bzw. -situationen übertragen zu können. Die bestimmte Relation kann als Operation genutzt werden, um aus dem Wenn-Zeichen ein Dann-Zeichen abzuleiten und umgekehrt.

Alle drei Schlussformen können demnach als Schritte der Bedeutungsbildung ausgemacht werden. Hierbei hat die Abduktion als Vollzug der (ersten) Relation einen verdeckteren Charakter; die Deduktion als Fokussierung der Zeichen sowie die Induktion als Fokussierung der Relation erscheinen offensichtlicher. Hieran lässt sich der Entwicklungscharakter des Prozesses erkennen. Die Art, wie Ego Bedeutungen bildet, entwickelt sich mit seinen Fähigkeiten zum Fokussieren, d. h. dem Bilden von Zeichen. Der Bedeutungsbildungsprozess ist immer an eine Person gebunden, die mit einer weiteren Person kommuniziert und sich notwendig in diesem Kommunikationsprozess entwickelt, also ihre Art der Bedeutungsbildung verändert. Diese Erkenntnis findet sich in strukturalistischen Ansätzen der Entwicklungspsychologie, wie bei Robert Kegan, und in holistischen Lerntheorien, wie bei Gregory Bateson, die den Weg hin zu einer vollständigeren Beschreibung des Bedeutungsbildungsprozesses zeigen.

Berlin, September 2015

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[1] Siehe hierzu Richter (5/2015).
[2] Paul Drechsel beginnt seinen Aufsatz Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra mit dem Satz: "Alles ist Beziehung!" und postuliert, dass die Relation "Voraussetzung allen natürlichen Seins und Denkens" ist (Drechsel 2009: o. SA.).
[3] Ich beziehe diese Ideen ausschließlich aus dem Spätwerk ab 1903 und hauptsächlich auf die Lectures of Pragmatism aus dem Jahre 1906.
[4] Siehe Peirce Pragmatismus-Vorlesungen an der Harvard-University aus dem Jahr 1903, in der Peirce vom Prinzip des Pragmatismus und gleichzeitig von Maxime des Pragmatismus spricht.
[5] "Thus, the maxim of pragmatism, if true, fully covers the entire logic of abduction” (CP 5.196).
[6] De Saussure, Eco etc.
[7] Beispiele finden sich bei Pape (1989) Müller (1999), Baltzer (1994). Hoffman verweist auf diese Fehlinterpretation: "der ‚Interpretant‘ ist insofern eine notwendige Implikation der Triade und hat keinerlei ‚Freiheit der Interpretation‘. Genau aus diesem Grund darf der Peircesche Interpretant nicht mit einem ‚Interpreten‘ verwechselt werden; er ist allein formal bestimmt als dasjenige singuläre konkrete Ereignis, das durch die allgemeine Seite des Zeichens determiniert wird" (Hoffmann 1996: 12).
[8] "Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative (tatsächlich wirkt); Abduction merely suggests that something may be” (CP 5.171).
[9] "Abduction is the process of forming an explanatory hypothesis. It is the only logical operation which introduces any new idea; for induction does nothing but determine a value, and deduction merely evolves the necessary consequences of a pure hypothesis" (CP 5.171).
[10] "Its only justification is that from its suggestion deduction can draw a prediction which can be tested by induction, and that, if we are ever to learn or to understand phenomena at all, it must be by adduction that this is to be brought about” (CP 5.171).

Literatur
Baltzer, Ulrich (1994): Erkenntnis als Relationengeflecht. Kategorien bei Charles S. Peirce, Paderborn/München/Wien/Zürich.
Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
Drechsel, Paul (2010): Von Grassmanns Ausdehnungslehre zur Geometrischen Algebra und Logik, Vortrag im Ernst Schröder Zentrum der TU Darmstadt, 29. Januar 2010, Online: http://www.drechselscience.de/Vortrag%20TU-Darmstadt-29-01-10.pdf, Zugriff am: 11.6.2012. Drechsel, Paul (2013): Relationskonzept, Online: http://www.drechsel-science2.de/relationskonzept/, Zugriff am: 8.4.2013.
Drechsel, Paul (o. J.): Logik der Arbeitsverteilung und Arbeitsverbindung, Kapitel 2 des Manuskripts, Online: www.drechsel-science.de/Globalisierungs-Vortrag/Buch-Kapitel-2.pdf, Zugriff am: 18.4.2012.
Drechsel, Paul; Schmidt, Bettina; Gölz, Bernhard (2000): Kultur im Zeitalter der Globalisierung: von Identität zu Differenzen, Frankfurt/M. 2000.
Günther, G. (1991): Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen. Hamburg.
Hoffmann, Michael (1996): Eine semiotische Modellierung von Lernprozessen. Peirce und das Wechselverhältnis von Abduktion und Vergegenständlichung, Occasional Paper 160, URL: http://www.uni-bielefeld.de/idm/alte-webseite/serv/dokubib/occ160.pdf, Zugriff am: 23.9.2014
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303- 329.
Leisegang, Dieter (1969): Die drei Potenzen der Relation. Frankfurt.
Levi, I. (1997): Inference and Logic According to Peirce. In: J. Brunning, & P. Forster, The Rule of Reason. The Philosophy of Charles Sanders Peirce, Toronto, S. S. 34-56.
Müller, Ralf (1999): Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce. Würzburg.
Ort, N. (2007): Reflexionslogische Semiotik. Zu einer nicht-klassischen und reflexionslogisch erweiterten Semiotik im Ausgang von Gotthard Günther und Charles S. Peirce. Weilerswist.
Pape, Helmut (1989): Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenprozeß. Charles S. Peirces Entwurf einer Spekulativen Grammatik des Seins, Frankfurt.
Peirce, C. S. (1973): Lectures on Pragmatism - Vorlesungen über Pragmatismus. Hamburg 1973: Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Elisabeth Walther.
Peirce, C. S. (1991): Vorlesungen über Pragmatismus. Hamburg 1991.
Peirce, C. S. (1998): Collected Papers of Charles Sanders Peirce, herausgegeben von Hartshorne, Charles; Weiss, Paul; Burks, Arthur W. (Ed.), Thoemmes Continuum.
Peirce, C. S. (1999): How to Make Our Ideas Clear. In: Writings of Charles Sanders Peirce. A Cronological Edition by Christian J. W. Kloesel, Volume 3 1872-1878, Bloomington 1999
Richter, Beate (2014): Bildung relational denken. Eine strukturtheoretische Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs anhand von Robert Kegans Entwicklungstheorie, Dissertation an der HumboldtUniversität zu Berlin, URL: http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/richter-beate-2013-12-03/PDF/richter.pdf.
Richter, Beate (5/2015): Aktuelle Ansätze einer relationalen Methodologie, URL: http://beaterichter.de/Text/aktuelle_methodologien_2015.pdf.
Schönrich, G. (1990). Zeichenhandeln. Untersuchungen zum Begriff einer semiotischen Vernunft im Ausgang von Ch. S. Peirce. Frankfurt/M.
Zeman, J. J. (1986). Peirce's Philosophy of Logic. Transactions of the Charles S. Peirce Society, 1-22.

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Aktuelle Ansätze einer relationalen Methodologie
Beate Richter (05/2015)

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Das Nicht-Passen von Theorie und ‚Realität‘ wird in wissenschaftstheoretischen Diskussionen auf die vorauslau- fende Dichotomisierung im Rahmen eines substantiellen Denkens zurückgeführt. Die Probleme eines repräsenta- tionalen bzw. substantiellen Denkens, das stets Dichotomien erzeugt und nicht nur das sozialwissenschaftliche Denken an seine Grenzen führt, sind vielfach benannt und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sind die Unter- suchungsgegenstände in einer realistischen Ontologie verortet, müssen epistemologische Erklärungen in einer ge- trennten Welt stattfinden. Beide Welten können anschließend nicht wieder zusammengeführt werden.
Als alternativer wissenschaftstheoretischer Ansatz bietet sich der pragmatische Relationalismus an, der einer rea- listischen eine pragmatische und einer substantiellen eine relationale Perspektive entgegensetzt und mit einem akteurszentrierten Handlungskonzept die Dichotomisierung überwinden will. In dieser Perspektive arbeitet eine finnische Gruppe um den Soziologen und Erziehungswissenschaftler Osmo Kivinen am Research Unit for the Sociology of Education (RUSE) an der Universität Turku. Kivinen veröffentlicht seit 2003 mit wechselnden Ko- autor/innen herausragende, jedoch wenig beachtete Artikel, in denen er einen pragmatistischen, antirepräsentatio- nalistischen und antireferentialistischen Ansatz als Pragmatist Methodological Relationalism vorstellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 307 ff.). Hierbei grenzt er sich von allen relationalen Methodologien ab, die realistische oder metaphysische Konzepte enthalten, etwa von Margaret Archer, Mustafa Emirbayer, Roy Bhaskar, John Se- arle, aber auch von Pierre Bourdieu, dem er trotz seiner antirealistischen Perspektive die metaphysische Suche nach einer Tiefenstruktur sozialer Prozesse vorwirft.
Unumstrittene Wegweiser pragmatistischen Denkens sind für Kivinen et al. John Dewey und Charles S. Peirce. Beide Autoren sind Ideengeber, wenn es um eine pragmatistische Bestimmung einer sozialwissenschaftlichen Me- thodologie geht. Kivinen übernimmt von Dewey die Idee der Handlungsgewohnheiten (habits), die für ihn ein akteurszentriertes embodied knowing-how darstellen, und führt die Idee des Konzeptes (des linguistic knowing- that) als Werkzeug des Wissenschaftlers ein, mit dem er die Handlung(sgewohnheit)en beschreibt, um wiederum Handlungen vorhersagen zu können. Nach Dewey basieren wissenschaftliche – wie alle anderen – Bedeutungsbil- dungen auf den Relationen zwischen Bedeutungen. Diese Relationen seien somit die eigentlichen Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchungen (Kivinen/Piiroinen 2006: 310). Kivinen/Piiroinen fordern, „to replace the whole idea of inquiry revealing the structures of reality with a notion of inquiry simply organizing data to coherent webs of useful descriptions” (Kivinen/Piiroinen 2006: 316). Eigenschaften werden zu Eigenschaften durch ihre Relation zueinander, können aber erst als Eigenschaften oder Relationen erfasst werden, wenn sie in sym- bolischer Sprache ausgedrückt werden (Kivinen/Piiroinen 2006: 316).
Kivinnen und Piiroinen stellen damit dem theory-driven relational realism einen problem-driven/pragmatic me- thodological relationalism entgegen und betonen die Notwendigkeit der Abkehr des wissenschaftstheoretischen Denkens von einer Ursachensuche und der Hinwendung zu einem methodologischen Denken, das die Wie- Frage in den Fokus stellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 322). Wie schon Dewey fragen sie, “how different kinds of conceptions could help people to solve the practical problems they face” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325). Sie beschreiben ihre Aufgabe als Methodologen als ein “moving toward pragmatist, action-centered, and thor- oughly operationalist approaches, which support the social scientists’ attempts to assist solving problems of social life through problem-driven case studies” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325).
Kivinen/Piiroinen kritisieren am metaphysischen Denken der aktuellen Methodologien, dass sie einen realen Pro- zess voraussetzen, dessen (Tiefen-)Struktur es zu erfassen gelte. Neues Ziel des Wissenschaftlers sei jedoch die Erfassung der relationalen Netze der Bedeutungsbildung mit dem Zweck einer problemlösenden Vorher- sage. Konzepte, die aus der Beschreibung der Relationen zwischen Bedeutungsbildungen abgeleitet werden, sollen zum Werkzeug des Sozialwissenschaftlers werden, um Probleme der sozialen Praxis zu lösen. Kivinen/Piiroinen lehnen hierfür das Nachdenken über Grund- oder Metastrukturen, wie es in ontologischen Betrachtungen erfolgt, und sogar die Fundierung einer Methodologie durch eine Logik ab.
Die Grundannahme einer relationalen, akteurszentrierten und handlungsorientierten Bedeutungsbildung wird von mir übernommen. Einer Ablehnung der Strukturanalyse dieses Bedeutungsbildungsprozesses möchte ich entge- genstellen, dass gerade die (neue) pragmatistische Methodologie einer relationslogischen Fundierung bedarf, um sie noch stärker gegenüber einem metaphysischen Ansatz zu legitimieren. Der Gefahr, mit dem Vokabular wiede- rum dichotome Denkmuster zu übernehmen, kann mit dem Relationskonzept nach Drechsel/Leisegang widerspro- chen werden. Die dichotome Bedeutungsbildung hatte und hat ihre Funktion in wissenschaftlichen Handlungspro- zessen. Es gilt eine Struktur zu entwickeln (abgeleitet aus Axiomen), die im pragmatistischen Sinne wiederum eine Handlungsorientierung – nun als Werkzeug für den Wissenschaftler – gibt, um wissenschaftliche Handlungen vorauszusagen.
Die belgischen Philosophen Jeroen Van Bouwel and Erik Weber vom Centre for Logic and Philosophy of Science der Universität Ghent nehmen im Jahr 2008 die Ideen von Kivinen und Piiroinen auf und fordern konkrete me- thodologische Werkzeuge, etwa im Rahmen von soziologischen Erklärungen (Van Bouwel/Weber 2008a: 424). Sie fordern eine pragmatische Betrachtung der bestehenden Erklärungsansätze und entwickeln ein „framework for explanatory pluralism“ (Van Bouwel/Weber 2008a: 440), in dem die verschiedenen Erklärungsmodelle in Relation zu verschiedenen Erkenntnisinteressen bzw. Kontexten und verschiedenen zu lösenden Problemen gesetzt werden. Lokalisiert und kontextualisiert gehen die soziologischen Erklärungsmodelle in ein plurales Rahmenwerk ein, in dem der Nutzen – im Sinne einer sinnvollen Verwendbarkeit – eines jeden Modells bestimmt werden kann (Van Bouwel/Weber 2008a: 440). In dieser Aus- bzw. Fortführung der Forderung eines methodologischen Relationa- lismus ist der Wunsch nach einer Systematisierung bzw. Verallgemeinerung der soziologischen Theoriebildung zu erkennen, der schlicht in der Feststellung endet, dass die Konzepte plural bleiben müssen.
Ich betrachte diesen Versuch von van Bouwel/Weber als einen typischen Schritt der Bedeutungsbildung, aber nicht als den letzten Schritt, der eine Problemlösung auf der sozialen Handlungsebene leistet. Die Feststellung von Plu- ralität ist vorerst nur Ausdruck unserer Hilflosigkeit. Stößt der Mensch im vorausschauenden Denken auf zu viele und dann zumeist auch widersprüchliche Ergebnisse, versucht er, diese plurale Situation zu bewältigen, indem er von einer höheren Ebene der Bedeutungsbildung aus seine bisherige Art der Bedeutungsbildung betrachtet. Dieser übergreifende Blick erzeugt erst die nächsthöhere Ebene der Bedeutungsbildung und kann in einer Struktur be- schrieben, d. h. modelliert werden.
Ich nehme daher den Vorschlag eines methodologischen Relationalismus auf und mache die Relation als Unter- suchungsgegenstand einer pragmatistischen Methodologie zum Ausgangspunkt einer Modellierung der Struktur der menschlichen Bedeutungsbildung. Im Sinne von Charles S. Peirce wird Bedeutungsbildung als ein Prozess aufgefasst, in dem trirelationale Zeichen relationiert werden. Die Struktur dieses Relationierungsprozesses und den Charakter seiner Produkte gilt es zu erfassen (Relation/Iteration und Zeichen). Ziel ist somit die Beschreibung der Struktur des Prozesses der Bedeutungsbildung und deren Ergebnisse, die eine Methodologie braucht, um Vor- hersagen über den sinnvollen Einsatz von Theorien und entsprechenden Methoden machen zu können. Die Me- thodologie behält hierbei ihren Sinn einer Metastruktur zu einem aktuellen wissenschaftlichen Handeln. Sie wird aber nicht als die eine Metastruktur betrachtet, da ich von einer Entwicklung des Bedeutungsbildungsprozesses ausgehe und damit von einem Übersteigen von Ebenen der Strukturbildung in Vorgängen der Iteration. Ich möchte mit meiner Arbeit das Modell einer evolutionären Prozessstruktur vorstellen, in dem der Bedeutungsbildungs- prozess als relational-iteratives Handlungsgeschehen in symbolischen Interaktionen beschrieben wird und damit die Arten oder Typen der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften sichtbar werden.

Berlin, Mai 2015

Literatur
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303-329.
Van Bouwel, Jeroen; Weber, Erik (2008): De-Ontologizing the Debate on Social Explanations: A Pragmatic Approach Based on Epistemic Interests. In: Human Studies 31(2008), S. 423-442.

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Bildungstheorie und Theoriebildung – ein scharfes Paar. Überarbeiteter Wettbewerbsbeitrag für den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung 2013

Beate Richter (2014)

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200 Jahre der Suche nach einer originären pädagogischen Theorie erreichen in der bildungstheoretischen Dissertation „Bildung relational denken“ einen vorläufigen Höhepunkt. Mit der Einführung der Relationalen Entwicklungslogik und unter Anwendung der informellen Axiomatisierung wird eine Präzisierung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen so elegant möglich, wie wir es nur von den mathematisierten Naturwissenschaften kennen. Das so entworfene Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung erweist sich als Struktur von Entwicklungsprozessen sowohl von Individuen als auch von Denktraditionen. Damit ist dieses Modell zugleich eine Basis für Konzepte pädagogischer Interventionen und ein Instrument, um Theoriebildungsprozesse jeglicher Fachrichtungen metatheoretisch zu reflektieren. Bildungstheorie wird zu einer übergreifenden Theorie der Theoriebildung und der Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken wird präzise beschreibbar.

In meinen Workshops zum Thema „Wie schreibe ich eine Abschlussarbeit?“ pflegte ich aus der langjährigen Beratungserfahrung heraus zu behaupten: „Wenn Sie Ihre Fragestellung klar formulieren können, dann haben Sie meist auch schon die Antwort im Kopf.“ Eine aufmerksame Studentin stellte dazu jene Frage, die mich seit Jahren beschäftigt: „Aber wie kommt denn dann das Neue in die Wissenschaft?“ Diese Frage war der Anlass für meine Forschungstätigkeit in den Bereichen Bildungstheorie und Theoriebildung.
Präzisiert man diese Frage, eröffnet sich ein Problemfeld, das zwei Forschungsrichtungen nahezu unbemerkt voneinander thematisieren. Das Neue, verstanden als eine neue Theorie über einen Welt-Ausschnitt, ist als Theoriebildung Thema der Wissenschaftstheoretiker. Bildungswissenschaftler hingegen suchen den Entstehungsprozess einer neuen Weltsicht bzw. des Welt-Selbst-Verhältnisses einer Person in Bildungstheorien zu erfassen. Aktuell steht der bildungstheoretische Diskurs vor einem Problem, das ohne die Beschäftigung mit der wissenschaftstheoretischen Diskussion um einen notwendigen Paradigmenwechsel unlösbar scheint. Wissenschaftstheoretiker stellen schon immer die Frage, wie eine zeitgemäße Theorie der Theoriebildung aussieht, wie also die Entstehung des Neuen erklärt werden kann. In meiner Dissertation habe ich mich zunächst wissenschaftstheoretisch mit der Theoriebildung beschäftigt, um anschließend die aktuellen Fragen der Bildungstheoretiker beantworten zu können. Die Entdeckung der untrennbaren Verwobenheit beider Forschungsbereiche war für mich das großartige Neue auf dieser theoretischen Forschungsreise.
Die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung kann als die Forschungsrichtung bezeichnet werden, die sich aktuell am stärksten für eine fundierte Bildungstheorie einsetzt. Der Denktradition von Wilhelm von Humboldt folgend, streben diese Forscher/innen eine Präzisierung des so genannten transformatorischen Bildungsbegriffs an und wollen gleichzeitig den Graben zwischen der theoretischen Bildungsphilosophie und der empirischen Bildungsforschung schließen. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Definition von Bildung als Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person, deren bisherige Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses durch eine Krisenerfahrung in Frage gestellt wurden (u. a. Kokemohr 2007, Marotzki 1990, Koller 2012a/b).
Die Bedeutung dieser Definition bzw. deren Begrifflichkeiten ist nach über 20 Jahren Forschungstätigkeit noch weitgehend unklar. Bildungsforscher rund um die Gründungsväter der bildungstheoretisch orientierten Biografieforschung – Rainer Kokemohr (2004/2007), Winfried Marotzki (1990/2006) und Hans-Christoph Koller (1999/2000/2002/2004/2012a/b) – müssen sich eingestehen, dass nicht geklärt ist, was ein Welt-Selbst-Verhältnis ist, wie sich der Begriff Transformation definieren lässt und was ein Anlass der Transformation sein kann. Die Analyse der methodischen Vorgehensweisen der zahlreichen empirischen Arbeiten in diesem Forschungsfeld zeigt, dass die methodisch zunächst bewusst getrennten theoretischen und empirischen Rekonstruktionen des Bildungsbegriffs nicht wieder zusammengeführt werden können: Die theoretischen Heuristiken können durch die Ergebnisse qualitativer Analysen von biografischen Erzählungen nicht weiter ausdifferenziert werden und umgekehrt finden sich in diesen Daten die theoretischen Konzepte nicht wieder. Die Verbindung von Theorie und Empirie gelingt also im interpretativen Paradigma nicht.
Vor einer Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs steht somit notwendig eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Methodik, in diesem Falle der Begriffspräzisierung. In einem ersten Schritt wurde daher unter Verwendung verschiedener wissenschaftstheoretischer Ansätze eine Relationale Entwicklungslogik hergeleitet, die das methodische Dilemma der Biografieforschung erklären kann, und in einem zweiten Schritt ein Modell für den Entwicklungsprozess entworfen, das eine präzise Definition des Bildungsbegriffs ermöglicht. Somit leistet diese Arbeit zwei wesentliche Beiträge: Sie schafft einen neuen wissenschaftstheoretischen Rahmen, der eine Theorie der Theoriebildung darstellt und sie schafft mithilfe einer methodischen Modellierung eine echte Präzisierung des Bildungsbegriffs.

Die Relationale Entwicklungslogik

Die methodischen Schwierigkeiten der Biografieforscher lassen sich aus deren Methodologie, d. h. ihrer Perspektive auf ihren Untersuchungsgegenstand erklären. Sie nehmen eine so genannte substanzielle Perspektive ein, die heute von einer neueren, der relationalen Perspektive abgegrenzt wird. Eine Substanz-Denkweise geht davon aus, dass eine Person (das Subjekt) über einen Teil der Wirklichkeit (das Objekt) eine Theorie entwickelt. Dieses Denken erzeugt notwendig die Trennung von Theorie und Empirie, deren Zusammenführung anschließend unerreichbar scheint. In einigen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern finden sich relationale Denkweisen, die davon ausgehen, dass Bedeutungen bzw. Theorien im Interaktionsprozess von Personen oder Gruppen entstehen und somit keine Abbilder der Realität darstellen. Im Kommunikationsprozess werden Zeichen zueinander in Beziehung gesetzt, so dass die (endlose) Zeichen-Relationierung zur eigentlichen Bedeutungsbildung wird. Die Funktion eines Zeichens in einem relationalen Gebilde bestimmt demnach seine Bedeutung und nicht ein vom Zeichen bezeichnetes Etwas, das in seinem Wesen ergründet werden müsste.
Diese relationale Denkweise ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Auf die lange Tradition der Behauptung „Alles ist Relation“ machen Dieter Leisegang (1969) und Paul Drechsel (o.J./2000/2009/2010/2013) seit den 1960er Jahren aufmerksam und verhelfen der Logik der Relation (a r b) zu neuem Gehör. Die Relation wird von diesen Autoren in drei so genannten Potenzen beschrieben. Die erste Potenz stellt eine Reduzierung der vollständigen Relation r auf das Trennen von einzelnen Elementen dar (a t b). Wird die Beziehung zwischen den Elementen fokussiert, also das Verbindende (a v b), wird von einer Relation zweiter Potenz gesprochen. Die erste und die zweite Potenz der Relation stellen einseitige Fokussierungen der vollständigen Relation, als der dritten Potenz dar. Nun behaupten die Relationslogiker, dass es dem Menschen nicht möglich ist, den Vollzug der Relation in Form der dritten Potenz zu erfassen, sondern immer nur eine einseitige Fokussierung. Das Fallen des Apfels vom Baum auf die Erde kann ich im Nachhinein zum einen über die beiden Massepunkte von Apfel und Erde erklären, die sich Stück für Stück einander angenähert haben, zum anderen durch die Massenanziehungskraft, die zwischen beiden herrscht und Stück für Stück größer wird. Ich betone also entweder die getrennten Relata als Ortsbeschreibungen oder die verbindende Relation in Form der Kraft.
Eine zweite relationale Tradition findet sich bei Charles Sanders Peirce (1960a/b), dem als Begründer der modernen Semiotik der Satz unterstellt werden kann: „Alles ist Zeichen.“ Peirce entwickelte einen dreigliedrigen relationalen Zeichenbegriff, in dem das Zeichenmittel für etwas (Objekt) zu etwas (Interpretant) in Beziehung steht. Ein Zeichen erhält als Zeichen für etwas immer erst durch den Interpretanten seine Bedeutung. Unter anderem kann das dreigliedrige Zeichen selbst wiederum zum Objekt einer weiteren Zeichenbildung werden. Diese Möglichkeit entspricht der Anwendung der Relation auf das Ergebnis einer vorherigen Relation und wird, wie in der Mathematik üblich, als Iteration bezeichnet.
Die Idee der Relation von Zeichen und der Iteration dieser Relation können als strukturbeschreibend für den Prozess der Bedeutungsbildung betrachtet werden und sind in meiner Dissertation (Richter 2014) erstmalig zu einer Relationalen Entwicklungslogik zusammengeführt worden. Abbildung 1 macht die Struktur der Entwicklung anschaulich.


Abbildung 1: Relationale Entwicklungslogik

Beginnt man auf der unteren Ebene mit der Betrachtung der Relation r der Elemente a und b, so lassen sich hier die Relation erster Potenz (R1 = a t b) und zweiter Potenz (R2 = a v b) von der vollständigen Relation dritter Potenz (R3 = a r b) unterscheiden. Die Relation dritter Potenz wird hierbei als Vollzug im Sinne eines In-der-Welt-Seins interpretiert. Der Interpretant kann sein momentanes Tun, d. h. das Bedeutungbilden nicht im Vollzug, sondern nur in den einseitigen Fokussierungen erfassen. Soll der Vollzug erfassbar werden, muss er im Sinne von Peirce‘ Iteration, zum Objekt einer erneuten Relation auf einer höheren Ebene gemacht werden. Diese zweite Ebene unterliegt nun denselben Relationsmechanismen. Die vollständige Relation (R‘3) wird nicht erfassbar, nur in den einseitigen Fokussierungen des Trennens oder Verbindens der Relations-Ergebnisse der vorherigen Ebene (R3).
Diese formale Ableitung stellt die Grundstruktur eines Entwicklungsprozesses, die Logik des Bedeutungsbildungsprozesses dar und kann als Basis einer relationalen Methodologie betrachtet werden. Sie kann als Logik sowohl dem individuellen Entwicklungsprozess einer Person unterstellt werden als auch der Entwicklung der verschiedenen wissenschaftlichen Paradigmen bzw. Methodologien.
Jede Methodologie als Perspektive auf die Welt bedingt ein bestimmtes methodisches Vorgehen. Eine ausgewiesen relationale Methode habe ich bei meiner Suche nach einer Präzisierungsmethode für Begriffe bei den so genannten Theoretischen Strukturalisten gefunden. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller (1980a/b/1986) entwickelte in den 1980er Jahren einen neuen Theoriebegriff. Waren Theorien bisher Klassen von gesetzesartigen Aussagen, die zunächst unabhängig von der Wirklichkeit konstruiert werden und dann eine Überprüfung an der Realität bestehen müssen, wendet Stegmüller diese Betrachtungsweise, indem er davon ausgeht, dass eine Theorie zunächst einen intuitiven Entwurf angesichts von Phänomenen darstellt, der noch keine präzise Ausformulierung erfahren hat. Er nennt diesen kreativen Entwurf empirische Theorie und behauptet, dass erst eine präzise Theorierekonstruktion den Theoriekern, d. h. die Struktur der empirischen Theorie herausarbeiten kann. Mit diesen Annahmen umgeht Stegmüller das Problem der Biografieforscher sehr elegant, da er mit der Theoriebildung und -rekonstruktion im Raum der menschlichen Bedeutungsbildung bleibt. Der Sprung über den TheorieEmpirie-Graben gelingt, weil die Strukturalisten die Wirklichkeit nicht als Belegmittel für die Theorie betrachten, sondern die Theorie als eine Art Brille, mit der die Wirklichkeit scharf gesehen werden kann, wenn sie zu dieser Brille passt. Es geht nur um die Einsetzbarkeit der Brille in und nicht um ihre Überprüfung an der Wirklichkeit, also um ihre Funktionalität in einem gleichzeitig zu bestimmenden Ausschnitt der Welt.
Diese Methodik, die so genannte informelle mengentheoretische Axiomatisierung beruht auf der Definition von empirischen Theorien als Objekten, die per se eine bestimmte Struktur haben. Diese Struktur wird mit so genannten Modellen beschrieben, die aus Mengen und Relationen bestehen. Ziel der Axiomatisierung ist die präzise Beschreibung dieser Mengen und Relationen als dem so genannten Theoriekern. Dazu werden die Begriffe, die ein Theoretiker in seiner Theorie verwendet (z. B. Weg/Zeit oder Objekt/Subjekt), vereinheitlicht und in ihren Eigenschaften sowie Elementen und den Relationen zwischen ihnen (z. B. Multiplikation oder Trennen/Verbinden) bestimmt. Wesentliches Element des Theoriekerns ist das zentrale Axiom, das wie ein Gesetz die Begriffe des Theoriekerns untrennbar verknüpft. Jede empirische Theorie hat ihr eigenes spezifisches Axiom.
Die Klärung der relationalen Methodologie und Methode war für meine Arbeit eine wichtige Voraussetzung, um auf einem neuen Weg zu einer präziseren Definition von Bildung zu gelangen. Die Relationale Entwicklungslogik wurde hierbei zu einer Struktur-Brille, mit der eine entsprechende empirische Theorie betrachtet und mit Hilfe der informellen Axiomatisierung in ihrem Kern bestimmt werden konnte, um letztlich Bildung relational definieren zu können.

Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Die Struktur der Relationalen Entwicklungslogik und das Ziel, die drei Fragen der Biografieforscher nach dem Welt-Selbst-Verhältnis, dessen Transformation und dem Anlass zu beantworten, haben die Wahl von Robert Kegans Entwicklungstheorie (1982/1994) als empirische Theorie und deren Axiomatisierung stark bestimmt. Der amerikanische Psychologe Robert Kegan möchte mit seiner strukturalen Entwicklungstheorie die Prinzipien der menschlichen Bedeutungsbildung aufdecken, die unser tägliches Handeln bestimmen. Wie andere Entwicklungstheoretiker vor ihm entdeckt er in der menschlichen Entwicklung Stufen, auf denen der Mensch jeweils auf verschiedene Art Bedeutungen bildet. Die Prinzipien der Bedeutungsbildung auf diesen Stufen nennt er Subjekt-Objekt-Verhältnisse und beschreibt fünf Varianten, die dem Verständnis von Welt-Selbst-Verhältnissen sehr nahe kommen. Für Kegan ist der Mensch immer gleichzeitig eine bestimmte Art von Subjekt der Bedeutungsbildung, das jeweils eine bestimmte Art von Objekten hat. Hierin klingt die Unterscheidung zwischen dem Relation-Sein bzw. In-der-Welt-Sein und dem Haben der einseitigen Fokussierungen aus der Relationalen Entwicklungslogik an. Die Objekte, die der Mensch hat, lassen sich unterscheiden als Dinge, als andere Personen und als das Selbst der Person, so dass sich jeweils drei Entwicklungslinien über die Stufen hinweg erkennen lassen. In seinem zweiten Buch In Over Our Heads (1994), das Kegan zwölf Jahre nach dem ersten Buch The Evolving Self (1982) veröffentlichte, findet sich zudem eine Anordnung der fünf Stufen der Entwicklung auf drei Ebenen. Diese Ebenen haben dieselbe Struktur wie die Ebenen in der Relationalen Entwicklungslogik: auf ein Trennen bzw. Bilden bestimmter Objekt-Strukturen (z. B. Category) folgt deren Verbindung bzw. ein In-Beziehung-Setzen (z. B. CrossCategory). Die Übergänge zwischen den Stufen werden von Kegan als Krisen beschrieben und wie in der Bildungstheorie mit dem Begriff der Transformation belegt.
Die Axiomatisierung von Kegans Theorie hat diese stark verändert. Die informelle Beschreibung der Begriffe hat zunächst viele Ungereimtheiten aufgedeckt. So konnten Synonyme aufgezeigt werden, z. B. die Begriffe SubjektObjekt-Relation, Subjekt-Objekt-Verhältnis und Subjekt. An anderen Stellen fehlen in Kegans Entwicklungsmodell Begriffe, die etwa zur Erklärung von Übergängen dringend nötig sind. So fehlt die begriffliche Einbindung der Interaktion bzw. Kommunikation. Führt man die notwendige Idee des relationalen Kommunikationsprozesses in die Beschreibung des Entwicklungsprozesses ein, muss zudem ein relationaler Zeichen-Begriff eingeführt werden. Hier wurde deutlich, dass die Methode der Axiomatisierung erweitert werden musste: Zur Bestimmung der vorhandenen Begriffe einer empirischen Theorie muss die Ergänzung von fehlenden Begriffen über Referenztheorien erlaubt sein.
Charles Sanders Peirce mit seinem relationalen Zeichenbegriff, Jürgen Habermas (1995) mit seiner relationalen Kommunikationstheorie und Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b) mit seiner Lernstufentheorie waren wichtige Partner, um Kegans Entwicklungstheorie begrifflich vollständig erfassen zu können. Wichtigste Ergänzung war, den Bedeutungsbildungsprozess als eine Relationierung von Zeichen zu deuten, die einen neuen Kontext erschafft oder einen bestehenden aufruft. Stehen wir zum ersten Mal in einem polnischen Restaurant vor dem stillen Örtchen, sind wir überrascht von der Zeichengebung auf den Türen. Was tun, wenn man den Kellner nicht auf Polnisch nach deren Bedeutung fragen kann? Wir warten auf einen Gast und kombinieren, dass diese Frau dort die Tür für die Frauen benutzt. Schon haben wir einen altbekannten Kontext, der gerade eben nicht mehr funktionierte, durch eine neue Zeichenrelationierung ersetzt und etwas Neues gelernt. Diese Annahme der Kontextbildung als Relationierung von Zeichen war der Ausgangspunkt, um Kegans Entwicklungstheorie zum Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung (siehe Abbildung 2) auszubauen, das hier als zweites wichtiges Ergebnis meiner Dissertation vorgestellt werden soll.
Die Stufen der menschlichen Entwicklung, die Kegan beschreibt, können über den Begriff der Kontext-Regel XR definiert werden. Wenn Bedeutung als ein Kontext X durch die Relationierung R von Zeichen Z entsteht (X: Z R Z), dann haben wir es auf einer Entwicklungsstufe mit bestimmten Arten von Zeichen ZA und einem der Typen (Potenzen) der Relation zu tun, die zusammen eine Kontext-Regel ergeben (XR: ZA R ZA). Die Zeichen-Arten ZA lassen sich weiterhin auf jeder Stufe in ihre Zeichen-Bezüge ZB unterteilen. Wir beziehen uns in unserer substanziellen Welt auf Dinge, auf andere Personen und auf unser Selbst. Zu diesen drei Zeichen-Bezügen kommt der besondere Bezug auf die Zeichenbildung selbst. Diese Idee stammt von Habermas und findet sich ebenso in Peirce‘ Iteration des Zeichens. Wird ein trirelationales Zeichen (aus Zeichenmittel, Objekt und Interpretant) wiederum zum Objekt eines Zeichenmittels und eines Interpretanten wird eine Relation erneut auf das Ergebnis der vorherigen Relation angewendet. Die Zeichenbildung wird zum Objekt einer erneuten Zeichenbildung und es entsteht eine völlig neue Art der Bedeutungsbildung: Ich spreche hier von einer neuen Kontext-Ebene XE. In Abbildung 2 ist die daraus ableitbare Struktur der Entwicklungsstufen dargestellt.


Abbildung 2: Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Auf jeder Kontext-Ebene finden sich zwei Stufen, die durch die beiden Relations-Typen, das Trennen t und das Verbinden v von bestimmten Zeichen-Arten ZA gekennzeichnet sind. Der Startpunkt (Stufe 0) jeder Entwicklung muss notwendig die Trennung in Sinneszeichen Zi sein. Der Mensch lernt, dass er verschiedene Sinneseindrücke wie Gerüche, Farb-, Form- oder Temperatureindrücke hat und verbindet diese auf der Stufe 1 zu konkreten Wahrnehmungen wie dem Teddy oder der Mutter. Stufe 0 wird zur Stufe 1, auf der wir Sinneszeichen Zi zu Sinneswahrnehmungen Zw verbinden, von Kindern im Alter von sechs Monaten bis zwei Jahren überschritten. Der Übergang von Stufe 1 zu Stufe 2 im Alter von fünf bis sieben Jahren unterscheidet sich vom ersten Übergang fundamental, da hierbei gleichzeitig Kontext-Ebenen überschritten werden.
Das Überschreiten der Kontext-Ebenen entspricht der oben beschriebenen Iteration und kann mit dem Übergang von einem Welt-Selbst-Verhältnis zum nächsthöheren gleichgesetzt werden. Dies stellt den Entwurf einer neuen Welt und eines neuen Selbst dar. Als Erklärung können wir hier wieder die holistische Idee vom In-der-Welt-Sein und Welt/Selbst-Haben aufgreifen. Zu jeder Zeit ist der Mensch in seiner Welt und kann diese nicht gleichzeitig haben. Bildlich schwimmt er in einer Wasserblase und versucht, sich als Selbst vom Wasser zu trennen und die Membran der Blase zu durchbrechen. Auf der nullten Ebene sind wir Substanz und können uns noch nicht zu dieser Substanz verhalten. Auf der Ebene 1 sind wir diese Relation zur Substanz und haben die Substanz in Form von Wahrnehmungszeichen Zw, die wir voneinander unterscheiden und später zu Begriffszeichen Zb verbinden können. Beispiele für diesen Übergang sind die Abstraktionsleistungen von Kindern, bei denen sie die konkrete Wahrnehmung zu etwas Dauerhaftem in Form eines Wortes machen. Der Wasserfall rauscht immer noch, auch wenn wir ihn nicht mehr sehen. Schulkinder können sich auf Stufe 2 von den konkreten Fingern als Zählhilfe lösen und mit abstrakten Zahlen über die Zahl 10 hinaus rechnen.
Die Übergänge zwischen den Ebenen bezeichne ich wie die Biografieforscher als Transformationen TI. Die Übergänge zwischen Stufen derselben Ebene von einem Trennen zum Verbindung von Zeichen-Arten nenne ich abweichend davon Translation T_. Anfangs- und Endzustand einer Transformation lassen sich exakt über die Definitionen der Kontext-Ebenen definieren. Der Transformationsprozess selbst lässt sich nicht näher bestimmen. Auch die Translation wird letztlich über die Anfangs- und Endzustände, also die Definition der Stufen als Trennen oder Verbinden bestimmter Zeichen-Arten definiert. Waren zuvor alle Übergänge mit dem Begriff der Transformation besetzt, lassen sich nun die Übergänge zwischen Kontext-Ebenen klar von anderen Übergängen abgrenzen.
Den Pädagogen interessieren besonders die Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung einer Person, d. h. hier die Förderung des Überschreitens von Stufen bzw. Ebenen. In diesem Interesse steckt die Frage nach den Anlässen einer Transformation und einer Translation. Einen dritten Bereich gilt es in diese Überlegung einzubeziehen. Nicht nur die Übergänge stellen Veränderungsprozesse und damit Lernprozesse dar, auch beim Verweilen auf einer Stufe der Entwicklung lernt der Mensch. Wichtiger Ideengeber für die Präzisierung der Anlässe war der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b), der Lernprozesse immer als Interaktionsprozesse betrachtet. Das Kommunizieren von Alter und Ego wird immer dann zu einem Lernprozess, wenn es zu einer Dissonanz zwischen den Bedeutungsbildungen der beiden kommt. Lernen lässt sich damit anhand bestimmter Fehler-Arten FA in drei Lern-Arten LA unterscheiden, die wir über das Kontext-Ebenen-Modell definieren können.
Um Fehler- und Lern-Arten verstehen zu können, fehlt uns zum Begriff des Kontextes X, der die aktuelle Zeichenrelationierung einer Person bezeichnet, noch ein Begriff, der für den Speicherort dieser Relationierungen steht. Dazu habe ich den Begriff des Hintergrunds H eingeführt. Im Hintergrund werden die erfahrenen Kontexte als relativ stabile Bedeutungsbildungen abgelegt bzw. gespeichert und aus diesem in einem aktuellen Kommunikationsprozess abgerufen. Für jede Entwicklungsstufe dürfte eine Person einen eigenen Hintergrund entwickeln. Treten Alter und Ego mit ihren jeweiligen Hintergründen in Interaktion, kann es drei unterschiedliche Differenzen geben.
‚Stehen‘ beide auf derselben Stufe, kommt es zu Missverständnissen, wenn Ego eine bestimmte Zeichenrelationierung noch nicht kennt oder erkennbar falsch einsetzt. Typische Beispiele hierfür sind Szenen des Spracherwerbs. Luka sagt zu den Männern in seiner Familie Papapa und Opapa, der Hund heißt Papa. Eine Verständigung ist möglich, weil die verwandten Erwachsenen diese Zuordnung kennen. Im Kindergarten stößt Luka bei Lisa aber auf Unverständnis, wenn er seinen Hund als Papa bezeichnet. Sie korrigiert ihn, indem sie dem Hund ein Wauwau zuordnet. Auf höheren Stufen haben wir die gleichen Mechanismen: Konfrontiert ein Erziehungswissenschaftler eine Physikerin mit dem Begriff der Translation im Kontext von Bildung, wird sie die Stirn runzeln. Sie hat die Translation in ihrem Hintergrund in der Mechanik untergebracht und sicherlich nicht mit ihrem Verständnis von Bildung verknüpft. Die Fehler-Art, die hier vorliegt, nenne ich Hintergrund-Fehler FH und der entsprechende Lernprozess wird zum Hintergrund-Lernen LH. Dieses Lernen kann als die einfache Wissenserweiterung verstanden werden.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen derselben Kontext-Ebene, z. B. Alter auf Stufe 3 und Ego auf Stufe 2, kennen sie die gleichen Zeichen-Arten. Ego bildet Begriffszeichen Zb und Alter verbindet diese bereits miteinander. In der Interaktion kann es zwischen beiden zum Fokus-Fehler FF kommen, der das Fokus-Lernen LF im Sinne der Translation von Ego veranlasst. Der Fokus-Fehler wird auch als ein Missverständnis deutlich und ist allen Eltern bekannt, die die Pubertät ihrer Kinder erlebt haben. Der Teenager hat nach Kegan auf Stufe 2 z. B. klar formulierbare Bedürfnisse und lebt diese aus. Seine Eltern haben ebenfalls eigene Bedürfnisse, können aber auch die Bedürfnisse ihres Kindes dazu in Beziehung setzen. Kegan nutzt zur Beschreibung den Begriff der Wechselseitigkeit, die der Teenager noch nicht hat. Im Zentrum der Szene, wenn die Tochter erst um vier Uhr morgens nach Hause kommt, während die Mutter vor Sorge fast gestorben wäre, steht das Missverstehen beider. Die Tochter kennt auf Stufe 2 ihre Bedürfnisse und ihre Rechte darauf, kann diese aber nicht mit den Bedürfnissen ihrer Mutter koordinieren. Sie versteht ihre Mutter wirklich nicht; was die Mutter wiederum nicht glauben kann. Diese Art Streit wird zum wichtigen Auslöser für einen Lernprozess der Tochter, die den Schritt auf die Stufe 3 vollziehen muss, will sie mit anderen Personen in einem verständnisvollen sozialen Gleichgewicht leben. Auch in Bezug auf Dinge müssen wir Beziehungsstrukturen erlernen. Erfährt das Grundschulkind, dass es allgemeine Begriffe für konkrete Wege und Zeitdauern gibt, so wird im Physikunterricht dem Jugendlichen der Zusammenhang zwischen diesen Größen zugemutet. Hier ist der Fokus-Fehler nicht als verärgerte Mutter zu erkennen, sondern oft ein stummes Gefühl der eigenen Hilflosigkeit angesichts der merkwürdigen Formel v = s : t. Viele Menschen erleben bis ins hohe Alter Formeln und Variablen als irritierend, da sie diese nicht mit ihrer dinglichen Erfahrungswelt zur Deckung bringen können. Andere wiederum haben gelernt bzw. akzeptiert, dass hier Begriffszeichen mit Begriffszeichen verbunden werden, ohne dass ein Bezug zu konkreten Wahrnehmungszeichen besteht. Wichtig wäre, dass Physiklehrer uns diesen Fokus-Fehler wie die Mutter der Tochter laut deutlich machen.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen unterschiedlicher Ebenen, kann es infolge des Kontext-Fehlers FE zu einem Kontext-Lernen LE kommen, das wir als Transformation bezeichnet haben. Das Kontext-Lernen gehört zu den großen Geheimnissen der kognitiven Entwicklung, gerade weil sich der Anlass nicht so klar an einem gegenseitigen und korrigierbaren Missverständnis in der Interaktion von Alter und Ego festmachen lässt. Bei Bateson finden sich die formalen Strukturen dieser Fehler-Art definiert, aber lediglich das Wort Verwechslung gibt Auskunft über das Geschehen selbst. Beim Übergang von Ebene 0 zu Ebene 1 verwechselt Ego seine zum Wahrnehmungszeichen verbundenen Sinneszeichen mit dem Begriffszeichen von Alter, da beide als Wort identisch erscheinen. Ein Kind erlernt auf Stufe 1 die Sprache als ein Zeichensystem. Worte dominieren damit die Kommunikation, ohne dass das Kind um den Unterschied zwischen konkretem Gegenstand, bezeichnendem Wort und allgemeinem Begriff weiß. Die Katze ist die konkrete Katze Mila, die gerade durch das Zimmer läuft. Sagt die Mutter später auf dem Weg zur Kita: „Eine Katze ist viel pflegeleichter als ein Kater!“, wird das Kind protestieren, weil der Kater Tom immer draußen ist und die Nachbarn kein Katzenklo sauber machen müssen. Die Mutter wird zustimmen und wahrscheinlich erklären, dass das nur bei ihnen so ist. Für das Kind ist die Verwechslung damit aber nicht beseitigt und wir wissen nicht, wie die konkrete Katze zur allgemeinen Begriffs-Katze wird. Das Wort ist das verführerische Zeichen, das beide Deutungsweisen zulässt. Beim Übergang von Stufe 3 zu Stufe 4 wiederholt sich dieses Verwechslungsproblem, nur dass wir hier die zum Kategorienzeichen verbundenen Begriffszeichen mit den Systemzeichen verwechseln. Unsere Erfahrungen auf Stufe 3 haben uns in ein komplexes Regelsystem eingebunden. Spricht Alter von Stufe 4 aus über Teilchenbewegungen im Raum, hat er die Möglichkeit, sich Teilchenbewegungen innerhalb eines Systems vorzustellen, in dem er selbst steht. Darüber hinaus kann er sich die Bewegung eines Teilchens in einem System und die eines anderen Teilchens in einem zweiten System vorstellen und zudem die relative Bewegung der Teilchensysteme zueinander. Gespräche über den Massebegriff oder WegZeit-Gesetze mit einem Schüler der 10. Klasse, der sich noch nicht mit der Relativitätstheorie beschäftigt hat, müssen zu ähnlich verdeckten Irrtümern führen, wie im Katzenbeispiel. Physiker und Schüler benutzen dieselben Worte, haben aber andere Konzepte. Der Schüler denkt noch im System und kann es nicht übersteigen; dem Physiker ist das bereits gelungen. Das Beispiel ist auf ideologische Regelsysteme übertragbar. Bei diesen wird jedoch noch deutlicher, dass der Austritt aus dem einen Systemdenken in die Vielfalt der Systeme zu einer Unentscheidbarkeit führen muss.
Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung zeigt über Kegans fünf Stufen hinaus noch weitere zwei Stufen, die auf Untersuchungen des Mainzer Ethnologen Paul Drechsel zurückgehen. Seine Betrachtungen von gesellschaftlichen Formationen und Organisationen führten ihn zu verschiedenen Strukturen der Relationierung von Systemen. Das Verständnis für diese hochkomplexen Strukturen bedarf noch weiterer Forschung und es bleibt fraglich, ob ein Individuum in seiner Entwicklung diese dritte Ebene erreichen kann.

Die präzisierte Definition von Bildung

Die Entwicklung des Kontext-Ebenen-Modells der Bedeutungsbildung war Voraussetzung für die Präzisierung des Bildungsbegriffs. Neben einer Bestimmung des Begriffsinhalts gelingt über die Unterscheidung von je drei Fehlerund Lern-Arten eine Bestimmung des Begriffsumfangs, also die Abgrenzung von den Begriffen des Lernens, der Entwicklung und der Wissensaneignung.
Bildung wird als Prozess der Transformation der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung einer Person, unter Konfrontation mit der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung nächsthöherer Ordnung definiert. Der Bildungsprozess einer Person hat für den Beobachter die Struktur des Übergangs von einer Kontext-Ebene zur nächsthöheren (also der Transformation), unter vorausgehender Translation der einseitig fokussierenden Kontext-Regeln vom Trennen zum Verbinden von Zeichen-Arten, jeweils unter der Bedingung, dass Ego in der Interaktion von Alter mit der Zeichen-Art der nächsthöheren Kontext-Regel konfrontiert wird.
Das Welt-Selbst-Verhältnis ist dabei immer gleichzeitig die Struktur einer relationierenden Aktivität (ZA r ZA) bzw. eines In-der-Welt-Seins, die für Ego noch nicht bestimmbar ist, und eine fokussierbare Struktur, die als Egos Regel der Zeichenrelationierung von einem Beobachter bestimmt und als Stufe der Entwicklung betrachtet werden kann (ZA t ZA oder ZA v ZA). Die Menge der Welt-Selbst-Verhältnisse kann über die verschiedenen KontextFokusse bzw. Stufen auf den jeweiligen Kontext-Ebenen ausdifferenziert werden.
Die Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse werden als Übergänge zwischen Kontext-Ebenen definiert und von den Translationen als Übergängen zwischen Kontext-Fokussen bzw. Stufen derselben Kontext-Ebene unterschieden.
Die Anlässe der Transformation der Welt-Selbst-Verhältnisse sind als Kontext-Fehler bestimmbar, die auf einer Verwechslung von Zeichen-Arten von Alter und Ego beruhen, wenn beide über eine Ebene hinweg kommunizieren. Die Anlässe einer Translation liegen in Abgrenzung dazu im Fokus-Fehler, der aus der Kommunikation über eine Stufendifferenz zwischen Alter und Ego erwächst.
Im Kontext-Ebenen-Modell lassen sich alle Veränderungen in der Zeichenrelationierung infolge der ununterbrochenen Interaktion des Menschen als Lernprozesse verstehen. Dabei sind drei verschiedene Lernprozesse voneinander abgrenzbar: Der Wissenserwerb (Hintergrund-Lernen) besteht in der Erweiterung des Hintergrunds durch das Hinzufügen von neuen Zeichen derselben Zeichen-Art. Das Fokus-Lernen als Translation besteht im Überschreiten von Stufen (der Kontext-Fokusse des Trennens und des Verbindens) auf derselben Ebene. Das KontextLernen als Transformation entspricht dem Überschreiten von Stufen über zwei Kontext-Ebenen hinweg. FokusLernen und Kontext-Lernen werden aufgrund ihrer Besonderheit vom Wissenserwerb unterschieden und als Entwicklung bezeichnet, während nur die besondere Form der Entwicklung, die mit der Transformation von KontextRegeln einhergeht, als Bildung gefasst wird.

Bedeutung der Ergebnisse für Wissenschaftler aller Fachrichtungen

Die wichtige Erkenntnis dieser theoretischen Arbeit, dass die Suche nach einer präzisen Theorie der Bildung eine Suche nach einer präzisen Theorie der Theoriebildung ist, offenbart, dass die Relationale Entwicklungslogik einen metatheoretischen Nutzen für Theoriebildungsprozesse in allen Wissenschaften hat. Ob beim Kleinkind oder beim Wissenschaftler, Bedeutungen entstehen im Interaktionsprozess nach Regeln der Relation bestimmter ZeichenArten. Das Kontext-Ebenen-Modell beschreibt damit nicht nur die Struktur der individuellen Entwicklung, sondern auch die Entwicklung der Theoriebildungen in den Wissenschaften. Einzelne Theorien mit ihrer je spezifischen Art der Bedeutungsbildung können nun auf einer Stufe verortet und so die Theoriegeschichte eines Forschungsgebietes geschrieben werden. Mit dem Kontext-Ebenen-Modell kann zudem gezeigt werden, welche Theorien sich auf der Ebene des substanziellen Denkens befinden und welche schon zu Recht als relational gelten. Den Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken streben viele sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte bereits an, haben aber noch keine präzise Abgrenzung der Paradigmen gefunden. Das Scheitern von Theoriebildungsversuchen und auch der Paradigmenwechsel können mit dem neuen methodologischen Blick erklärt werden.
Für die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung hat dieser Metablick auf deren Methodologie ergeben, dass sie ihre Theorien auf Ebene 1, entweder auf Stufe 2 oder auf Stufe 3 bildet. Sie nimmt also eine substantielle Perspektive auf Welt-Selbst-Verhältnisse als getrennte Wahrnehmungszeichen oder als deren Verbindung ein. Hierin ist der Grund für den Stillstand in der Bildungsforschung zu sehen. Meine Dissertation stellt somit ein Empfehlungsschreiben an die Biografieforschung dar, zur bisher genutzten Methodologie auf Distanz zu gehen und eine relationale Denkweise in Erwägung zu ziehen.
Unabhängig von dieser Überzeugungsarbeit bleibt im Bereich der Weiterentwicklung der relationalen Methodik viel zu tun. Stegmüller sah in der informellen Axiomatisierung eine fächerübergreifende Methodik, die zur Präzisierung jeglicher empirischer Theorie führen kann. Ich denke, dass es für alle Fachrichtungen sehr lohnenswert ist, diese relationale nicht-substanzielle Perspektive auf die Theoriebildung einzunehmen und das methodische Vorgehen entsprechend anzupassen. Die Erweiterung der Methodologie, also der Annahme einer einfachen Relation um die Ideen der drei Potenzen und der Iterationen erzeugt den wissenschaftstheoretischen Bedarf, die Relationale Entwicklungslogik eingehend zu diskutieren und in Verbindung mit der relationalen Methode der Axiomatisierung in verschiedene Forschungsbereiche zu übertragen. In sozial- und naturwissenschaftlichen Fächern könnte nach einer Analyse des Standes diese Methodik gewinnbringend zur Theoriebildung eingesetzt werden.

Bedeutung der Ergebnisse für die Ausbildungspraxis

Das Kontext-Ebenen-Modell hat zudem für die Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und für die Beratungspraxis einen großen Wert. Nahezu alle pädagogischen Ausbildungsprogramme enthalten Entwicklungstheorien. Hierbei streiten die Schulen, ob die normative oder die phänomenologische Herangehensweise an Entwicklung die bessere sei. Normativen Theorien wird vorgeworfen, sie hätten keinen echten Realitätsbezug, und phänomenologischen Theorien, dass sie sich von der Realitätsbeschreibung nicht lösen können. Die in meiner Dissertation vorgestellte methodische Herangehensweise stellt eine Vermittlung in diesem Streit dar, der sich wie bei den Biografieforschern auf Ebene 1 des Modells abspielt. Empirische Theorien werden aus einer phänomenologischen Fallbetrachtung heraus entworfen, dann in ihrem Theoriekern präzisiert und abschließend bestimmt, welche weiteren Beispielfälle zu diesem Theoriekern passen. Man versucht nicht mehr, allgemeingültige Theorien zu entwerfen und in der Wirklichkeit zu widerlegen bzw. belegen.
Der Theoriekern erhält damit einen großen Wert für die Praxis. Die Strukturen – hier das Kontext-Ebenen-Modell – fungieren als eine Art Brille, mit der die Phänomene anders gesehen werden. Die Brille erleichtert das Sehen und verhilft von höherer Ebene aus zur Orientierung in der Praxis. Wichtig zu wissen ist, dass es mehrere Brillen gibt und wir die Brille wechseln können, wenn das Bild mit der alten Brille nicht mehr scharf wird. Die Wirkung von Strukturwissen kann jeder nachvollziehen, der eine gute Mathelehrerin hatte: Auf der Suche nach der idealen Gefäßform, in die das meiste Wasser passt, haben wir in den ersten Schuljahren noch mit Wasser und Messbecher herumprobiert. In höheren Schulklassen folgte dann die mathematische Struktur, die Längenmaße und Volumen ins Verhältnis setzt und uns über den Hochpunkt einer Funktion das ideale Gefäß finden lässt. Funktionen werden zu Strukturen, die uns später die Welt erklären können, wann der Teich vollständig mit Entengrütze bedeckt sein wird, wie lange wir auf das eigene Auto sparen müssen etc. Schon hier versagt unsere Ausbildung zu oft, so dass nicht verwunderlich ist, dass in den nicht-mathematischen Fächern gar nicht erst nach Strukturwissen gefragt wird. Ich würde das gerne ändern. Die kognitive und soziale Entwicklung des Menschen lässt sich in ihrer Struktur erfassen. Wir sollten diese Möglichkeit nutzen.
Einen ersten Versuch habe ich in den letzten Wochen mit einer Studentinnen-Gruppe machen können. Die teilweise schon lange praktizierenden Erzieherinnen kennen aus ihrer Arbeit in der Kita verschiedene Beobachtungs- und Evaluationsinstrumente für den Entwicklungsstand von 0- bis 6-Jährigen. Wir haben uns zwei Tage Zeit genommen, das Kontext-Ebenen-Modell zu verstehen und entsprechend die Begriffe Lernen, Entwicklung und Bildung zu differenzieren. Und es funktioniert. Die Studentinnen haben die Struktur des Entwicklungsprozesses durchschaut und in faszinierender Weise Beispiele aus ihrer Praxis zu den Stufen geliefert. Wir waren uns einig, dass sich Entwicklung mit dem Modell leichter verstehen lässt, als mit dem Blick auf einzelne je nach Entwicklungstabelle verschiedene Beschreibungen, was ein Kind können müsste. Die erstaunlichste Erkenntnis war, dass dieses Strukturwissen nicht zu einer Normierung der Fähigkeiten führt, sondern eine größere Offenheit ermöglicht. Wenn ich weiß, dass ein Kind im Kindergarten auf Stufe 1 die Fähigkeit ausbildet, seine Sinneszeichen zu Wahrnehmungszeichen zu verbinden, dann kann ich alle ähnlichen Versuche als diesen Entwicklungsstand anerkennen, egal welchen Inhalt die Zeichenbildung hat. In den nächsten Modultagen werden wir in Form eines Projektes die vorhandenen Entwicklungspläne analysieren und dazu konkrete Verhaltensweisen von Kindern beobachten, um diese Beispiele in die Struktur zu integrieren, d. h. wir werden die neue Brille einsetzen, um schärfer zu sehen und eventuell Zeichen-Arten noch weiter zu differenzieren.
Ein weiteres Anwendungsfeld stellt für mich die Beratung von Student/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen und damit die Aufnahme des Ausgangspunktes meiner Forschungstätigkeit dar. Diese Personengruppe entwickelt sich noch stark, wird also selbst neu. Zudem sind Doktorand/innen diejenigen, die das Neue in ihre Forschungsbereiche einbringen. Beratung durch Hochschullehrer oder externe Berater findet hier in einem doppelten Spannungsfeld statt: Zum einen steht die individuelle Entwicklung des zu Beratenden oft an einem Übergang, zum anderen haben die Forscher/innen mit dem Verstehen und evtl. sogar dem Überschreiten von methodologischen Forschungstraditionen zu tun. Hier ist ein Berater gefragt, der die Strukturen individueller, aber auch wissenschaftstheoretischer Entwicklungen kennt. Ohne das Neue selbst inhaltlich bestimmen zu können, ist der wissenschaftliche Berater ein Geburtshelfer des Neuen. Das Kontext-Ebenen-Modell kann als Hilfsmittel für wissenschaftliche Beratungssituationen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität dienlich sein. Dazu muss es aber noch in eine Didaktik übersetzt werden. So wie für die Praxisanwendung im Kindergarten, muss auch für eine Umsetzung in der Hochschule nicht nur ein passendes Beobachtungsinstrument entwickelt werden, sondern auch ein Konzept, wie entsprechende Lern-Arten förderbar sind.
Eines lässt sich für diese Konzepte aus der vorgestellten Struktur schon jetzt ableiten: Transformationen der Regeln der Bedeutungsbildung lassen sich nur aus der bereits bestimmten Struktur rückblickend beschreiben und können nicht für künftige Prozesse bestimmt werden. Transformation fasst nur jenen Begriff, der erklären kann, wie das Neue strukturell entsteht, aber nicht, was das Neue inhaltlich ist.

Berlin, 2014

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Literatur
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Kegan (1994): In Over Our Heads. The Mental Demands of Modern Life, Cambridge (Mass.)/London 1994.
Kokemohr, Rainer (2004): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Fremden. Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie, (unveröffentlichtes Manuskript).
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Koller, Hans-Christoph (2002): Bildung und kulturelle Differenz. Zur Erforschung biographischer Bildungsprozesse von MigrantInnen. In: Kraul, Margret; Marotzki, Winfried [Hrsg.]: Biographische Arbeit, Opladen 2002, S. 92-116.
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Marotzki, Winfried (1990): Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie. Biographietheoretische Auslegung von Bildungsprozessen in hochkomplexen Gesellschaften, Weinheim 1990.
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Peirce, Charles Sanders (1960b): Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Volume V / VI: Pragmatism and Pragmaticism / Scientific Metaphysics, Cambridge/M. 1960.
Richter, Beate (2014): Bildung relational denken. Eine strukturtheoretische Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs anhand von Robert Kegans Entwicklungstheorie, Dissertation an der HumboldtUniversität zu Berlin.
Stegmüller, Wolfgang (1980a): Ein kombinierter Zugang zum Verständnis der Theoriendynamik. Wie sich historische Interpretationen des Theorienwandels durch Benützung mengentheoretischer Strukturen präzisieren lassen. In: Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980, S. 136-174.
Stegmüller, Wolfgang (1980b): Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980.
Stegmüller, Wolfgang (1986): Rationale Rekonstruktion von Wissenschaft und ihrem Wandel, Stuttgart 1986.

Dieser Text steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ (CC BY-NC-SA). Diese Lizenz erlaubt es Ihnen, diesen Text - ausschließlich nicht-kommerziell - zu verbreiten, zu remixen, zu verbessern und darauf aufzubauen. Beate Richter ist als Urheberin des Originals stets zu benennen. Die Veröffentlichung eines auf diesem Werk basierenden neuen Werkes muss unter denselben Bedingungen veröffentlicht werden.
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Veröffentlichungen - Dr. Beate Richter



Relationale Bildung für Europa.
Vorschlag zu einem bildungswissenschaftlichen Forschungsprogramm

Beate Richter (Gedanken zum Auftakt der Round-Table-Gespräche im September 2016)

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Als überforderndes, sogar bedrohliches Kennzeichen unserer Zeit wird oft die Komplexität in gesellschaftlichen oder von technischen Systemen aufgerufen. Wir sagen damit, dass uns die Komplexität überfordert, da wir das System nicht in Gänze erfassen, sein Verhalten nicht vorhersehen, nicht vorhersagen können. Pragmatisch [1] gedacht, heißt das, dass wir angesichts einer komplexen Situation nicht wissen, wie wir reagieren bzw. handeln sollen. In solchen Situationen ist die menschliche Bedeutungsbildung – mit einer passenden Handlung auf eine vorausgehende Handlung oder Situation zu reagieren –, die ein verstehendes Kommunizieren erlaubt, empfindlich gestört [2].
Für Kinder sind solche Störungen alltäglich. Sie reagieren auf eine Handlung oder Situation und müssen oft feststellen, dass sie falsch liegen. Sie verstehen nicht, d. h. sie wissen nicht, wie man auf eine bestimmte Handlung reagiert und sind zuweilen damit überfordert. Aber sie finden schnell eine Person, die ihnen hilft, die ihnen zeigt, wie man richtig reagiert, oder eine Maschine, von der sie lernen können, richtig zu reagieren. Der Staatschef, der auf einen Terroranschlag in seiner Hauptstadt reagieren muss, steht wie das Kind vor einer komplexen und neuartigen Situation, in der er sich für eine richtige Reaktion entscheiden muss. Nur kann er keine höhere Instanz fragen, keiner kann ihm sagen, was eine richtige und was eine falsche Handlung ist, da es diese Situation noch nie gegeben hat. Wie diesen politischen oder unternehmerischen Entscheidungsträgern geht es auch Wissenschaftlern. Sie sehen sich Phänomenen gegenüber, die keiner vor ihnen bisher gesehen oder bearbeitet hat. Diese Phänomene erscheinen neu, komplex, unerklärlich, d. h. wir wissen nicht, wie wir mit ihnen umgehen sollen.
Am beschriebenen Phänomen der menschlichen Ratlosigkeit, dem Nicht-Wissen, wie zu handeln ist, macht sich aus der Sicht des Pädagogen das grundsätzliche pädagogische Problem fest: Uns fehlen immer wieder gute Strategien, um dem ratlosen Menschen nachhaltige, vielleicht auch effektive Wege zu einem sicheren, d. h. passenden Handeln in einer Gemeinschaft aufzuzeigen. Zu allen Zeiten besteht der pädagogische Impuls, den Menschen in seiner Entwicklung zu unterstützen, indem man ihm richtige Handlungsweisen vorgibt. Diese Vorgaben beginnen im Kindergarten und enden in der Berufsausbildung oder der Universität. Abschließender Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit müsste sein, den Menschen zu befähigen, mit dem Neuen, dem Unbestimmten selbstständig umgehen zu können. Am Ende des Wissens, des Bekannten, des Bestimmten angelangt, brauchen Wissenschaftler und Entscheidungsträger Methoden, um angesichts des Unklaren, Unbestimmten, des Neuen in ein eigenständiges bedeutungsbildendes Handeln zu kommen. Man kann sagen, der Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit ist die Abschaffung des Pädagogen.
Die praktische Pädagogik benötigt also zu allen Zeiten effektive, zeitgemäße und nachhaltige Strategien, um Menschen jeden Alters darin zu unterstützen, über Interaktionen einen funktionalen eigenen Weg der Bedeutungsbildung zu entwickeln, der bis zur völlig autarken Selbstbildung führen kann. Diese Entwicklung hin zu einem handlungsfähigen Menschen wird seit Wilhelm von Humboldt im deutschen Sprachraum mit dem Wort Bildung belegt. Hierbei wird der Prozess des Sich-Bildens als ein Selbst-Werden, ein Sich-Entwickeln der Person in Lernprozessen oft mit dem Prozess des Ausbildens, Be-Lehrens, Erziehens verwechselt. Der Bildungsprozess kommt aber nur der Person selbst zu. Pädagogen müssen daran glauben, dass ihre Tätigkeit eine bildende Wirkung hat, neben oder über jene Interaktionen hinaus, die jeder Mensch im alltäglichen Handeln erlebt. Die bewusste und gesteuerte Unterstützung durch Pädagogen nimmt aber wahrscheinlich nur einen sehr kleinen Bereich der bildenden Interaktionen ein. Somit sprechen Überlegungen zur Thematik Bildung alle Personen an, die Menschen in ihrem Werden, ihrer Entwicklung begleiten: Eltern, Verwandte, Erzieher, Lehrer, Hochschuldozenten, Trainer, Berater, Coaches, Therapeuten etc.
Gängige Meinung ist nun: Wer wissen möchte, wie der Bildungsprozess eines Menschen vom Kind bis hin zum selbstständigen Entwickler neuer Bedeutungen unterstützt bzw. gefördert werden kann, der sollte Klarheit darin haben, was diesen Bildungsprozess ausmacht. Pädagogen haben bis heute keine Einigkeit erreicht, was sie unter Bildung verstehen. Erst auf der Basis eines zeitgemäßen Bildungsverständnisses könnten Strategien für die entscheidenden pädagogischen Wirkungsbereiche entwickelt werden: die frühkindliche Bildung, die Bildung von Kindern und Jugendlichen und die Bildung von Erwachsenen.
Gründe für diese Art der Suche nach einem strategisch nutzbaren Bildungsverständnis hat es immer gegeben. Zu Recht trifft hier der Vorwurf, nichts Neues zu suchen. Der Hauptgrund für den Ausbruch "zurück zu Humboldts Bildung" liegt in der Wahrnehmung eines Rückschritts in den pädagogischen Institutionen in Europa. Bildung wird wieder reduziert auf Ausbildung, auf Schulung in der Anpassungsfähigkeit junger, aber auch älterer Menschen an zumeist ökonomische Systemanforderungen. Evaluationen wie PISA, Reformen der Hochschulbildung wie im Bologna-Prozess führen zu pädagogischen Strategien, die nur in Maßen auf die Herausforderungen unserer gesellschaftlichen Entwicklungen vorbereiten und kaum Beiträge leisten, die Handlungsfähigkeit der Menschen hin zu einer Selbststeuerung in komplexen bzw. unbestimmten Situationen zu fördern.
Mit einer theoretischen Fundierung bzw. Operationalisierung von Bildung könnten die Stellschrauben für pädagogisches Handeln in Institutionen der europäischen Bildungssysteme bestimmt werden. Weniger eine vorschnelle Konkretisierung dieser Fundierung in Form weiterer Reformen soll die Perspektive dieses Forschungsprogramms sein, sondern eine grundsätzliche Diskussion um ein zeitgemäßes Verständnis von Bildung. Letztlich ist zu prüfen, ob das Konzept Bildung eine Basis für eine zeitgemäße Entwicklung von Bildungsinstitutionen und -systemen in Europa sein kann. Ein weiterer großer Schritt würde dann sein, spezifische und übergreifende pädagogische Strategien zu entwerfen. Um passende pädagogische Strategien zu entwerfen, die eine Optimierung von individuellen Bildungsprozessen bis hin zur Befähigung von Selbstbildungsprozessen ermöglichen, ist ein fundiertes Wissen um die Struktur von Bildungsprozessen nötig und damit ein Wissen um das, was Bildung fördert bzw. hemmt.
In Deutschland nimmt der Bildungsdiskurs seinen Ausgangspunkt bei Wilhelm von Humboldt. Im Rahmen der "Bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung" wird seit Mitte der 1980er Jahre in der Linie von Rainer Kokemohr, Hans-Christoph Koller und Winfried Marotzki der Schwerpunkt auf eine Verbindung von traditionell theoretischer Bildungsphilosophie und aktuell hofierter empirischer Bildungsforschung über das Konzept der Biographie gelegt. Seit nunmehr 30 Jahren ist das erklärte Ziel, den transformatorischen Bildungsbegriff in der Humboldtschen Tradition zu präzisieren. Als Basis wird folgender Bildungsbegriff gewählt: Bildung ist ein Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person aus Anlass von Krisenerfahrungen, welche die bestehenden Figuren in Frage stellen [3]. Trotz intensiver Forschungstätigkeit kommen diese Studien nicht zu einer zufriedenstellenden Operationalisierung des Bildungsbegriffes.
Beate Richter attestiert 2014 dieser dem Interpretativen Paradigma verpflichteten Forschungstradition, sich in einer methodologischen Sackgasse eingerichtet zu haben. Als Weg aus dieser schlägt sie den Übergang zu einer relationalen pragmatischen Methodologie vor, die sich in den Sozialwissenschaften international bereits langsam etabliert (siehe u. a. Kivinen/Piiroinen, 2006; Fuhse/Mützel 2010). Grundsätzlich geht es hierbei um eine Lösung von repräsentationalen bzw. substantiellen Methodologien, die eine Trennung von Ontologie und Epistemologie vornehmen, was schwerwiegende Trennungen nach sich zieht und zu Dichotomien wie etwa von Theorie und Empirie führt. Eine relationale Perspektive wird aktuell als pragmatische Methodologie gedacht, welche die Bedeutungsbildung in der Interaktion verortet, nach dem Wie des Prozesses der Bedeutungsbildung fragt und nicht nach dem Warum, das die genannten Dichotomien erzeugt (Kivinen/Piiroinen, 2006).
Eine erste Arbeit, die im relationalen Paradigma eine Vorstufe zu einer Operationalisierung wagt, liegt mit der Dissertation "Bildung relational denken" von Beate Richter (2014) vor. Diese als Exploration zu verstehende Arbeit wählt eine dem relationalen Denken verpflichtete Methode, die informelle Axiomatisierung in der Tradition von Wolfgang Stegmüller und Wolfgang Balzer, und arbeitet die Struktur von Bildungsprozessen heraus, indem sie die empirische Entwicklungstheorie von Robert Kegan axiomatisiert. Ergebnis ist ein "Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung", das über eine Modellierung des Bildungsprozesses eine klare Abgrenzung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen ermöglicht und einen vielversprechenden Ansatz für eine Operationalisierung des Bildungsbegriffes darstellt.

Aus diesem Stand der Forschung zum Bildungsbegriff ergeben sich nun drei Arbeitsfelder, die nach einer angemessenen Exploration zu eigenständigen Forschungszielen werden können:
1. Auf der Ebene der Methodologie ist die Perspektive des relationalen, nicht-repräsentationalen mithin pragmatischen Denkens zu sichern. Hierbei ist abweichend von realistischen Methodologien das Wie der sozialwissenschaftlichen Bedeutungsbildung zu bestimmen. Die großen Fragen sind: Welches Ziel hat eine relationale Erkenntnisgewinnung? Was sind die Alternativen zu einer Dichotomisierung von Theorie und Empirie? Wie sollten wir diese anders verstandenen ‚Theorien‘ nennen? Welche Methoden erlauben die Zielerreichung einer relationalen ‚Theorie‘-Bildung?
Diese Fragen sind entscheidend für die Begründung einer methodischen Operationalisierung des Bildungsbegriffes, sofern wir nicht zu der Einsicht kommen, dass auch diese Form überholt ist.
2. Methoden im relationalen Paradigma sind noch nicht etabliert. Der Rückfall in eine Rekonstruktion des Bildungsbegriffes im substantiellen Paradigma muss vermieden werden. Somit besteht die Aufgabe, bestehende Methoden der Theoriebildung / Begriffsdefinition oder -rekonstruktion entweder als relationale zu identifizieren oder neue relationale Methoden zu entwickeln. Die zu beantwortenden Fragen lauten: Welche Methoden können im Rahmen einer relationalen Methodologie etabliert werden, um eine bildungswissenschaftliche relationale ‚Theorie‘-Bildung zu ermöglichen? Kann die informelle Axiomatisierung (nach Stegmüller/Balzer) als funktionale Methode im relationalen Paradigma genutzt werden?
3. Akzeptiert man vorerst die informelle Axiomatisierung als eine relationale Methode, sind weitere empirische Theorien über Robert Kegans Entwicklungstheorie hinaus zu axiomatisieren, um die Struktur von Bildungsprozessen zu bestimmen. Die empirische (zumeist qualitative) Bildungsforschung stellt aktuell keine empirischen Theorien bereit, die einen Entwicklungsgrad erreicht haben, der eine Axiomatisierung sinnvoll macht. Hingegen sind einige Entwicklungstheorien der Psychologie in einem erfolgversprechenden Stadium. Robby Cases, Kurt Fischers Ansätze könnten untersucht werden, um Übereinstimmungen mit Kegans Theoriestruktur herauszuarbeiten und Begriffsfelder innerhalb dieser Struktur noch weitergehend zu bestimmen. Von besonderem Interesse sind bei dieser Vertiefung der Struktur die Anlässe von Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse und der Transformationsprozess selbst.

[1] Ich beziehe mich hier auf die pragmatistische Maxime von Charles Sanders Peirce: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce, 1973, S. 6) (CP 5.18).
[2] Ich vermute, dass der Begriff der Komplexität je nach Zeitgeschehen austauschbar ist. Begriffe wie Risiko, Informationsflut, Orientierungsverlust waren in deutschen Diskursen um gesellschaftliche Veränderungen zur Jahrtausendwende sehr beliebt. Auch das Wort Krise scheint aktuell ein Marker zu sein, der anzeigt, dass wir nicht wissen, wie wir handeln sollen.
[3] Zu finden sind diese Formulierungen in den verschiedenen Schriften von Kokemohr, Koller, Marotzki und den auf ihren Schriften aufbauenden Dissertationen (siehe Richter 2014).


Berlin, September 2016

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Literatur
Balzer, Wolfgang (1982): Empirische Theorien: Modelle - Strukturen - Beispiele, Braunschweig/Wiesbaden 1982.
Balzer, Wolfgang (1997): Die Wissenschaft und ihre Methoden. Grundsätze der Wissenschaftstheorie, Freiburg/München 1997.
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Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
Drechsel, Paul (2010): Von Grassmanns Ausdehnungslehre zur Geometrischen Algebra und Logik, Vortrag im Ernst Schröder Zentrum der TU Darmstadt, 29. Januar 2010, Online: http://www.drechselscience.de/Vortrag%20TU-Darmstadt-29-01-10.pdf, Zugriff am: 11.6.2012. Drechsel, Paul (2013): Relationskonzept, Online: http://www.drechsel-science2.de/relationskonzept/, Zugriff am: 8.4.2013.
Drechsel, Paul (o. J.): Logik der Arbeitsverteilung und Arbeitsverbindung, Kapitel 2 des Manuskripts, Online: www.drechsel-science.de/Globalisierungs-Vortrag/Buch-Kapitel-2.pdf, Zugriff am: 18.4.2012.
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Fischer, Kurt; Bidell, Thomas (2006): Dynamic Development of Action and Thought, Online: http://www.gse.harvard.edu/~ddl/articlesCopy/FischerBidell ProofsCorrected.0706.pdf
Fuhse, Jan; Mützel, Sophie (Hrsg.) (2010): Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung, Wiesbaden.
Kegan, Robert (1982): The Evolving Self. Problem and Process in Human Development, Cambridge (Mass.)/London 1982 (E-Book).
Kegan, Robert (1986): Entwicklungsstufen des Selbst. Fortschritte und Krisen im menschlichen Leben, München 1986.
Kegan, Robert (1994): In Over Our Heads. The Mental Demands of Modern Life, Cambridge (Mass.)/London 1994.
Kokemohr, Rainer (1992): Zur Bildungsfunktion rhetorischer Figuren. Sprachgebrauch und Verstehen als didaktisches Problem. In: Entrich, Hartmut; Staeck, Lothar [Hrsg.]: Sprache und Verstehen im Biologieunterricht, Alsbach, S. 16-30.
Kokemohr, Rainer (1994): "C’est la crise". Zur Funktionsweise alltagsrhetorischer Weltdeutungen. In: Sabban, Annette; Schmitt, Christian [Hrsg.]: Sprachlicher Alltag. Linguistik – Rhetorik – Literaturwissenschaft, Tübingen, S. 227-244.
Kokemohr, Rainer (2004): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Fremden. Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie, (unveröffentlichtes Manuskript).
Kokemohr, Rainer (2007): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Anspruch des Fremden. Eine theoretischempirische Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie. In: Koller, Hans-Christoph; Marotzki, Winfried; Sanders, Olaf [Hrsg.]: Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrungen. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Bielefeld 2007, S. 13-68.
Koller, Hans-Christoph (1999): Bildung und Widerstreit. Zur Struktur biographischer Bildungsprozesse in der (Post-)Moderne, München 1999.
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Marotzki, Winfried; Nohl, Arnd-Michael; Ortlepp, Wolfgang (2006): Bildung. In: Einführung in die Erziehungswissenschaft. Wiesbaden 2006, S. 165-172.
Osmo Kivinen, Tero Piiroinen (2006a): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy, Philosophy of the Social Sciences, 36 (2006) 3, 303-329.
Richter, Beate (2014): Bildung relational denken. Eine strukturtheoretische Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs anhand von Robert Kegans Entwicklungstheorie, Dissertation an der HumboldtUniversität zu Berlin.
Stegmüller, Wolfgang (1980a): Ein kombinierter Zugang zum Verständnis der Theoriendynamik. Wie sich historische Interpretationen des Theorienwandels durch Benützung mengentheoretischer Strukturen präzisieren lassen. In: Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980, S. 136-174.
Stegmüller, Wolfgang (1980b): Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie, Berlin/Heidelberg/New York 1980.
Stegmüller, Wolfgang (1986a): Rationale Rekonstruktion von Wissenschaft und ihrem Wandel, Stuttgart 1986.

Dieser Text steht unter der Creative-Commons-Lizenz "Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen" (CC BY-NC-SA). Diese Lizenz erlaubt es Ihnen, diesen Text - ausschließlich nicht-kommerziell - zu verbreiten, zu remixen, zu verbessern und darauf aufzubauen. Beate Richter ist als Urheberin des Originals stets zu benennen. Die Veröffentlichung eines auf diesem Werk basierenden neuen Werkes muss unter denselben Bedingungen veröffentlicht werden.

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Alles ist relationale Zeichenbildung! Kommunikation als interaktiver Bedeutungsbildungsprozess Ein Versuch, Relationslogik (nach Paul Drechsel & Dieter Leisegang) und Semiotik (nach Charles S. Peirce) zu verbinden.

Beate Richter (9/2015)

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Die Frage, die über diesem Versuch steht und hier nicht abschließend beantwortet werden kann, lautet: Wie entstehen in interaktiven Kommunikationsprozessen Bedeutungen? Mit dieser Frage wird die Suche nach einer relationalen Methodologie verfolgt, wie sie Kivinen und Piiroinen (2006) unter der Bezeichnung pragmatischer Relationalismus fordern [1].
Paul Drechsel behauptet in einer langen, wenig beachteten Tradition: "Alles ist Relation!" [2] (Drechsel 2009). Charles Sanders Peirce eröffnet mit seiner Behauptung "Alles ist Zeichen!" im späten 19. Jahrhundert die neue Tradition der Semiotik. In einer Zeit, in der die Rede vom relationalen Paradigma und relationalen Netzwerken Mode geworden ist, möchte ich diese beiden fundamentalen Ansätze miteinander ins Gespräch bringen, um dem so genannten relationalen Denken eine strukturtheoretische Basis zu geben. Kommunikation wird hierbei als Prozess der Bedeutungsbildung verstanden und als Akt der Zeichenrelationierung interpretiert.
Ziel dieses Textes ist es, auf die Möglichkeiten der Verbindung dieser beiden Ansätze hinzuweisen und sie in ihren sich gegenseitig ergänzenden Kernen darzustellen. Die Zusammenführung in eine gemeinsame Struktur des Bedeutungsbildungsprozesses, in einem Modell der evolutionären Bedeutungsbildung bleibt hier jedoch noch offen.

Paul Drechsel: "Alles ist Relation!"

Wenn Kivinen und Piiroinen (2006) von John Dewey die Idee aufnehmen, dass die Relation, welche die Bedeutungen erst schafft, zum zentralen Untersuchungsgegenstand eines Methodologen werden sollte, so versäumen sie doch zu bestimmen, was sie unter einer Relation verstehen. Eine philosophische Denktradition, die die Relation in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, pflegen die Relationslogiker. Wenig beachtet, bezieht sich Paul Drechsel in seinen zahlreichen Veröffentlichungen zur Relationslogik auf Dieter Leisegang (1969), der nach langer Unterbrechung der philosophischen Diskussion die Relationslogik in den 1960er Jahren in Erinnerung bringt. Drechsels iterative Erweiterung (2000 bis 2010) dieser Relationslogik wird von Beate Richter (2014) aufgenommen und im Rahmen einer entwicklungstheoretischen Axiomatisierung formal präzisiert. Letztere ist Hauptgegenstand des aktuellen, oben genannten Forschungsprojektes der Modellierung von Bedeutungsbildung.
Neben der traditionellen Relationslogik der funktionenlogischen Mathematik [b = R(a)] gibt es eine philosophische Sichtweise der Relation, welche die Relation a r b als ein antinomisches Produkt von Innen und Außen betrachtet (Drechsel 2009). "Zum einen verbindet die Relation ‚R’ die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet somit ihr ‚Innen‘, ‚Einen‘ oder ‚Identität‘, zum anderen trennt sie zugleich die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet ihr ‚Außen‘, ‚Trennen‘ oder ‚Differenz‘" (Drechsel et al. 2000: 40). Diese Momente des Verbindens und Trennens schließen sich wechselseitig ein und aus und führen in eine "fundamentale Widersprüchlichkeit", die im Verlauf der europäischen Denkgeschichte auf drei verschiedene Weisen gelöst worden ist (Drechsel et al. 2000: 40).
Diese von Dieter Leisegang (1969) als Relationen erster, zweiter und dritter Potenz bezeichneten Lösungen können folgendermaßen interpretiert werden: Die Relation erster Potenz stellt sich als absolute Trennung von Zeichen dar, die damit in einer Außenbeziehung stehen. Die Verbindung von Zeichen ist hingegen die reine Innenbeziehung. Beide Momente – das Trennen und das Verbinden – sind Erscheinungsformen der vollständigen Relation R, aber nur unabhängig voneinander denkbar. Die Relation dritter Potenz erscheint als Vollzug des Relationierens (Richter 2014: 53) und ist nach Drechsel die Kombination der ersten und zweiten Potenz der Relation: "Die Relation dritter Potenz operiert in untrennbarer Parallelität von ‚Innen‘ und ‚Außen‘, ihre Momente operieren in einem paradoxen Doppelspiel. Fixiert man das Innen, operiert das Außen, fixiert man das Außen, operiert das Innen" (Drechsel et al. 2000: 65).
Diese Denkweisen der ersten, zweiten und dritten Potenz der Relation lassen sich in Peirce Schlussregeln der Deduktion, der Induktion und der Abduktion wiedererkennen. Während Leisegang und Drechsel die Relation fokussieren und eine allgemeine Bestimmung der Relata überspringen, fokussiert Peirce das Zeichen und lässt die Relation als solche außer Acht. Die Zusammenführung beider Ansätze kann zu einer Präzisierung der Idee einer relationalen Bedeutungsbildung führen. Bevor jedoch dieser Zusammenhang hergestellt wird, soll hier zunächst Peirce Zeichenbegriff in eigener Interpretation zusammengestellt werden.

Charles Sanders Peirce: "Alles ist Zeichen!"

Wohlbekannt und aus den Collected Papers (CP) des Charles Sanders Peirce [3] vielzitiert, sind seine pragmatistische Maxime bzw. das pragmatische Prinzip [4], die Schlussregel der Abduktion und die Definition des Zeichens. Obwohl Peirce die Frage des Pragmatismus mit der Frage der Logik der Abduktion gleichsetzt [5], finden sich keine Untersuchungen, die diese Deckungsgleichheit aufnehmen. Hinzu kommt, dass die Bildung trirelationaler Zeichen auch von Peirce selbst nicht im Zusammenhang mit seinen Schlussregeln diskutiert wird. Im Folgenden wird daher der Versuch gewagt, zunächst die pragmatistische Maxime konsequent auf die triadische Struktur des Zeichens zu beziehen, und damit eine neue Deutung der Peirceschen Zeichendefinition vorgeschlagen. Anschließend wird diese Zeichendefinition unter Verwendung von Leisegangs und Drechsels Interpretation der Relation mit den Denkweisen der Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion verbunden. Damit gelingt es, das Zeichen konsequent dreiwertig und relational zu denken und so das substantielle Denken zu übersteigen.
Wer mit Peirce‘ Verständnis von Semiose arbeiten möchte, muss bezüglich des Zeichen-Begriffes radikal umdenken. Ein Zeichen ist logisch nicht zweiwertig – wie in zahlreichen Zeichentheorien des 20. Jahrhunderts [6] –, sondern dreiwertig zu denken. Nicht nur Zeichen und Bezeichnetes, sondern Repräsentamen, Objekt und Interpretant bestimmen nach Peirce die dreiwertige Zeichen-Struktur. Darüber hinaus ist ein Abschied von der bisherigen Denkweise von Repräsentation nötig. In vielen Auseinandersetzungen mit Peirce‘ Ansatz wird die Rede von Objekt und Repräsentamen unangemessen übersetzt in ein Verhältnis des realen Objekts zum zeichenhaften Abbild und der Interpretant wird fälschlicherweise als ein Interpret aufgefasst, der die Vermittlung zwischen Original und Abbild übernimmt [7].
Nina Ort fordert in ihrer Reflexionslogischen Semiotik in Bezug auf Peirce‘ Zeichenbegriff den Verzicht auf die Idee der Vermittlungsfunktion, die zum Denken der zweiwertigen Logik gehört, und fordert das konsequente Denken dieser Funktion als Relationierung (Ort 2007: 195 f.). Diese Forderung wird hier mit der pragmatischen Maxime von Peirce kombiniert, um zu einem relationalen dreiwertigen Verständnis von Semiose als Prozess der Zeichenbildung zu gelangen. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist hierbei das Prozessdenken. Es geht nicht darum, die Entstehung eines materialen Zeichens im Sinne eines Wortes oder eines Verkehrszeichens zu begründen, sondern um die Bildung von Bedeutungen, die Handlungen motivieren.
Das Prinzip des Pragmatismus formuliert Peirce in seinen Harvard-Vorlesungen aus dem Jahr 1903 folgenderma- ßen: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce CP 5.18). ["Pragmatismus ist das Prinzip, daß jedes theoretische Urteil, das in einem Indikativsatz ausdrückbar ist, eine unklare Form des Denkens ist, deren einzige Bedeutung, wenn sie eine besitzt, in der Tendenz liegt, eine korrespondierende praktische Maxime zu verstärken, die als ein Konditionalsatz, dessen Nachsatz im Imperativ steht, ausdrückbar ist" (Peirce, 1973, S. 7).]
Ein Konditionalsatz hat die Form: Wenn X, dann Y. Der Nachsatz Y soll hierbei ein Imperativ sein. Wenn ich also das Zeichen X wahrnehme, dann bedeutet mir dieses, dass ich im Sinn von Y handeln sollte. Wenn die Pianistin ihr Klavierspiel beendet und dazu die Hände nach dem Abheben von den Tasten wieder senkt und langsam aufsteht, dann darf bzw. sollte das Publikum applaudieren. Das Applaudieren des Publikums wird wiederum zum Zeichen, das eine scheinbar endlose Kette von Handlungen erzeugt: Die Pianistin verbeugt sich und dankt. Auf ein bekanntes Zeichen (wenn) folgt eine gewohnte Handlung (dann).
Mit der pragmatischen Sicht auf die Zeichenbildung wird negiert, dass ein Zeichen als solches Bedeutung hat, und postuliert, dass es seine Bedeutung durch die Konsequenzen seines Gebrauchs erhält. Für Peirce heißt das: "There is no distinction of meaning so fine as to consist in anything but a possible difference of practice" (Peirce 1999: 265). Es werden keine Originale oder Objekte mit entsprechenden Symbolen oder Abbildern verknüpft, sondern Zeichen mit Zeichen, die einen Weisungscharakter für uns haben. Die Bedeutung des ersten Zeichens Z1 besteht darin, zu wissen, welche Handlung, die wiederum zu einem Zeichen Z2 wird, zu folgen hat. Die Verknüpfung von Z1 und Z2 kann als Regel betrachtet werden.
Im oben aufgeführten Prinzip des Pragmatismus lässt sich der Zeichenbegriff allerdings nur schwer erkennen. Peirce definiert das Zeichen als triadische Relation: "A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object” (Peirce CP 2.274).
Aus pragmatischer Perspektive können das Repräsentamen und das Objekt als die Zeichen Z1 und Z2 interpretiert werden. Sie erscheinen vorerst logisch in der Chronologie von Erstem und Zweitem. Oft als das Allgemeine oder das Vermittelnde interpretiert, ist das Dritte, der Interpretant, der die Relation r im Sinne der Regel "Wenn …, dann …!" zwischen den Zeichen herstellt (siehe Abbildung 1). Da die Bezeichnungen Abbild und Objekt zu häufig in Verbindung mit einer zweiwertigen Logik verwendet werden, verzichte ich darauf und nutze nur den Begriff Zeichen unter Angabe der Position 1 oder 2 bzw. w(-enn) oder d(-ann). Später wird sich zeigen, dass die Reihenfolge 1, 2, 3 der Schlussregel der Abduktion entspricht, wie in Peirce‘ Gleichsetzung von pragmatischem Prinzip und Logik der Abduktion.


Abbildung 1: Pragmatische Interpretation des trirelationalen Zeichens nach Peirce

Nimmt man nun diese Struktur als Basis, lässt sich der oben im Beispiel beschriebene Kommunikationsprozess als eine endlose Kette von Zeichenrelationen verstehen (siehe Abbildung 2). Jede Anschlusshandlung Zd (d = dann) wird in dieser Position 2 wiederum zum Zeichen Zw (w = wenn) in der Position 1 einer Folgerelation. Für ein Ego wird das Zeichen Zd1 von Alter zum Zeichen Zw2.


Abbildung 2: Kommunikationsprozess mit trirelationalen Zeichen

Ein Zeichen hat für mich eine Bedeutung, wenn ich weiß, wie ich reagieren kann oder sollte. Es ist bedeutungslos, wenn ich kein Reaktionszeichen zur Verfügung habe. Bedeutung entsteht also durch die Verknüpfung eines Zeichens mit einer Handlungsanweisung, die wiederum zu einem Zeichen für einen Interpreten wird, so dass ein interaktiver Kommunikationsprozess entsteht.

Relationale Zeichen und Relationslogik

Die oft an Peirce‘ Zeichenbegriff gestellte Frage, was denn nun das eigentliche Zeichen sei – das Zeichen in der ersten Position des Repräsentamens oder die gesamte Trirelation –, lässt sich auch hier noch nicht beantworten und zeigt zugleich ein Befangensein im substantiellen Denken. Bei genauerer Betrachtung werden die Zeichen Zw und Zd und die Wenn-dann-Relation r auch in der pragmatischen Interpretation der Triade substantiell gedacht. Die beiden Zeichen der Triade in Positionen 1 und 2 repräsentieren etwas: eine Wenn-Situation und eine DannHandlung. Die Relation repräsentiert eine Wenn-dann-Schlussregel.
Wie lässt sich dieser Rückfall in substantielles Denken mit Peirce‘ Anspruch auf einen relationalen Zeichenbegriff vereinbaren? Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Aufnahme der Ideen der oben vorgestellten Relationslogik. Beziehen wir dieses relationslogische Denken auf Peirce Zeichentriade, wird deutlich, dass das Sprechen von den Zeichen Zw und Zd den Charakter der Relation erster Potenz und das Sprechen von einer Wenn-dannRelation der Relation zweiter Potenz gleichkommt. Die Rede von diesen Teilen der Zeichentriade bringt die Semiose (den Zeichenbildungsprozess) zum Stillstand. Mit den Zeichen Zw und Zd und der Zeichenrelation r werden vorerst nur die Produkte oder Ergebnisse des Zeichenbildungsprozesses erfasst. Wir können den Prozess der Relationierung entweder nur als getrennte Zeichen denken, die wir nachträglich in eine Beziehung zueinander setzen, oder nur als die Relation, als ein Wenn-dann. Der Vollzug, die Relationierung selbst ist nicht erfassbar und kann im Schema der Leisegangschen Relationslogik der Relation dritter Potenz zugeschrieben werden. Nur letzteres kann als reines relationales Denken, als relationaler Kommunikationsprozess im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, als jener Prozess, in dem neue Bedeutungen gebildet werden. Die Fokussierungen der Relata und der Relation sind dem substantiellen Denken zuzuordnen.

Schlussregeln: Abduktion, Deduktion und Induktion

Eine wichtige Konsequenz dieser Überlegungen ist, dass der Bedeutungsbildungsprozess in drei verschiedene logische Formen aufgelöst werden kann, die wiederum mit den drei Schlussregeln von Peirce – der Abduktion, der Deduktion und der Induktion – identifiziert werden können. Der Vollzug der Relationierung als Relation dritter Potenz ist sich seiner selbst nicht bewusst und kann vorerst mit der Abduktion gleichgesetzt werden. In der Relation erster Potenz zeigt sich eine bewusste Aktivität, die die Bestandteile des Relationierungsprozesses als Zeichen identifiziert, also trennt. Diese Aktivität möchte ich - vorerst unbegründet - mit der Schlussregel der Deduktion identifizieren. Die Folge des deduktiven Schlussprozesses, in dem die Zeichen getrennt werden, bildet der induktive Schlussprozess, in dem die Relation (zweiter Potenz) selbst als ein verbindendes Moment bestimmt wird.
Die Rede von bewussten und unbewussten Aktivitäten ist hier nicht passend. Alle drei Aktivitäten erfordern Bewusstsein, nur dass der abduktive Schluss eine spontane Relationierung darstellt, die als konstruktiver Innovationsprozess bezeichnet werden muss, während man Deduktion und Induktion als Rekonstruktionsprozesse bezeichnen kann, die eine abduktiv gebildete Bedeutung festigen und übertragen. Die Relata als Zeichen und die Relation als Verbindung der Zeichen werden in Wiederholungsakten interaktiver Kommunikation als solche bestimmt. Insofern kann im Falle des abduktiven Schlusses von einem unbestimmten Konstruieren und in den Fällen der deduktiven und induktiven Schlüsse von bestimmendem Rekonstruieren gesprochen werden. Diese Schlussweisen erscheinen nicht erst hier als die originären Methodologien der Sozialwissenschaftler. Die großen Streits der Paradigmen-Vertreter sind immer mit der Präferenz einer Schlussform geführt worden. Alle drei Schlüsse sollten nach den obigen Überlegungen in eine relationale Methodologie aufgenommen werden.
Abduktion, Deduktion und Induktion können mit Blick auf Peirce Zeichendefinition konsequenter relational gedacht werden. Dazu werden hier die (mehr oder weniger) bekannten Definitionen der Schlussformen von Peirce zusammengestellt und kritisch betrachtet.
Erst in seinen späten Schriften zur Logik der Forschung (ab 1901) manifestiert sich bei Peirce der Zusammenhang der logischen Schlussformen von Abduktion, Deduktion und Induktion in dieser Abfolge als die Logik der Forschungsmethoden (CP 7.59). Ralf Müller (1999) fasst diese für jeden Forschungsprozess notwendige Abfolge treffend unter dem Begriff "Metaschlußfolgerung" "als Semiose zweiter Stufe" zusammen und bestimmt sie "als de[n] Prototyp einer Semiose überhaupt, da alle drei Stufen der ‚Schlußfolgerung‘ selbst Schlußfolgerungen sind" (Müller, 1999, S. 85). Isaac Levi (1997) und J. Jay Zeman (1986) verweisen ebenfalls auf diese logische Reihenfolge: "The broadest sketch of the process of inquiry in Peirce’s terms begins with abductive reasoning, which is the educated hypothesis-formation which proposes initial organizations of figure in the problematic field. Deduction enters in a mediating way, drawing out the consequences of the abductive hypotheses. And induction consists in the return to experience which aims at confirming or refuting those hypotheses by seeing whether the deduced consequences hold or not" (Zeman, 1986, S. 12). Hier wird der vielzitierte Zusammenhang aufgemacht, dass die Abduktion eine Hypothese entwirft, die Deduktion deren Auswirkungen/Reichweite aufzeigt und die Induktion diese Auswirkungen/Reichweite überprüft.
Betrachtet man nun Peirce Aussagen zu den einzelnen Schlussregeln ergibt sich folgendes, noch nicht vollständig konsistentes Bild:
Die Abduktion wird mit dem Prinzip des Pragmatismus gleichgesetzt: "… the question of pragmatism … is nothing else than the question of the logic of abduction” (CP 5.195). Sie kann also als die oben aufgezeigte Wenndann-Relation von Zeichen gedacht werden. Hierbei steht die Abduktion am Beginn einer jeden Ausbildung von Gewohnheiten, im Sinne (später) geprüfter Regeln. Peirce spricht von einer Erwartbarkeit (abductive expectability) in Abgrenzung zur deduktiven Notwendigkeit (deductive necessity) und induktiven Wahrscheinlichkeit (inductive probability) (CP 5.193). Scheinbar im Widerspruch zu dieser Begriffswahl steht seiner Charakterisierung des abduktiven Schlusses: "The abductive suggestion comes to us like a flash. It is an act of insight, although of extremely fallible insight. It is true that the different elements of the hypothesis were in our minds before; but it is the idea of putting together what we had never before dreamed of putting together which flashes the new suggestion before our contemplation" (CP 5.181).
Versteht man den Prozess des abduktiven Schlusses als eine Wenn-dann-Hypothese, die durch das nicht-notwendige Zusammenbringen von bekannten Zeichen entsteht, dann liegt in den Zeichen der bewusste, erwartbare Teil; in der Verbindung jener Teil, den Peirce mit einem may be besetzt (CP 5.171) [8]. Diese Hypothese als Ganzes stellt jene neue Idee dar, die nur im abduktiven Prozess entstehen könne (CP 5.171) [9].
Die Deduktion nimmt als das notwendige Schließen die Mittelposition zwischen Abduktion und Induktion ein. Wichtig ist hier, dass wir Peirce‘ Charakterisierung der Deduktion nicht mit der deduktiv-nomologischen Forschungslogik der empirischen Wissenschaften gleichsetzen. Das notwendige Schließen gehe vom hypothetischen Zustand der Dinge aus und definiere diesen abstrakt (CP5.161) durch die Erläuterung der Begriffe der Prämissen (CP5.176). "… necessary reasoning is merely explicatory of the meaning of the terms of the premisses, only reversing the use to be made of it" (CP5.176). Diese Überlegung lässt sich mit Blick auf die pragmatische Wenn-dann-Relation von Zeichen als eine wiederholte Veränderung des Gebrauchs der Zeichen interpretieren, um die Relation bestimmter Zeichen zu festigen. Es geht also um die eindeutige Bestimmung der Zeichen, die in der hypothetischen Relation stehen. Diese Bestimmung ist nicht mit der üblichen Definition von Begriffsinhalten zu verwechseln. Sie ist ein Bestimmen im Sinne von Abgrenzen, was mit der oben genannten Bestimmung von consequences als der Reichweite einhergeht. Welche Zeichen sind jene, die in der Hypothese in eine Relation gebracht werden dürfen? Nicht die Überprüfung der Übereinstimmung der Hypothese bzw. ihrer Zeichen mit dem Zustand der Dinge der realen Welt, sondern die Existenz der Relation zwischen den realen Dingen der Prämisse und der Konklusion ist hier für Peirce entscheidend (CP5.161). Als Ziel des deduktiven Schließens kann damit betrachtet werden, dass durch die Deduktion aus der hypothetischen Anregung der abduktiven Zusammenführung eine stabile Wenn-Dann-Relation wird, die den Charakter einer Vorhersage hat (CP 5.171) [10]. Die Wenn- und Dann-Zeichen werden erst in diesem Trennungsprozess zu bestimmten Zeichen, was einer Relation erster Potenz gleichkommt. Für die Induktion wird das Ergebnis der Deduktion, also die gesicherte Wenn-Dann-Relation bestimmter Zeichen, zum Ausgangspunkt. Sie erhält den Status einer Theorie. "Induction consists in starting from a theory, deducing from it predictions of phenomena, and observing those phenomena in order to see how nearly they agree with the theory” (CP 5.170). Peirce spricht immer wieder von einem Testen der Vorhersage der Deduktion durch die Induktion (CP 5.171). Bezogen auf die pragmatische Wenn-Dann-Relation kann dies nur bedeuten, dass entweder beim Erscheinen eines Wenn-Zeichens mit einer gesicherten Wenn-Dann-Relation als Theorie ein Dann-Zeichen vorhergesagt wird oder umgekehrt beim Erscheinen eines Dann-Zeichens über die bekannte Relation (Theorie) ein Wenn-Zeichen rekonstruiert werden kann.
Der Unterschied zwischen deduktivem und induktivem Schluss ist hier nicht ohne weiteres ersichtlich. In beiden Fällen scheint es um ein Testen der Relation von Wenn- und Dann-Zeichen zu gehen. Im Fall der Deduktion wird jedoch bis zur Fixierung der Relation getestet, welche Zeichen zusammengehören, d. h. die Zeichen werden zu Zeichen gemacht. Im Fall der Induktion wird die Relation bewusst eingesetzt, um das dritte Element zu bestimmen. Im induktiven Testprozess wird die verbindende Relation selbst zum Zeichen gemacht. Diese Fokussierung der Relation entspricht dem Gedanken der Relation zweiter Potenz. Peirce Bezeichnung als induktiver Wahrscheinlichkeit lässt sich nur damit erklären, dass auch hier eine Art Lernprozess einsetzen muss. Zu einem Zeichen Zw1 wurden durch Deduktion ein Zd1, Zd2, Zd3 usw. stabil relationiert. Die Person, die nun in einer bestimmten Situation Zw1 wahrnimmt, muss das richtige Dann-Zeichen wählen. Im Testverfahren wird sie die bekannten verbindenden Relationen einsetzen, bis das richtige Dann-Zeichen bestätigt worden ist. Zw1 und eine bestimmte Relation müssen erkannt sein, um ein Zdx erzeugen zu können. Ungeklärt ist hierbei die Frage, wie diese Fokussierung der Relation gelingt. Gregory Bateson und Paul Watzlawick sprechen von einer Interpunktion. Die Beziehung der Kommunikationspartner wird thematisiert, d. h. sie wird zum Zeichen und kann später sogar symbolisiert werden. Ich halte es nicht für sinnvoll, hier von notwendig und wahrscheinlich zu sprechen. Die Lernprozesse, die Peirce hier als Testprozesse beschreibt, haben denselben Grundcharakter: Sie zielen auf Zeichenbildung und Symbolisierung – nur dass die Deduktion Zeichen in einem Abgrenzungsverfahren bildet und die Induktion versucht, ein Beziehungsmoment symbolisch zu fixieren. Beide Schlüsse sind an Wiederholungsprozesse gebunden.
Die Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion können also aus derselben Zeichenstruktur (Wenn-Zeichen, Dann-Zeichen und relationierende Regel) handlungslogisch abgeleitet werden. Die Abduktion wird hier als jener Entwurf verstanden, der alle drei Elemente im selben Moment zusammensetzt: Zwei Zeichen werden zu einer Regel relationiert. Die Deduktion folgt als ein Modus der Anwendung dieser Regel auf ähnliche Situationen. Im Gegensatz zu den bestehenden Peirce-Interpretationen soll hier die Deduktion in ihrer Funktion als Prüfmechanismus aufgefasst werden. Die gebildete Regel wird auf ihre Anwendbarkeit überprüft und in diesem Trennungsprozess eine Zeichenbildung vorgenommen. Die Induktion kann erst auf die Deduktion folgen, da sie die getrennten Zeichen in einer spezifischen Regel voraussetzt. Ebenfalls abweichend von den Peirce-Interpretationen möchte ich die Induktion als die Verallgemeinerung der Regel bzw. der Relation verstehen. Mit induktiven Schlüssen gelangen wir zu allgemeineren Formen der abduktiv erzeugten und deduktiv geprüften speziellen Regel.

Fazit

Aus der Zusammenführung von Drechsel/Leisegangs Relationslogik und Peirce‘ zeichentheoretischen Ansätzen lassen sich folgende Strukturen der Bedeutungsbildung in der menschlichen Kommunikation ableiten:
(1) Der Bedeutungsbildungsprozess einer Person beginnt mit einem abduktiven Schluss. In einer Interaktion von Ego und Alter wird von Ego ein Zeichen mit einem weiteren Zeichen in eine Folgebeziehung gesetzt. Beide Zeichen und ihre Verbindung sind für Ego vorerst hypothetische Setzungen, die in Wiederholungsprozessen stabilisiert werden müssen.
(2) Die intuitiv geistesblitzartige Setzung der Zeichenrelation wird in jenem Sinne deduktiv gefestigt, dass ein Wenn-Zeichen und ein imperatives Dann-Zeichen von jeweils ähnlichen Zeichen durch Wiederholungsversuche durch Ego getrennt werden. Die Betonung liegt hier nicht auf der Bestätigung der Hypothese, vielmehr auf der präzisen Bestimmung der zusammengehörigen Zeichen in einem Abgrenzungsprozess.
(3) Der dritte Schritt von Ego im Rahmen der Entwicklung einer Bedeutung hat induktiv schließenden Charakter. Die Relation der Zeichen wird bestimmt, vermutlich um die deduktiv stabilisierte Zeichenrelation auf andere Interaktionspartner bzw. -situationen übertragen zu können. Die bestimmte Relation kann als Operation genutzt werden, um aus dem Wenn-Zeichen ein Dann-Zeichen abzuleiten und umgekehrt.

Alle drei Schlussformen können demnach als Schritte der Bedeutungsbildung ausgemacht werden. Hierbei hat die Abduktion als Vollzug der (ersten) Relation einen verdeckteren Charakter; die Deduktion als Fokussierung der Zeichen sowie die Induktion als Fokussierung der Relation erscheinen offensichtlicher. Hieran lässt sich der Entwicklungscharakter des Prozesses erkennen. Die Art, wie Ego Bedeutungen bildet, entwickelt sich mit seinen Fähigkeiten zum Fokussieren, d. h. dem Bilden von Zeichen. Der Bedeutungsbildungsprozess ist immer an eine Person gebunden, die mit einer weiteren Person kommuniziert und sich notwendig in diesem Kommunikationsprozess entwickelt, also ihre Art der Bedeutungsbildung verändert. Diese Erkenntnis findet sich in strukturalistischen Ansätzen der Entwicklungspsychologie, wie bei Robert Kegan, und in holistischen Lerntheorien, wie bei Gregory Bateson, die den Weg hin zu einer vollständigeren Beschreibung des Bedeutungsbildungsprozesses zeigen.

Berlin, September 2015

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[1] Siehe hierzu Richter (5/2015).
[2] Paul Drechsel beginnt seinen Aufsatz Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra mit dem Satz: "Alles ist Beziehung!" und postuliert, dass die Relation "Voraussetzung allen natürlichen Seins und Denkens" ist (Drechsel 2009: o. SA.).
[3] Ich beziehe diese Ideen ausschließlich aus dem Spätwerk ab 1903 und hauptsächlich auf die Lectures of Pragmatism aus dem Jahre 1906.
[4] Siehe Peirce Pragmatismus-Vorlesungen an der Harvard-University aus dem Jahr 1903, in der Peirce vom Prinzip des Pragmatismus und gleichzeitig von Maxime des Pragmatismus spricht.
[5] "Thus, the maxim of pragmatism, if true, fully covers the entire logic of abduction” (CP 5.196).
[6] De Saussure, Eco etc.
[7] Beispiele finden sich bei Pape (1989) Müller (1999), Baltzer (1994). Hoffman verweist auf diese Fehlinterpretation: "der ‚Interpretant‘ ist insofern eine notwendige Implikation der Triade und hat keinerlei ‚Freiheit der Interpretation‘. Genau aus diesem Grund darf der Peircesche Interpretant nicht mit einem ‚Interpreten‘ verwechselt werden; er ist allein formal bestimmt als dasjenige singuläre konkrete Ereignis, das durch die allgemeine Seite des Zeichens determiniert wird" (Hoffmann 1996: 12).
[8] "Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative (tatsächlich wirkt); Abduction merely suggests that something may be” (CP 5.171).
[9] "Abduction is the process of forming an explanatory hypothesis. It is the only logical operation which introduces any new idea; for induction does nothing but determine a value, and deduction merely evolves the necessary consequences of a pure hypothesis" (CP 5.171).
[10] "Its only justification is that from its suggestion deduction can draw a prediction which can be tested by induction, and that, if we are ever to learn or to understand phenomena at all, it must be by adduction that this is to be brought about” (CP 5.171).

Literatur
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Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
Drechsel, Paul (2010): Von Grassmanns Ausdehnungslehre zur Geometrischen Algebra und Logik, Vortrag im Ernst Schröder Zentrum der TU Darmstadt, 29. Januar 2010, Online: http://www.drechselscience.de/Vortrag%20TU-Darmstadt-29-01-10.pdf, Zugriff am: 11.6.2012. Drechsel, Paul (2013): Relationskonzept, Online: http://www.drechsel-science2.de/relationskonzept/, Zugriff am: 8.4.2013.
Drechsel, Paul (o. J.): Logik der Arbeitsverteilung und Arbeitsverbindung, Kapitel 2 des Manuskripts, Online: www.drechsel-science.de/Globalisierungs-Vortrag/Buch-Kapitel-2.pdf, Zugriff am: 18.4.2012.
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Günther, G. (1991): Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen. Hamburg.
Hoffmann, Michael (1996): Eine semiotische Modellierung von Lernprozessen. Peirce und das Wechselverhältnis von Abduktion und Vergegenständlichung, Occasional Paper 160, URL: http://www.uni-bielefeld.de/idm/alte-webseite/serv/dokubib/occ160.pdf, Zugriff am: 23.9.2014
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303- 329.
Leisegang, Dieter (1969): Die drei Potenzen der Relation. Frankfurt.
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Müller, Ralf (1999): Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce. Würzburg.
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Peirce, C. S. (1973): Lectures on Pragmatism - Vorlesungen über Pragmatismus. Hamburg 1973: Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Elisabeth Walther.
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Aktuelle Ansätze einer relationalen Methodologie
Beate Richter (05/2015)

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Das Nicht-Passen von Theorie und ‚Realität‘ wird in wissenschaftstheoretischen Diskussionen auf die vorauslau- fende Dichotomisierung im Rahmen eines substantiellen Denkens zurückgeführt. Die Probleme eines repräsenta- tionalen bzw. substantiellen Denkens, das stets Dichotomien erzeugt und nicht nur das sozialwissenschaftliche Denken an seine Grenzen führt, sind vielfach benannt und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sind die Unter- suchungsgegenstände in einer realistischen Ontologie verortet, müssen epistemologische Erklärungen in einer ge- trennten Welt stattfinden. Beide Welten können anschließend nicht wieder zusammengeführt werden.
Als alternativer wissenschaftstheoretischer Ansatz bietet sich der pragmatische Relationalismus an, der einer rea- listischen eine pragmatische und einer substantiellen eine relationale Perspektive entgegensetzt und mit einem akteurszentrierten Handlungskonzept die Dichotomisierung überwinden will. In dieser Perspektive arbeitet eine finnische Gruppe um den Soziologen und Erziehungswissenschaftler Osmo Kivinen am Research Unit for the Sociology of Education (RUSE) an der Universität Turku. Kivinen veröffentlicht seit 2003 mit wechselnden Ko- autor/innen herausragende, jedoch wenig beachtete Artikel, in denen er einen pragmatistischen, antirepräsentatio- nalistischen und antireferentialistischen Ansatz als Pragmatist Methodological Relationalism vorstellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 307 ff.). Hierbei grenzt er sich von allen relationalen Methodologien ab, die realistische oder metaphysische Konzepte enthalten, etwa von Margaret Archer, Mustafa Emirbayer, Roy Bhaskar, John Se- arle, aber auch von Pierre Bourdieu, dem er trotz seiner antirealistischen Perspektive die metaphysische Suche nach einer Tiefenstruktur sozialer Prozesse vorwirft.
Unumstrittene Wegweiser pragmatistischen Denkens sind für Kivinen et al. John Dewey und Charles S. Peirce. Beide Autoren sind Ideengeber, wenn es um eine pragmatistische Bestimmung einer sozialwissenschaftlichen Me- thodologie geht. Kivinen übernimmt von Dewey die Idee der Handlungsgewohnheiten (habits), die für ihn ein akteurszentriertes embodied knowing-how darstellen, und führt die Idee des Konzeptes (des linguistic knowing- that) als Werkzeug des Wissenschaftlers ein, mit dem er die Handlung(sgewohnheit)en beschreibt, um wiederum Handlungen vorhersagen zu können. Nach Dewey basieren wissenschaftliche – wie alle anderen – Bedeutungsbil- dungen auf den Relationen zwischen Bedeutungen. Diese Relationen seien somit die eigentlichen Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchungen (Kivinen/Piiroinen 2006: 310). Kivinen/Piiroinen fordern, „to replace the whole idea of inquiry revealing the structures of reality with a notion of inquiry simply organizing data to coherent webs of useful descriptions” (Kivinen/Piiroinen 2006: 316). Eigenschaften werden zu Eigenschaften durch ihre Relation zueinander, können aber erst als Eigenschaften oder Relationen erfasst werden, wenn sie in sym- bolischer Sprache ausgedrückt werden (Kivinen/Piiroinen 2006: 316).
Kivinnen und Piiroinen stellen damit dem theory-driven relational realism einen problem-driven/pragmatic me- thodological relationalism entgegen und betonen die Notwendigkeit der Abkehr des wissenschaftstheoretischen Denkens von einer Ursachensuche und der Hinwendung zu einem methodologischen Denken, das die Wie- Frage in den Fokus stellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 322). Wie schon Dewey fragen sie, “how different kinds of conceptions could help people to solve the practical problems they face” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325). Sie beschreiben ihre Aufgabe als Methodologen als ein “moving toward pragmatist, action-centered, and thor- oughly operationalist approaches, which support the social scientists’ attempts to assist solving problems of social life through problem-driven case studies” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325).
Kivinen/Piiroinen kritisieren am metaphysischen Denken der aktuellen Methodologien, dass sie einen realen Pro- zess voraussetzen, dessen (Tiefen-)Struktur es zu erfassen gelte. Neues Ziel des Wissenschaftlers sei jedoch die Erfassung der relationalen Netze der Bedeutungsbildung mit dem Zweck einer problemlösenden Vorher- sage. Konzepte, die aus der Beschreibung der Relationen zwischen Bedeutungsbildungen abgeleitet werden, sollen zum Werkzeug des Sozialwissenschaftlers werden, um Probleme der sozialen Praxis zu lösen. Kivinen/Piiroinen lehnen hierfür das Nachdenken über Grund- oder Metastrukturen, wie es in ontologischen Betrachtungen erfolgt, und sogar die Fundierung einer Methodologie durch eine Logik ab.
Die Grundannahme einer relationalen, akteurszentrierten und handlungsorientierten Bedeutungsbildung wird von mir übernommen. Einer Ablehnung der Strukturanalyse dieses Bedeutungsbildungsprozesses möchte ich entge- genstellen, dass gerade die (neue) pragmatistische Methodologie einer relationslogischen Fundierung bedarf, um sie noch stärker gegenüber einem metaphysischen Ansatz zu legitimieren. Der Gefahr, mit dem Vokabular wiede- rum dichotome Denkmuster zu übernehmen, kann mit dem Relationskonzept nach Drechsel/Leisegang widerspro- chen werden. Die dichotome Bedeutungsbildung hatte und hat ihre Funktion in wissenschaftlichen Handlungspro- zessen. Es gilt eine Struktur zu entwickeln (abgeleitet aus Axiomen), die im pragmatistischen Sinne wiederum eine Handlungsorientierung – nun als Werkzeug für den Wissenschaftler – gibt, um wissenschaftliche Handlungen vorauszusagen.
Die belgischen Philosophen Jeroen Van Bouwel and Erik Weber vom Centre for Logic and Philosophy of Science der Universität Ghent nehmen im Jahr 2008 die Ideen von Kivinen und Piiroinen auf und fordern konkrete me- thodologische Werkzeuge, etwa im Rahmen von soziologischen Erklärungen (Van Bouwel/Weber 2008a: 424). Sie fordern eine pragmatische Betrachtung der bestehenden Erklärungsansätze und entwickeln ein „framework for explanatory pluralism“ (Van Bouwel/Weber 2008a: 440), in dem die verschiedenen Erklärungsmodelle in Relation zu verschiedenen Erkenntnisinteressen bzw. Kontexten und verschiedenen zu lösenden Problemen gesetzt werden. Lokalisiert und kontextualisiert gehen die soziologischen Erklärungsmodelle in ein plurales Rahmenwerk ein, in dem der Nutzen – im Sinne einer sinnvollen Verwendbarkeit – eines jeden Modells bestimmt werden kann (Van Bouwel/Weber 2008a: 440). In dieser Aus- bzw. Fortführung der Forderung eines methodologischen Relationa- lismus ist der Wunsch nach einer Systematisierung bzw. Verallgemeinerung der soziologischen Theoriebildung zu erkennen, der schlicht in der Feststellung endet, dass die Konzepte plural bleiben müssen.
Ich betrachte diesen Versuch von van Bouwel/Weber als einen typischen Schritt der Bedeutungsbildung, aber nicht als den letzten Schritt, der eine Problemlösung auf der sozialen Handlungsebene leistet. Die Feststellung von Plu- ralität ist vorerst nur Ausdruck unserer Hilflosigkeit. Stößt der Mensch im vorausschauenden Denken auf zu viele und dann zumeist auch widersprüchliche Ergebnisse, versucht er, diese plurale Situation zu bewältigen, indem er von einer höheren Ebene der Bedeutungsbildung aus seine bisherige Art der Bedeutungsbildung betrachtet. Dieser übergreifende Blick erzeugt erst die nächsthöhere Ebene der Bedeutungsbildung und kann in einer Struktur be- schrieben, d. h. modelliert werden.
Ich nehme daher den Vorschlag eines methodologischen Relationalismus auf und mache die Relation als Unter- suchungsgegenstand einer pragmatistischen Methodologie zum Ausgangspunkt einer Modellierung der Struktur der menschlichen Bedeutungsbildung. Im Sinne von Charles S. Peirce wird Bedeutungsbildung als ein Prozess aufgefasst, in dem trirelationale Zeichen relationiert werden. Die Struktur dieses Relationierungsprozesses und den Charakter seiner Produkte gilt es zu erfassen (Relation/Iteration und Zeichen). Ziel ist somit die Beschreibung der Struktur des Prozesses der Bedeutungsbildung und deren Ergebnisse, die eine Methodologie braucht, um Vor- hersagen über den sinnvollen Einsatz von Theorien und entsprechenden Methoden machen zu können. Die Me- thodologie behält hierbei ihren Sinn einer Metastruktur zu einem aktuellen wissenschaftlichen Handeln. Sie wird aber nicht als die eine Metastruktur betrachtet, da ich von einer Entwicklung des Bedeutungsbildungsprozesses ausgehe und damit von einem Übersteigen von Ebenen der Strukturbildung in Vorgängen der Iteration. Ich möchte mit meiner Arbeit das Modell einer evolutionären Prozessstruktur vorstellen, in dem der Bedeutungsbildungs- prozess als relational-iteratives Handlungsgeschehen in symbolischen Interaktionen beschrieben wird und damit die Arten oder Typen der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften sichtbar werden.

Berlin, Mai 2015

Literatur
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303-329.
Van Bouwel, Jeroen; Weber, Erik (2008): De-Ontologizing the Debate on Social Explanations: A Pragmatic Approach Based on Epistemic Interests. In: Human Studies 31(2008), S. 423-442.

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Bildungstheorie und Theoriebildung – ein scharfes Paar. Überarbeiteter Wettbewerbsbeitrag für den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung 2013

Beate Richter (2014)

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200 Jahre der Suche nach einer originären pädagogischen Theorie erreichen in der bildungstheoretischen Dissertation „Bildung relational denken“ einen vorläufigen Höhepunkt. Mit der Einführung der Relationalen Entwicklungslogik und unter Anwendung der informellen Axiomatisierung wird eine Präzisierung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen so elegant möglich, wie wir es nur von den mathematisierten Naturwissenschaften kennen. Das so entworfene Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung erweist sich als Struktur von Entwicklungsprozessen sowohl von Individuen als auch von Denktraditionen. Damit ist dieses Modell zugleich eine Basis für Konzepte pädagogischer Interventionen und ein Instrument, um Theoriebildungsprozesse jeglicher Fachrichtungen metatheoretisch zu reflektieren. Bildungstheorie wird zu einer übergreifenden Theorie der Theoriebildung und der Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken wird präzise beschreibbar.

In meinen Workshops zum Thema „Wie schreibe ich eine Abschlussarbeit?“ pflegte ich aus der langjährigen Beratungserfahrung heraus zu behaupten: „Wenn Sie Ihre Fragestellung klar formulieren können, dann haben Sie meist auch schon die Antwort im Kopf.“ Eine aufmerksame Studentin stellte dazu jene Frage, die mich seit Jahren beschäftigt: „Aber wie kommt denn dann das Neue in die Wissenschaft?“ Diese Frage war der Anlass für meine Forschungstätigkeit in den Bereichen Bildungstheorie und Theoriebildung.
Präzisiert man diese Frage, eröffnet sich ein Problemfeld, das zwei Forschungsrichtungen nahezu unbemerkt voneinander thematisieren. Das Neue, verstanden als eine neue Theorie über einen Welt-Ausschnitt, ist als Theoriebildung Thema der Wissenschaftstheoretiker. Bildungswissenschaftler hingegen suchen den Entstehungsprozess einer neuen Weltsicht bzw. des Welt-Selbst-Verhältnisses einer Person in Bildungstheorien zu erfassen. Aktuell steht der bildungstheoretische Diskurs vor einem Problem, das ohne die Beschäftigung mit der wissenschaftstheoretischen Diskussion um einen notwendigen Paradigmenwechsel unlösbar scheint. Wissenschaftstheoretiker stellen schon immer die Frage, wie eine zeitgemäße Theorie der Theoriebildung aussieht, wie also die Entstehung des Neuen erklärt werden kann. In meiner Dissertation habe ich mich zunächst wissenschaftstheoretisch mit der Theoriebildung beschäftigt, um anschließend die aktuellen Fragen der Bildungstheoretiker beantworten zu können. Die Entdeckung der untrennbaren Verwobenheit beider Forschungsbereiche war für mich das großartige Neue auf dieser theoretischen Forschungsreise.
Die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung kann als die Forschungsrichtung bezeichnet werden, die sich aktuell am stärksten für eine fundierte Bildungstheorie einsetzt. Der Denktradition von Wilhelm von Humboldt folgend, streben diese Forscher/innen eine Präzisierung des so genannten transformatorischen Bildungsbegriffs an und wollen gleichzeitig den Graben zwischen der theoretischen Bildungsphilosophie und der empirischen Bildungsforschung schließen. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Definition von Bildung als Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person, deren bisherige Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses durch eine Krisenerfahrung in Frage gestellt wurden (u. a. Kokemohr 2007, Marotzki 1990, Koller 2012a/b).
Die Bedeutung dieser Definition bzw. deren Begrifflichkeiten ist nach über 20 Jahren Forschungstätigkeit noch weitgehend unklar. Bildungsforscher rund um die Gründungsväter der bildungstheoretisch orientierten Biografieforschung – Rainer Kokemohr (2004/2007), Winfried Marotzki (1990/2006) und Hans-Christoph Koller (1999/2000/2002/2004/2012a/b) – müssen sich eingestehen, dass nicht geklärt ist, was ein Welt-Selbst-Verhältnis ist, wie sich der Begriff Transformation definieren lässt und was ein Anlass der Transformation sein kann. Die Analyse der methodischen Vorgehensweisen der zahlreichen empirischen Arbeiten in diesem Forschungsfeld zeigt, dass die methodisch zunächst bewusst getrennten theoretischen und empirischen Rekonstruktionen des Bildungsbegriffs nicht wieder zusammengeführt werden können: Die theoretischen Heuristiken können durch die Ergebnisse qualitativer Analysen von biografischen Erzählungen nicht weiter ausdifferenziert werden und umgekehrt finden sich in diesen Daten die theoretischen Konzepte nicht wieder. Die Verbindung von Theorie und Empirie gelingt also im interpretativen Paradigma nicht.
Vor einer Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs steht somit notwendig eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Methodik, in diesem Falle der Begriffspräzisierung. In einem ersten Schritt wurde daher unter Verwendung verschiedener wissenschaftstheoretischer Ansätze eine Relationale Entwicklungslogik hergeleitet, die das methodische Dilemma der Biografieforschung erklären kann, und in einem zweiten Schritt ein Modell für den Entwicklungsprozess entworfen, das eine präzise Definition des Bildungsbegriffs ermöglicht. Somit leistet diese Arbeit zwei wesentliche Beiträge: Sie schafft einen neuen wissenschaftstheoretischen Rahmen, der eine Theorie der Theoriebildung darstellt und sie schafft mithilfe einer methodischen Modellierung eine echte Präzisierung des Bildungsbegriffs.

Die Relationale Entwicklungslogik

Die methodischen Schwierigkeiten der Biografieforscher lassen sich aus deren Methodologie, d. h. ihrer Perspektive auf ihren Untersuchungsgegenstand erklären. Sie nehmen eine so genannte substanzielle Perspektive ein, die heute von einer neueren, der relationalen Perspektive abgegrenzt wird. Eine Substanz-Denkweise geht davon aus, dass eine Person (das Subjekt) über einen Teil der Wirklichkeit (das Objekt) eine Theorie entwickelt. Dieses Denken erzeugt notwendig die Trennung von Theorie und Empirie, deren Zusammenführung anschließend unerreichbar scheint. In einigen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern finden sich relationale Denkweisen, die davon ausgehen, dass Bedeutungen bzw. Theorien im Interaktionsprozess von Personen oder Gruppen entstehen und somit keine Abbilder der Realität darstellen. Im Kommunikationsprozess werden Zeichen zueinander in Beziehung gesetzt, so dass die (endlose) Zeichen-Relationierung zur eigentlichen Bedeutungsbildung wird. Die Funktion eines Zeichens in einem relationalen Gebilde bestimmt demnach seine Bedeutung und nicht ein vom Zeichen bezeichnetes Etwas, das in seinem Wesen ergründet werden müsste.
Diese relationale Denkweise ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Auf die lange Tradition der Behauptung „Alles ist Relation“ machen Dieter Leisegang (1969) und Paul Drechsel (o.J./2000/2009/2010/2013) seit den 1960er Jahren aufmerksam und verhelfen der Logik der Relation (a r b) zu neuem Gehör. Die Relation wird von diesen Autoren in drei so genannten Potenzen beschrieben. Die erste Potenz stellt eine Reduzierung der vollständigen Relation r auf das Trennen von einzelnen Elementen dar (a t b). Wird die Beziehung zwischen den Elementen fokussiert, also das Verbindende (a v b), wird von einer Relation zweiter Potenz gesprochen. Die erste und die zweite Potenz der Relation stellen einseitige Fokussierungen der vollständigen Relation, als der dritten Potenz dar. Nun behaupten die Relationslogiker, dass es dem Menschen nicht möglich ist, den Vollzug der Relation in Form der dritten Potenz zu erfassen, sondern immer nur eine einseitige Fokussierung. Das Fallen des Apfels vom Baum auf die Erde kann ich im Nachhinein zum einen über die beiden Massepunkte von Apfel und Erde erklären, die sich Stück für Stück einander angenähert haben, zum anderen durch die Massenanziehungskraft, die zwischen beiden herrscht und Stück für Stück größer wird. Ich betone also entweder die getrennten Relata als Ortsbeschreibungen oder die verbindende Relation in Form der Kraft.
Eine zweite relationale Tradition findet sich bei Charles Sanders Peirce (1960a/b), dem als Begründer der modernen Semiotik der Satz unterstellt werden kann: „Alles ist Zeichen.“ Peirce entwickelte einen dreigliedrigen relationalen Zeichenbegriff, in dem das Zeichenmittel für etwas (Objekt) zu etwas (Interpretant) in Beziehung steht. Ein Zeichen erhält als Zeichen für etwas immer erst durch den Interpretanten seine Bedeutung. Unter anderem kann das dreigliedrige Zeichen selbst wiederum zum Objekt einer weiteren Zeichenbildung werden. Diese Möglichkeit entspricht der Anwendung der Relation auf das Ergebnis einer vorherigen Relation und wird, wie in der Mathematik üblich, als Iteration bezeichnet.
Die Idee der Relation von Zeichen und der Iteration dieser Relation können als strukturbeschreibend für den Prozess der Bedeutungsbildung betrachtet werden und sind in meiner Dissertation (Richter 2014) erstmalig zu einer Relationalen Entwicklungslogik zusammengeführt worden. Abbildung 1 macht die Struktur der Entwicklung anschaulich.


Abbildung 1: Relationale Entwicklungslogik

Beginnt man auf der unteren Ebene mit der Betrachtung der Relation r der Elemente a und b, so lassen sich hier die Relation erster Potenz (R1 = a t b) und zweiter Potenz (R2 = a v b) von der vollständigen Relation dritter Potenz (R3 = a r b) unterscheiden. Die Relation dritter Potenz wird hierbei als Vollzug im Sinne eines In-der-Welt-Seins interpretiert. Der Interpretant kann sein momentanes Tun, d. h. das Bedeutungbilden nicht im Vollzug, sondern nur in den einseitigen Fokussierungen erfassen. Soll der Vollzug erfassbar werden, muss er im Sinne von Peirce‘ Iteration, zum Objekt einer erneuten Relation auf einer höheren Ebene gemacht werden. Diese zweite Ebene unterliegt nun denselben Relationsmechanismen. Die vollständige Relation (R‘3) wird nicht erfassbar, nur in den einseitigen Fokussierungen des Trennens oder Verbindens der Relations-Ergebnisse der vorherigen Ebene (R3).
Diese formale Ableitung stellt die Grundstruktur eines Entwicklungsprozesses, die Logik des Bedeutungsbildungsprozesses dar und kann als Basis einer relationalen Methodologie betrachtet werden. Sie kann als Logik sowohl dem individuellen Entwicklungsprozess einer Person unterstellt werden als auch der Entwicklung der verschiedenen wissenschaftlichen Paradigmen bzw. Methodologien.
Jede Methodologie als Perspektive auf die Welt bedingt ein bestimmtes methodisches Vorgehen. Eine ausgewiesen relationale Methode habe ich bei meiner Suche nach einer Präzisierungsmethode für Begriffe bei den so genannten Theoretischen Strukturalisten gefunden. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller (1980a/b/1986) entwickelte in den 1980er Jahren einen neuen Theoriebegriff. Waren Theorien bisher Klassen von gesetzesartigen Aussagen, die zunächst unabhängig von der Wirklichkeit konstruiert werden und dann eine Überprüfung an der Realität bestehen müssen, wendet Stegmüller diese Betrachtungsweise, indem er davon ausgeht, dass eine Theorie zunächst einen intuitiven Entwurf angesichts von Phänomenen darstellt, der noch keine präzise Ausformulierung erfahren hat. Er nennt diesen kreativen Entwurf empirische Theorie und behauptet, dass erst eine präzise Theorierekonstruktion den Theoriekern, d. h. die Struktur der empirischen Theorie herausarbeiten kann. Mit diesen Annahmen umgeht Stegmüller das Problem der Biografieforscher sehr elegant, da er mit der Theoriebildung und -rekonstruktion im Raum der menschlichen Bedeutungsbildung bleibt. Der Sprung über den TheorieEmpirie-Graben gelingt, weil die Strukturalisten die Wirklichkeit nicht als Belegmittel für die Theorie betrachten, sondern die Theorie als eine Art Brille, mit der die Wirklichkeit scharf gesehen werden kann, wenn sie zu dieser Brille passt. Es geht nur um die Einsetzbarkeit der Brille in und nicht um ihre Überprüfung an der Wirklichkeit, also um ihre Funktionalität in einem gleichzeitig zu bestimmenden Ausschnitt der Welt.
Diese Methodik, die so genannte informelle mengentheoretische Axiomatisierung beruht auf der Definition von empirischen Theorien als Objekten, die per se eine bestimmte Struktur haben. Diese Struktur wird mit so genannten Modellen beschrieben, die aus Mengen und Relationen bestehen. Ziel der Axiomatisierung ist die präzise Beschreibung dieser Mengen und Relationen als dem so genannten Theoriekern. Dazu werden die Begriffe, die ein Theoretiker in seiner Theorie verwendet (z. B. Weg/Zeit oder Objekt/Subjekt), vereinheitlicht und in ihren Eigenschaften sowie Elementen und den Relationen zwischen ihnen (z. B. Multiplikation oder Trennen/Verbinden) bestimmt. Wesentliches Element des Theoriekerns ist das zentrale Axiom, das wie ein Gesetz die Begriffe des Theoriekerns untrennbar verknüpft. Jede empirische Theorie hat ihr eigenes spezifisches Axiom.
Die Klärung der relationalen Methodologie und Methode war für meine Arbeit eine wichtige Voraussetzung, um auf einem neuen Weg zu einer präziseren Definition von Bildung zu gelangen. Die Relationale Entwicklungslogik wurde hierbei zu einer Struktur-Brille, mit der eine entsprechende empirische Theorie betrachtet und mit Hilfe der informellen Axiomatisierung in ihrem Kern bestimmt werden konnte, um letztlich Bildung relational definieren zu können.

Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Die Struktur der Relationalen Entwicklungslogik und das Ziel, die drei Fragen der Biografieforscher nach dem Welt-Selbst-Verhältnis, dessen Transformation und dem Anlass zu beantworten, haben die Wahl von Robert Kegans Entwicklungstheorie (1982/1994) als empirische Theorie und deren Axiomatisierung stark bestimmt. Der amerikanische Psychologe Robert Kegan möchte mit seiner strukturalen Entwicklungstheorie die Prinzipien der menschlichen Bedeutungsbildung aufdecken, die unser tägliches Handeln bestimmen. Wie andere Entwicklungstheoretiker vor ihm entdeckt er in der menschlichen Entwicklung Stufen, auf denen der Mensch jeweils auf verschiedene Art Bedeutungen bildet. Die Prinzipien der Bedeutungsbildung auf diesen Stufen nennt er Subjekt-Objekt-Verhältnisse und beschreibt fünf Varianten, die dem Verständnis von Welt-Selbst-Verhältnissen sehr nahe kommen. Für Kegan ist der Mensch immer gleichzeitig eine bestimmte Art von Subjekt der Bedeutungsbildung, das jeweils eine bestimmte Art von Objekten hat. Hierin klingt die Unterscheidung zwischen dem Relation-Sein bzw. In-der-Welt-Sein und dem Haben der einseitigen Fokussierungen aus der Relationalen Entwicklungslogik an. Die Objekte, die der Mensch hat, lassen sich unterscheiden als Dinge, als andere Personen und als das Selbst der Person, so dass sich jeweils drei Entwicklungslinien über die Stufen hinweg erkennen lassen. In seinem zweiten Buch In Over Our Heads (1994), das Kegan zwölf Jahre nach dem ersten Buch The Evolving Self (1982) veröffentlichte, findet sich zudem eine Anordnung der fünf Stufen der Entwicklung auf drei Ebenen. Diese Ebenen haben dieselbe Struktur wie die Ebenen in der Relationalen Entwicklungslogik: auf ein Trennen bzw. Bilden bestimmter Objekt-Strukturen (z. B. Category) folgt deren Verbindung bzw. ein In-Beziehung-Setzen (z. B. CrossCategory). Die Übergänge zwischen den Stufen werden von Kegan als Krisen beschrieben und wie in der Bildungstheorie mit dem Begriff der Transformation belegt.
Die Axiomatisierung von Kegans Theorie hat diese stark verändert. Die informelle Beschreibung der Begriffe hat zunächst viele Ungereimtheiten aufgedeckt. So konnten Synonyme aufgezeigt werden, z. B. die Begriffe SubjektObjekt-Relation, Subjekt-Objekt-Verhältnis und Subjekt. An anderen Stellen fehlen in Kegans Entwicklungsmodell Begriffe, die etwa zur Erklärung von Übergängen dringend nötig sind. So fehlt die begriffliche Einbindung der Interaktion bzw. Kommunikation. Führt man die notwendige Idee des relationalen Kommunikationsprozesses in die Beschreibung des Entwicklungsprozesses ein, muss zudem ein relationaler Zeichen-Begriff eingeführt werden. Hier wurde deutlich, dass die Methode der Axiomatisierung erweitert werden musste: Zur Bestimmung der vorhandenen Begriffe einer empirischen Theorie muss die Ergänzung von fehlenden Begriffen über Referenztheorien erlaubt sein.
Charles Sanders Peirce mit seinem relationalen Zeichenbegriff, Jürgen Habermas (1995) mit seiner relationalen Kommunikationstheorie und Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b) mit seiner Lernstufentheorie waren wichtige Partner, um Kegans Entwicklungstheorie begrifflich vollständig erfassen zu können. Wichtigste Ergänzung war, den Bedeutungsbildungsprozess als eine Relationierung von Zeichen zu deuten, die einen neuen Kontext erschafft oder einen bestehenden aufruft. Stehen wir zum ersten Mal in einem polnischen Restaurant vor dem stillen Örtchen, sind wir überrascht von der Zeichengebung auf den Türen. Was tun, wenn man den Kellner nicht auf Polnisch nach deren Bedeutung fragen kann? Wir warten auf einen Gast und kombinieren, dass diese Frau dort die Tür für die Frauen benutzt. Schon haben wir einen altbekannten Kontext, der gerade eben nicht mehr funktionierte, durch eine neue Zeichenrelationierung ersetzt und etwas Neues gelernt. Diese Annahme der Kontextbildung als Relationierung von Zeichen war der Ausgangspunkt, um Kegans Entwicklungstheorie zum Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung (siehe Abbildung 2) auszubauen, das hier als zweites wichtiges Ergebnis meiner Dissertation vorgestellt werden soll.
Die Stufen der menschlichen Entwicklung, die Kegan beschreibt, können über den Begriff der Kontext-Regel XR definiert werden. Wenn Bedeutung als ein Kontext X durch die Relationierung R von Zeichen Z entsteht (X: Z R Z), dann haben wir es auf einer Entwicklungsstufe mit bestimmten Arten von Zeichen ZA und einem der Typen (Potenzen) der Relation zu tun, die zusammen eine Kontext-Regel ergeben (XR: ZA R ZA). Die Zeichen-Arten ZA lassen sich weiterhin auf jeder Stufe in ihre Zeichen-Bezüge ZB unterteilen. Wir beziehen uns in unserer substanziellen Welt auf Dinge, auf andere Personen und auf unser Selbst. Zu diesen drei Zeichen-Bezügen kommt der besondere Bezug auf die Zeichenbildung selbst. Diese Idee stammt von Habermas und findet sich ebenso in Peirce‘ Iteration des Zeichens. Wird ein trirelationales Zeichen (aus Zeichenmittel, Objekt und Interpretant) wiederum zum Objekt eines Zeichenmittels und eines Interpretanten wird eine Relation erneut auf das Ergebnis der vorherigen Relation angewendet. Die Zeichenbildung wird zum Objekt einer erneuten Zeichenbildung und es entsteht eine völlig neue Art der Bedeutungsbildung: Ich spreche hier von einer neuen Kontext-Ebene XE. In Abbildung 2 ist die daraus ableitbare Struktur der Entwicklungsstufen dargestellt.


Abbildung 2: Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Auf jeder Kontext-Ebene finden sich zwei Stufen, die durch die beiden Relations-Typen, das Trennen t und das Verbinden v von bestimmten Zeichen-Arten ZA gekennzeichnet sind. Der Startpunkt (Stufe 0) jeder Entwicklung muss notwendig die Trennung in Sinneszeichen Zi sein. Der Mensch lernt, dass er verschiedene Sinneseindrücke wie Gerüche, Farb-, Form- oder Temperatureindrücke hat und verbindet diese auf der Stufe 1 zu konkreten Wahrnehmungen wie dem Teddy oder der Mutter. Stufe 0 wird zur Stufe 1, auf der wir Sinneszeichen Zi zu Sinneswahrnehmungen Zw verbinden, von Kindern im Alter von sechs Monaten bis zwei Jahren überschritten. Der Übergang von Stufe 1 zu Stufe 2 im Alter von fünf bis sieben Jahren unterscheidet sich vom ersten Übergang fundamental, da hierbei gleichzeitig Kontext-Ebenen überschritten werden.
Das Überschreiten der Kontext-Ebenen entspricht der oben beschriebenen Iteration und kann mit dem Übergang von einem Welt-Selbst-Verhältnis zum nächsthöheren gleichgesetzt werden. Dies stellt den Entwurf einer neuen Welt und eines neuen Selbst dar. Als Erklärung können wir hier wieder die holistische Idee vom In-der-Welt-Sein und Welt/Selbst-Haben aufgreifen. Zu jeder Zeit ist der Mensch in seiner Welt und kann diese nicht gleichzeitig haben. Bildlich schwimmt er in einer Wasserblase und versucht, sich als Selbst vom Wasser zu trennen und die Membran der Blase zu durchbrechen. Auf der nullten Ebene sind wir Substanz und können uns noch nicht zu dieser Substanz verhalten. Auf der Ebene 1 sind wir diese Relation zur Substanz und haben die Substanz in Form von Wahrnehmungszeichen Zw, die wir voneinander unterscheiden und später zu Begriffszeichen Zb verbinden können. Beispiele für diesen Übergang sind die Abstraktionsleistungen von Kindern, bei denen sie die konkrete Wahrnehmung zu etwas Dauerhaftem in Form eines Wortes machen. Der Wasserfall rauscht immer noch, auch wenn wir ihn nicht mehr sehen. Schulkinder können sich auf Stufe 2 von den konkreten Fingern als Zählhilfe lösen und mit abstrakten Zahlen über die Zahl 10 hinaus rechnen.
Die Übergänge zwischen den Ebenen bezeichne ich wie die Biografieforscher als Transformationen TI. Die Übergänge zwischen Stufen derselben Ebene von einem Trennen zum Verbindung von Zeichen-Arten nenne ich abweichend davon Translation T_. Anfangs- und Endzustand einer Transformation lassen sich exakt über die Definitionen der Kontext-Ebenen definieren. Der Transformationsprozess selbst lässt sich nicht näher bestimmen. Auch die Translation wird letztlich über die Anfangs- und Endzustände, also die Definition der Stufen als Trennen oder Verbinden bestimmter Zeichen-Arten definiert. Waren zuvor alle Übergänge mit dem Begriff der Transformation besetzt, lassen sich nun die Übergänge zwischen Kontext-Ebenen klar von anderen Übergängen abgrenzen.
Den Pädagogen interessieren besonders die Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung einer Person, d. h. hier die Förderung des Überschreitens von Stufen bzw. Ebenen. In diesem Interesse steckt die Frage nach den Anlässen einer Transformation und einer Translation. Einen dritten Bereich gilt es in diese Überlegung einzubeziehen. Nicht nur die Übergänge stellen Veränderungsprozesse und damit Lernprozesse dar, auch beim Verweilen auf einer Stufe der Entwicklung lernt der Mensch. Wichtiger Ideengeber für die Präzisierung der Anlässe war der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b), der Lernprozesse immer als Interaktionsprozesse betrachtet. Das Kommunizieren von Alter und Ego wird immer dann zu einem Lernprozess, wenn es zu einer Dissonanz zwischen den Bedeutungsbildungen der beiden kommt. Lernen lässt sich damit anhand bestimmter Fehler-Arten FA in drei Lern-Arten LA unterscheiden, die wir über das Kontext-Ebenen-Modell definieren können.
Um Fehler- und Lern-Arten verstehen zu können, fehlt uns zum Begriff des Kontextes X, der die aktuelle Zeichenrelationierung einer Person bezeichnet, noch ein Begriff, der für den Speicherort dieser Relationierungen steht. Dazu habe ich den Begriff des Hintergrunds H eingeführt. Im Hintergrund werden die erfahrenen Kontexte als relativ stabile Bedeutungsbildungen abgelegt bzw. gespeichert und aus diesem in einem aktuellen Kommunikationsprozess abgerufen. Für jede Entwicklungsstufe dürfte eine Person einen eigenen Hintergrund entwickeln. Treten Alter und Ego mit ihren jeweiligen Hintergründen in Interaktion, kann es drei unterschiedliche Differenzen geben.
‚Stehen‘ beide auf derselben Stufe, kommt es zu Missverständnissen, wenn Ego eine bestimmte Zeichenrelationierung noch nicht kennt oder erkennbar falsch einsetzt. Typische Beispiele hierfür sind Szenen des Spracherwerbs. Luka sagt zu den Männern in seiner Familie Papapa und Opapa, der Hund heißt Papa. Eine Verständigung ist möglich, weil die verwandten Erwachsenen diese Zuordnung kennen. Im Kindergarten stößt Luka bei Lisa aber auf Unverständnis, wenn er seinen Hund als Papa bezeichnet. Sie korrigiert ihn, indem sie dem Hund ein Wauwau zuordnet. Auf höheren Stufen haben wir die gleichen Mechanismen: Konfrontiert ein Erziehungswissenschaftler eine Physikerin mit dem Begriff der Translation im Kontext von Bildung, wird sie die Stirn runzeln. Sie hat die Translation in ihrem Hintergrund in der Mechanik untergebracht und sicherlich nicht mit ihrem Verständnis von Bildung verknüpft. Die Fehler-Art, die hier vorliegt, nenne ich Hintergrund-Fehler FH und der entsprechende Lernprozess wird zum Hintergrund-Lernen LH. Dieses Lernen kann als die einfache Wissenserweiterung verstanden werden.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen derselben Kontext-Ebene, z. B. Alter auf Stufe 3 und Ego auf Stufe 2, kennen sie die gleichen Zeichen-Arten. Ego bildet Begriffszeichen Zb und Alter verbindet diese bereits miteinander. In der Interaktion kann es zwischen beiden zum Fokus-Fehler FF kommen, der das Fokus-Lernen LF im Sinne der Translation von Ego veranlasst. Der Fokus-Fehler wird auch als ein Missverständnis deutlich und ist allen Eltern bekannt, die die Pubertät ihrer Kinder erlebt haben. Der Teenager hat nach Kegan auf Stufe 2 z. B. klar formulierbare Bedürfnisse und lebt diese aus. Seine Eltern haben ebenfalls eigene Bedürfnisse, können aber auch die Bedürfnisse ihres Kindes dazu in Beziehung setzen. Kegan nutzt zur Beschreibung den Begriff der Wechselseitigkeit, die der Teenager noch nicht hat. Im Zentrum der Szene, wenn die Tochter erst um vier Uhr morgens nach Hause kommt, während die Mutter vor Sorge fast gestorben wäre, steht das Missverstehen beider. Die Tochter kennt auf Stufe 2 ihre Bedürfnisse und ihre Rechte darauf, kann diese aber nicht mit den Bedürfnissen ihrer Mutter koordinieren. Sie versteht ihre Mutter wirklich nicht; was die Mutter wiederum nicht glauben kann. Diese Art Streit wird zum wichtigen Auslöser für einen Lernprozess der Tochter, die den Schritt auf die Stufe 3 vollziehen muss, will sie mit anderen Personen in einem verständnisvollen sozialen Gleichgewicht leben. Auch in Bezug auf Dinge müssen wir Beziehungsstrukturen erlernen. Erfährt das Grundschulkind, dass es allgemeine Begriffe für konkrete Wege und Zeitdauern gibt, so wird im Physikunterricht dem Jugendlichen der Zusammenhang zwischen diesen Größen zugemutet. Hier ist der Fokus-Fehler nicht als verärgerte Mutter zu erkennen, sondern oft ein stummes Gefühl der eigenen Hilflosigkeit angesichts der merkwürdigen Formel v = s : t. Viele Menschen erleben bis ins hohe Alter Formeln und Variablen als irritierend, da sie diese nicht mit ihrer dinglichen Erfahrungswelt zur Deckung bringen können. Andere wiederum haben gelernt bzw. akzeptiert, dass hier Begriffszeichen mit Begriffszeichen verbunden werden, ohne dass ein Bezug zu konkreten Wahrnehmungszeichen besteht. Wichtig wäre, dass Physiklehrer uns diesen Fokus-Fehler wie die Mutter der Tochter laut deutlich machen.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen unterschiedlicher Ebenen, kann es infolge des Kontext-Fehlers FE zu einem Kontext-Lernen LE kommen, das wir als Transformation bezeichnet haben. Das Kontext-Lernen gehört zu den großen Geheimnissen der kognitiven Entwicklung, gerade weil sich der Anlass nicht so klar an einem gegenseitigen und korrigierbaren Missverständnis in der Interaktion von Alter und Ego festmachen lässt. Bei Bateson finden sich die formalen Strukturen dieser Fehler-Art definiert, aber lediglich das Wort Verwechslung gibt Auskunft über das Geschehen selbst. Beim Übergang von Ebene 0 zu Ebene 1 verwechselt Ego seine zum Wahrnehmungszeichen verbundenen Sinneszeichen mit dem Begriffszeichen von Alter, da beide als Wort identisch erscheinen. Ein Kind erlernt auf Stufe 1 die Sprache als ein Zeichensystem. Worte dominieren damit die Kommunikation, ohne dass das Kind um den Unterschied zwischen konkretem Gegenstand, bezeichnendem Wort und allgemeinem Begriff weiß. Die Katze ist die konkrete Katze Mila, die gerade durch das Zimmer läuft. Sagt die Mutter später auf dem Weg zur Kita: „Eine Katze ist viel pflegeleichter als ein Kater!“, wird das Kind protestieren, weil der Kater Tom immer draußen ist und die Nachbarn kein Katzenklo sauber machen müssen. Die Mutter wird zustimmen und wahrscheinlich erklären, dass das nur bei ihnen so ist. Für das Kind ist die Verwechslung damit aber nicht beseitigt und wir wissen nicht, wie die konkrete Katze zur allgemeinen Begriffs-Katze wird. Das Wort ist das verführerische Zeichen, das beide Deutungsweisen zulässt. Beim Übergang von Stufe 3 zu Stufe 4 wiederholt sich dieses Verwechslungsproblem, nur dass wir hier die zum Kategorienzeichen verbundenen Begriffszeichen mit den Systemzeichen verwechseln. Unsere Erfahrungen auf Stufe 3 haben uns in ein komplexes Regelsystem eingebunden. Spricht Alter von Stufe 4 aus über Teilchenbewegungen im Raum, hat er die Möglichkeit, sich Teilchenbewegungen innerhalb eines Systems vorzustellen, in dem er selbst steht. Darüber hinaus kann er sich die Bewegung eines Teilchens in einem System und die eines anderen Teilchens in einem zweiten System vorstellen und zudem die relative Bewegung der Teilchensysteme zueinander. Gespräche über den Massebegriff oder WegZeit-Gesetze mit einem Schüler der 10. Klasse, der sich noch nicht mit der Relativitätstheorie beschäftigt hat, müssen zu ähnlich verdeckten Irrtümern führen, wie im Katzenbeispiel. Physiker und Schüler benutzen dieselben Worte, haben aber andere Konzepte. Der Schüler denkt noch im System und kann es nicht übersteigen; dem Physiker ist das bereits gelungen. Das Beispiel ist auf ideologische Regelsysteme übertragbar. Bei diesen wird jedoch noch deutlicher, dass der Austritt aus dem einen Systemdenken in die Vielfalt der Systeme zu einer Unentscheidbarkeit führen muss.
Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung zeigt über Kegans fünf Stufen hinaus noch weitere zwei Stufen, die auf Untersuchungen des Mainzer Ethnologen Paul Drechsel zurückgehen. Seine Betrachtungen von gesellschaftlichen Formationen und Organisationen führten ihn zu verschiedenen Strukturen der Relationierung von Systemen. Das Verständnis für diese hochkomplexen Strukturen bedarf noch weiterer Forschung und es bleibt fraglich, ob ein Individuum in seiner Entwicklung diese dritte Ebene erreichen kann.

Die präzisierte Definition von Bildung

Die Entwicklung des Kontext-Ebenen-Modells der Bedeutungsbildung war Voraussetzung für die Präzisierung des Bildungsbegriffs. Neben einer Bestimmung des Begriffsinhalts gelingt über die Unterscheidung von je drei Fehlerund Lern-Arten eine Bestimmung des Begriffsumfangs, also die Abgrenzung von den Begriffen des Lernens, der Entwicklung und der Wissensaneignung.
Bildung wird als Prozess der Transformation der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung einer Person, unter Konfrontation mit der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung nächsthöherer Ordnung definiert. Der Bildungsprozess einer Person hat für den Beobachter die Struktur des Übergangs von einer Kontext-Ebene zur nächsthöheren (also der Transformation), unter vorausgehender Translation der einseitig fokussierenden Kontext-Regeln vom Trennen zum Verbinden von Zeichen-Arten, jeweils unter der Bedingung, dass Ego in der Interaktion von Alter mit der Zeichen-Art der nächsthöheren Kontext-Regel konfrontiert wird.
Das Welt-Selbst-Verhältnis ist dabei immer gleichzeitig die Struktur einer relationierenden Aktivität (ZA r ZA) bzw. eines In-der-Welt-Seins, die für Ego noch nicht bestimmbar ist, und eine fokussierbare Struktur, die als Egos Regel der Zeichenrelationierung von einem Beobachter bestimmt und als Stufe der Entwicklung betrachtet werden kann (ZA t ZA oder ZA v ZA). Die Menge der Welt-Selbst-Verhältnisse kann über die verschiedenen KontextFokusse bzw. Stufen auf den jeweiligen Kontext-Ebenen ausdifferenziert werden.
Die Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse werden als Übergänge zwischen Kontext-Ebenen definiert und von den Translationen als Übergängen zwischen Kontext-Fokussen bzw. Stufen derselben Kontext-Ebene unterschieden.
Die Anlässe der Transformation der Welt-Selbst-Verhältnisse sind als Kontext-Fehler bestimmbar, die auf einer Verwechslung von Zeichen-Arten von Alter und Ego beruhen, wenn beide über eine Ebene hinweg kommunizieren. Die Anlässe einer Translation liegen in Abgrenzung dazu im Fokus-Fehler, der aus der Kommunikation über eine Stufendifferenz zwischen Alter und Ego erwächst.
Im Kontext-Ebenen-Modell lassen sich alle Veränderungen in der Zeichenrelationierung infolge der ununterbrochenen Interaktion des Menschen als Lernprozesse verstehen. Dabei sind drei verschiedene Lernprozesse voneinander abgrenzbar: Der Wissenserwerb (Hintergrund-Lernen) besteht in der Erweiterung des Hintergrunds durch das Hinzufügen von neuen Zeichen derselben Zeichen-Art. Das Fokus-Lernen als Translation besteht im Überschreiten von Stufen (der Kontext-Fokusse des Trennens und des Verbindens) auf derselben Ebene. Das KontextLernen als Transformation entspricht dem Überschreiten von Stufen über zwei Kontext-Ebenen hinweg. FokusLernen und Kontext-Lernen werden aufgrund ihrer Besonderheit vom Wissenserwerb unterschieden und als Entwicklung bezeichnet, während nur die besondere Form der Entwicklung, die mit der Transformation von KontextRegeln einhergeht, als Bildung gefasst wird.

Bedeutung der Ergebnisse für Wissenschaftler aller Fachrichtungen

Die wichtige Erkenntnis dieser theoretischen Arbeit, dass die Suche nach einer präzisen Theorie der Bildung eine Suche nach einer präzisen Theorie der Theoriebildung ist, offenbart, dass die Relationale Entwicklungslogik einen metatheoretischen Nutzen für Theoriebildungsprozesse in allen Wissenschaften hat. Ob beim Kleinkind oder beim Wissenschaftler, Bedeutungen entstehen im Interaktionsprozess nach Regeln der Relation bestimmter ZeichenArten. Das Kontext-Ebenen-Modell beschreibt damit nicht nur die Struktur der individuellen Entwicklung, sondern auch die Entwicklung der Theoriebildungen in den Wissenschaften. Einzelne Theorien mit ihrer je spezifischen Art der Bedeutungsbildung können nun auf einer Stufe verortet und so die Theoriegeschichte eines Forschungsgebietes geschrieben werden. Mit dem Kontext-Ebenen-Modell kann zudem gezeigt werden, welche Theorien sich auf der Ebene des substanziellen Denkens befinden und welche schon zu Recht als relational gelten. Den Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken streben viele sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte bereits an, haben aber noch keine präzise Abgrenzung der Paradigmen gefunden. Das Scheitern von Theoriebildungsversuchen und auch der Paradigmenwechsel können mit dem neuen methodologischen Blick erklärt werden.
Für die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung hat dieser Metablick auf deren Methodologie ergeben, dass sie ihre Theorien auf Ebene 1, entweder auf Stufe 2 oder auf Stufe 3 bildet. Sie nimmt also eine substantielle Perspektive auf Welt-Selbst-Verhältnisse als getrennte Wahrnehmungszeichen oder als deren Verbindung ein. Hierin ist der Grund für den Stillstand in der Bildungsforschung zu sehen. Meine Dissertation stellt somit ein Empfehlungsschreiben an die Biografieforschung dar, zur bisher genutzten Methodologie auf Distanz zu gehen und eine relationale Denkweise in Erwägung zu ziehen.
Unabhängig von dieser Überzeugungsarbeit bleibt im Bereich der Weiterentwicklung der relationalen Methodik viel zu tun. Stegmüller sah in der informellen Axiomatisierung eine fächerübergreifende Methodik, die zur Präzisierung jeglicher empirischer Theorie führen kann. Ich denke, dass es für alle Fachrichtungen sehr lohnenswert ist, diese relationale nicht-substanzielle Perspektive auf die Theoriebildung einzunehmen und das methodische Vorgehen entsprechend anzupassen. Die Erweiterung der Methodologie, also der Annahme einer einfachen Relation um die Ideen der drei Potenzen und der Iterationen erzeugt den wissenschaftstheoretischen Bedarf, die Relationale Entwicklungslogik eingehend zu diskutieren und in Verbindung mit der relationalen Methode der Axiomatisierung in verschiedene Forschungsbereiche zu übertragen. In sozial- und naturwissenschaftlichen Fächern könnte nach einer Analyse des Standes diese Methodik gewinnbringend zur Theoriebildung eingesetzt werden.

Bedeutung der Ergebnisse für die Ausbildungspraxis

Das Kontext-Ebenen-Modell hat zudem für die Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und für die Beratungspraxis einen großen Wert. Nahezu alle pädagogischen Ausbildungsprogramme enthalten Entwicklungstheorien. Hierbei streiten die Schulen, ob die normative oder die phänomenologische Herangehensweise an Entwicklung die bessere sei. Normativen Theorien wird vorgeworfen, sie hätten keinen echten Realitätsbezug, und phänomenologischen Theorien, dass sie sich von der Realitätsbeschreibung nicht lösen können. Die in meiner Dissertation vorgestellte methodische Herangehensweise stellt eine Vermittlung in diesem Streit dar, der sich wie bei den Biografieforschern auf Ebene 1 des Modells abspielt. Empirische Theorien werden aus einer phänomenologischen Fallbetrachtung heraus entworfen, dann in ihrem Theoriekern präzisiert und abschließend bestimmt, welche weiteren Beispielfälle zu diesem Theoriekern passen. Man versucht nicht mehr, allgemeingültige Theorien zu entwerfen und in der Wirklichkeit zu widerlegen bzw. belegen.
Der Theoriekern erhält damit einen großen Wert für die Praxis. Die Strukturen – hier das Kontext-Ebenen-Modell – fungieren als eine Art Brille, mit der die Phänomene anders gesehen werden. Die Brille erleichtert das Sehen und verhilft von höherer Ebene aus zur Orientierung in der Praxis. Wichtig zu wissen ist, dass es mehrere Brillen gibt und wir die Brille wechseln können, wenn das Bild mit der alten Brille nicht mehr scharf wird. Die Wirkung von Strukturwissen kann jeder nachvollziehen, der eine gute Mathelehrerin hatte: Auf der Suche nach der idealen Gefäßform, in die das meiste Wasser passt, haben wir in den ersten Schuljahren noch mit Wasser und Messbecher herumprobiert. In höheren Schulklassen folgte dann die mathematische Struktur, die Längenmaße und Volumen ins Verhältnis setzt und uns über den Hochpunkt einer Funktion das ideale Gefäß finden lässt. Funktionen werden zu Strukturen, die uns später die Welt erklären können, wann der Teich vollständig mit Entengrütze bedeckt sein wird, wie lange wir auf das eigene Auto sparen müssen etc. Schon hier versagt unsere Ausbildung zu oft, so dass nicht verwunderlich ist, dass in den nicht-mathematischen Fächern gar nicht erst nach Strukturwissen gefragt wird. Ich würde das gerne ändern. Die kognitive und soziale Entwicklung des Menschen lässt sich in ihrer Struktur erfassen. Wir sollten diese Möglichkeit nutzen.
Einen ersten Versuch habe ich in den letzten Wochen mit einer Studentinnen-Gruppe machen können. Die teilweise schon lange praktizierenden Erzieherinnen kennen aus ihrer Arbeit in der Kita verschiedene Beobachtungs- und Evaluationsinstrumente für den Entwicklungsstand von 0- bis 6-Jährigen. Wir haben uns zwei Tage Zeit genommen, das Kontext-Ebenen-Modell zu verstehen und entsprechend die Begriffe Lernen, Entwicklung und Bildung zu differenzieren. Und es funktioniert. Die Studentinnen haben die Struktur des Entwicklungsprozesses durchschaut und in faszinierender Weise Beispiele aus ihrer Praxis zu den Stufen geliefert. Wir waren uns einig, dass sich Entwicklung mit dem Modell leichter verstehen lässt, als mit dem Blick auf einzelne je nach Entwicklungstabelle verschiedene Beschreibungen, was ein Kind können müsste. Die erstaunlichste Erkenntnis war, dass dieses Strukturwissen nicht zu einer Normierung der Fähigkeiten führt, sondern eine größere Offenheit ermöglicht. Wenn ich weiß, dass ein Kind im Kindergarten auf Stufe 1 die Fähigkeit ausbildet, seine Sinneszeichen zu Wahrnehmungszeichen zu verbinden, dann kann ich alle ähnlichen Versuche als diesen Entwicklungsstand anerkennen, egal welchen Inhalt die Zeichenbildung hat. In den nächsten Modultagen werden wir in Form eines Projektes die vorhandenen Entwicklungspläne analysieren und dazu konkrete Verhaltensweisen von Kindern beobachten, um diese Beispiele in die Struktur zu integrieren, d. h. wir werden die neue Brille einsetzen, um schärfer zu sehen und eventuell Zeichen-Arten noch weiter zu differenzieren.
Ein weiteres Anwendungsfeld stellt für mich die Beratung von Student/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen und damit die Aufnahme des Ausgangspunktes meiner Forschungstätigkeit dar. Diese Personengruppe entwickelt sich noch stark, wird also selbst neu. Zudem sind Doktorand/innen diejenigen, die das Neue in ihre Forschungsbereiche einbringen. Beratung durch Hochschullehrer oder externe Berater findet hier in einem doppelten Spannungsfeld statt: Zum einen steht die individuelle Entwicklung des zu Beratenden oft an einem Übergang, zum anderen haben die Forscher/innen mit dem Verstehen und evtl. sogar dem Überschreiten von methodologischen Forschungstraditionen zu tun. Hier ist ein Berater gefragt, der die Strukturen individueller, aber auch wissenschaftstheoretischer Entwicklungen kennt. Ohne das Neue selbst inhaltlich bestimmen zu können, ist der wissenschaftliche Berater ein Geburtshelfer des Neuen. Das Kontext-Ebenen-Modell kann als Hilfsmittel für wissenschaftliche Beratungssituationen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität dienlich sein. Dazu muss es aber noch in eine Didaktik übersetzt werden. So wie für die Praxisanwendung im Kindergarten, muss auch für eine Umsetzung in der Hochschule nicht nur ein passendes Beobachtungsinstrument entwickelt werden, sondern auch ein Konzept, wie entsprechende Lern-Arten förderbar sind.
Eines lässt sich für diese Konzepte aus der vorgestellten Struktur schon jetzt ableiten: Transformationen der Regeln der Bedeutungsbildung lassen sich nur aus der bereits bestimmten Struktur rückblickend beschreiben und können nicht für künftige Prozesse bestimmt werden. Transformation fasst nur jenen Begriff, der erklären kann, wie das Neue strukturell entsteht, aber nicht, was das Neue inhaltlich ist.

Berlin, 2014

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Literatur
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Bateson, Gregory (1972b): A Theory of Play and Fantasy. In: Steps to an Ecology of Mind, Chicago/London 1972, S. 177-193.
Bateson, Gregory (1985a): Die logischen Kategorien von Lernen und Kommunikation. In: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt/M. 1985, S. 362-399.
Bateson, Gregory (1985b): Eine Theorie des Spiels und der Phantasie. In: Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt/M. 1985, S. 241-261. Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
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Dieser Text steht unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen“ (CC BY-NC-SA). Diese Lizenz erlaubt es Ihnen, diesen Text - ausschließlich nicht-kommerziell - zu verbreiten, zu remixen, zu verbessern und darauf aufzubauen. Beate Richter ist als Urheberin des Originals stets zu benennen. Die Veröffentlichung eines auf diesem Werk basierenden neuen Werkes muss unter denselben Bedingungen veröffentlicht werden.
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Veröffentlichungen - Dr. Beate Richter



Relationale Bildung für Europa.
Vorschlag zu einem bildungswissenschaftlichen Forschungsprogramm

Beate Richter (Gedanken zum Auftakt der Round-Table-Gespräche im September 2016)

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Als überforderndes, sogar bedrohliches Kennzeichen unserer Zeit wird oft die Komplexität in gesellschaftlichen oder von technischen Systemen aufgerufen. Wir sagen damit, dass uns die Komplexität überfordert, da wir das System nicht in Gänze erfassen, sein Verhalten nicht vorhersehen, nicht vorhersagen können. Pragmatisch [1] gedacht, heißt das, dass wir angesichts einer komplexen Situation nicht wissen, wie wir reagieren bzw. handeln sollen. In solchen Situationen ist die menschliche Bedeutungsbildung – mit einer passenden Handlung auf eine vorausgehende Handlung oder Situation zu reagieren –, die ein verstehendes Kommunizieren erlaubt, empfindlich gestört [2].
Für Kinder sind solche Störungen alltäglich. Sie reagieren auf eine Handlung oder Situation und müssen oft feststellen, dass sie falsch liegen. Sie verstehen nicht, d. h. sie wissen nicht, wie man auf eine bestimmte Handlung reagiert und sind zuweilen damit überfordert. Aber sie finden schnell eine Person, die ihnen hilft, die ihnen zeigt, wie man richtig reagiert, oder eine Maschine, von der sie lernen können, richtig zu reagieren. Der Staatschef, der auf einen Terroranschlag in seiner Hauptstadt reagieren muss, steht wie das Kind vor einer komplexen und neuartigen Situation, in der er sich für eine richtige Reaktion entscheiden muss. Nur kann er keine höhere Instanz fragen, keiner kann ihm sagen, was eine richtige und was eine falsche Handlung ist, da es diese Situation noch nie gegeben hat. Wie diesen politischen oder unternehmerischen Entscheidungsträgern geht es auch Wissenschaftlern. Sie sehen sich Phänomenen gegenüber, die keiner vor ihnen bisher gesehen oder bearbeitet hat. Diese Phänomene erscheinen neu, komplex, unerklärlich, d. h. wir wissen nicht, wie wir mit ihnen umgehen sollen.
Am beschriebenen Phänomen der menschlichen Ratlosigkeit, dem Nicht-Wissen, wie zu handeln ist, macht sich aus der Sicht des Pädagogen das grundsätzliche pädagogische Problem fest: Uns fehlen immer wieder gute Strategien, um dem ratlosen Menschen nachhaltige, vielleicht auch effektive Wege zu einem sicheren, d. h. passenden Handeln in einer Gemeinschaft aufzuzeigen. Zu allen Zeiten besteht der pädagogische Impuls, den Menschen in seiner Entwicklung zu unterstützen, indem man ihm richtige Handlungsweisen vorgibt. Diese Vorgaben beginnen im Kindergarten und enden in der Berufsausbildung oder der Universität. Abschließender Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit müsste sein, den Menschen zu befähigen, mit dem Neuen, dem Unbestimmten selbstständig umgehen zu können. Am Ende des Wissens, des Bekannten, des Bestimmten angelangt, brauchen Wissenschaftler und Entscheidungsträger Methoden, um angesichts des Unklaren, Unbestimmten, des Neuen in ein eigenständiges bedeutungsbildendes Handeln zu kommen. Man kann sagen, der Höhepunkt pädagogischer Tätigkeit ist die Abschaffung des Pädagogen.
Die praktische Pädagogik benötigt also zu allen Zeiten effektive, zeitgemäße und nachhaltige Strategien, um Menschen jeden Alters darin zu unterstützen, über Interaktionen einen funktionalen eigenen Weg der Bedeutungsbildung zu entwickeln, der bis zur völlig autarken Selbstbildung führen kann. Diese Entwicklung hin zu einem handlungsfähigen Menschen wird seit Wilhelm von Humboldt im deutschen Sprachraum mit dem Wort Bildung belegt. Hierbei wird der Prozess des Sich-Bildens als ein Selbst-Werden, ein Sich-Entwickeln der Person in Lernprozessen oft mit dem Prozess des Ausbildens, Be-Lehrens, Erziehens verwechselt. Der Bildungsprozess kommt aber nur der Person selbst zu. Pädagogen müssen daran glauben, dass ihre Tätigkeit eine bildende Wirkung hat, neben oder über jene Interaktionen hinaus, die jeder Mensch im alltäglichen Handeln erlebt. Die bewusste und gesteuerte Unterstützung durch Pädagogen nimmt aber wahrscheinlich nur einen sehr kleinen Bereich der bildenden Interaktionen ein. Somit sprechen Überlegungen zur Thematik Bildung alle Personen an, die Menschen in ihrem Werden, ihrer Entwicklung begleiten: Eltern, Verwandte, Erzieher, Lehrer, Hochschuldozenten, Trainer, Berater, Coaches, Therapeuten etc.
Gängige Meinung ist nun: Wer wissen möchte, wie der Bildungsprozess eines Menschen vom Kind bis hin zum selbstständigen Entwickler neuer Bedeutungen unterstützt bzw. gefördert werden kann, der sollte Klarheit darin haben, was diesen Bildungsprozess ausmacht. Pädagogen haben bis heute keine Einigkeit erreicht, was sie unter Bildung verstehen. Erst auf der Basis eines zeitgemäßen Bildungsverständnisses könnten Strategien für die entscheidenden pädagogischen Wirkungsbereiche entwickelt werden: die frühkindliche Bildung, die Bildung von Kindern und Jugendlichen und die Bildung von Erwachsenen.
Gründe für diese Art der Suche nach einem strategisch nutzbaren Bildungsverständnis hat es immer gegeben. Zu Recht trifft hier der Vorwurf, nichts Neues zu suchen. Der Hauptgrund für den Ausbruch "zurück zu Humboldts Bildung" liegt in der Wahrnehmung eines Rückschritts in den pädagogischen Institutionen in Europa. Bildung wird wieder reduziert auf Ausbildung, auf Schulung in der Anpassungsfähigkeit junger, aber auch älterer Menschen an zumeist ökonomische Systemanforderungen. Evaluationen wie PISA, Reformen der Hochschulbildung wie im Bologna-Prozess führen zu pädagogischen Strategien, die nur in Maßen auf die Herausforderungen unserer gesellschaftlichen Entwicklungen vorbereiten und kaum Beiträge leisten, die Handlungsfähigkeit der Menschen hin zu einer Selbststeuerung in komplexen bzw. unbestimmten Situationen zu fördern.
Mit einer theoretischen Fundierung bzw. Operationalisierung von Bildung könnten die Stellschrauben für pädagogisches Handeln in Institutionen der europäischen Bildungssysteme bestimmt werden. Weniger eine vorschnelle Konkretisierung dieser Fundierung in Form weiterer Reformen soll die Perspektive dieses Forschungsprogramms sein, sondern eine grundsätzliche Diskussion um ein zeitgemäßes Verständnis von Bildung. Letztlich ist zu prüfen, ob das Konzept Bildung eine Basis für eine zeitgemäße Entwicklung von Bildungsinstitutionen und -systemen in Europa sein kann. Ein weiterer großer Schritt würde dann sein, spezifische und übergreifende pädagogische Strategien zu entwerfen. Um passende pädagogische Strategien zu entwerfen, die eine Optimierung von individuellen Bildungsprozessen bis hin zur Befähigung von Selbstbildungsprozessen ermöglichen, ist ein fundiertes Wissen um die Struktur von Bildungsprozessen nötig und damit ein Wissen um das, was Bildung fördert bzw. hemmt.
In Deutschland nimmt der Bildungsdiskurs seinen Ausgangspunkt bei Wilhelm von Humboldt. Im Rahmen der "Bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung" wird seit Mitte der 1980er Jahre in der Linie von Rainer Kokemohr, Hans-Christoph Koller und Winfried Marotzki der Schwerpunkt auf eine Verbindung von traditionell theoretischer Bildungsphilosophie und aktuell hofierter empirischer Bildungsforschung über das Konzept der Biographie gelegt. Seit nunmehr 30 Jahren ist das erklärte Ziel, den transformatorischen Bildungsbegriff in der Humboldtschen Tradition zu präzisieren. Als Basis wird folgender Bildungsbegriff gewählt: Bildung ist ein Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person aus Anlass von Krisenerfahrungen, welche die bestehenden Figuren in Frage stellen [3]. Trotz intensiver Forschungstätigkeit kommen diese Studien nicht zu einer zufriedenstellenden Operationalisierung des Bildungsbegriffes.
Beate Richter attestiert 2014 dieser dem Interpretativen Paradigma verpflichteten Forschungstradition, sich in einer methodologischen Sackgasse eingerichtet zu haben. Als Weg aus dieser schlägt sie den Übergang zu einer relationalen pragmatischen Methodologie vor, die sich in den Sozialwissenschaften international bereits langsam etabliert (siehe u. a. Kivinen/Piiroinen, 2006; Fuhse/Mützel 2010). Grundsätzlich geht es hierbei um eine Lösung von repräsentationalen bzw. substantiellen Methodologien, die eine Trennung von Ontologie und Epistemologie vornehmen, was schwerwiegende Trennungen nach sich zieht und zu Dichotomien wie etwa von Theorie und Empirie führt. Eine relationale Perspektive wird aktuell als pragmatische Methodologie gedacht, welche die Bedeutungsbildung in der Interaktion verortet, nach dem Wie des Prozesses der Bedeutungsbildung fragt und nicht nach dem Warum, das die genannten Dichotomien erzeugt (Kivinen/Piiroinen, 2006).
Eine erste Arbeit, die im relationalen Paradigma eine Vorstufe zu einer Operationalisierung wagt, liegt mit der Dissertation "Bildung relational denken" von Beate Richter (2014) vor. Diese als Exploration zu verstehende Arbeit wählt eine dem relationalen Denken verpflichtete Methode, die informelle Axiomatisierung in der Tradition von Wolfgang Stegmüller und Wolfgang Balzer, und arbeitet die Struktur von Bildungsprozessen heraus, indem sie die empirische Entwicklungstheorie von Robert Kegan axiomatisiert. Ergebnis ist ein "Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung", das über eine Modellierung des Bildungsprozesses eine klare Abgrenzung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen ermöglicht und einen vielversprechenden Ansatz für eine Operationalisierung des Bildungsbegriffes darstellt.

Aus diesem Stand der Forschung zum Bildungsbegriff ergeben sich nun drei Arbeitsfelder, die nach einer angemessenen Exploration zu eigenständigen Forschungszielen werden können:
1. Auf der Ebene der Methodologie ist die Perspektive des relationalen, nicht-repräsentationalen mithin pragmatischen Denkens zu sichern. Hierbei ist abweichend von realistischen Methodologien das Wie der sozialwissenschaftlichen Bedeutungsbildung zu bestimmen. Die großen Fragen sind: Welches Ziel hat eine relationale Erkenntnisgewinnung? Was sind die Alternativen zu einer Dichotomisierung von Theorie und Empirie? Wie sollten wir diese anders verstandenen ‚Theorien‘ nennen? Welche Methoden erlauben die Zielerreichung einer relationalen ‚Theorie‘-Bildung?
Diese Fragen sind entscheidend für die Begründung einer methodischen Operationalisierung des Bildungsbegriffes, sofern wir nicht zu der Einsicht kommen, dass auch diese Form überholt ist.
2. Methoden im relationalen Paradigma sind noch nicht etabliert. Der Rückfall in eine Rekonstruktion des Bildungsbegriffes im substantiellen Paradigma muss vermieden werden. Somit besteht die Aufgabe, bestehende Methoden der Theoriebildung / Begriffsdefinition oder -rekonstruktion entweder als relationale zu identifizieren oder neue relationale Methoden zu entwickeln. Die zu beantwortenden Fragen lauten: Welche Methoden können im Rahmen einer relationalen Methodologie etabliert werden, um eine bildungswissenschaftliche relationale ‚Theorie‘-Bildung zu ermöglichen? Kann die informelle Axiomatisierung (nach Stegmüller/Balzer) als funktionale Methode im relationalen Paradigma genutzt werden?
3. Akzeptiert man vorerst die informelle Axiomatisierung als eine relationale Methode, sind weitere empirische Theorien über Robert Kegans Entwicklungstheorie hinaus zu axiomatisieren, um die Struktur von Bildungsprozessen zu bestimmen. Die empirische (zumeist qualitative) Bildungsforschung stellt aktuell keine empirischen Theorien bereit, die einen Entwicklungsgrad erreicht haben, der eine Axiomatisierung sinnvoll macht. Hingegen sind einige Entwicklungstheorien der Psychologie in einem erfolgversprechenden Stadium. Robby Cases, Kurt Fischers Ansätze könnten untersucht werden, um Übereinstimmungen mit Kegans Theoriestruktur herauszuarbeiten und Begriffsfelder innerhalb dieser Struktur noch weitergehend zu bestimmen. Von besonderem Interesse sind bei dieser Vertiefung der Struktur die Anlässe von Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse und der Transformationsprozess selbst.

[1] Ich beziehe mich hier auf die pragmatistische Maxime von Charles Sanders Peirce: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce, 1973, S. 6) (CP 5.18).
[2] Ich vermute, dass der Begriff der Komplexität je nach Zeitgeschehen austauschbar ist. Begriffe wie Risiko, Informationsflut, Orientierungsverlust waren in deutschen Diskursen um gesellschaftliche Veränderungen zur Jahrtausendwende sehr beliebt. Auch das Wort Krise scheint aktuell ein Marker zu sein, der anzeigt, dass wir nicht wissen, wie wir handeln sollen.
[3] Zu finden sind diese Formulierungen in den verschiedenen Schriften von Kokemohr, Koller, Marotzki und den auf ihren Schriften aufbauenden Dissertationen (siehe Richter 2014).


Berlin, September 2016

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Literatur
Balzer, Wolfgang (1982): Empirische Theorien: Modelle - Strukturen - Beispiele, Braunschweig/Wiesbaden 1982.
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Fuhse, Jan; Mützel, Sophie (Hrsg.) (2010): Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung, Wiesbaden.
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Kegan, Robert (1994): In Over Our Heads. The Mental Demands of Modern Life, Cambridge (Mass.)/London 1994.
Kokemohr, Rainer (1992): Zur Bildungsfunktion rhetorischer Figuren. Sprachgebrauch und Verstehen als didaktisches Problem. In: Entrich, Hartmut; Staeck, Lothar [Hrsg.]: Sprache und Verstehen im Biologieunterricht, Alsbach, S. 16-30.
Kokemohr, Rainer (1994): "C’est la crise". Zur Funktionsweise alltagsrhetorischer Weltdeutungen. In: Sabban, Annette; Schmitt, Christian [Hrsg.]: Sprachlicher Alltag. Linguistik – Rhetorik – Literaturwissenschaft, Tübingen, S. 227-244.
Kokemohr, Rainer (2004): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Fremden. Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie, (unveröffentlichtes Manuskript).
Kokemohr, Rainer (2007): Bildung als Welt- und Selbstentwurf im Anspruch des Fremden. Eine theoretischempirische Annäherung an eine Bildungsprozesstheorie. In: Koller, Hans-Christoph; Marotzki, Winfried; Sanders, Olaf [Hrsg.]: Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrungen. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, Bielefeld 2007, S. 13-68.
Koller, Hans-Christoph (1999): Bildung und Widerstreit. Zur Struktur biographischer Bildungsprozesse in der (Post-)Moderne, München 1999.
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Osmo Kivinen, Tero Piiroinen (2006a): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy, Philosophy of the Social Sciences, 36 (2006) 3, 303-329.
Richter, Beate (2014): Bildung relational denken. Eine strukturtheoretische Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs anhand von Robert Kegans Entwicklungstheorie, Dissertation an der HumboldtUniversität zu Berlin.
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Dieser Text steht unter der Creative-Commons-Lizenz "Namensnennung - Nicht-kommerziell - Weitergabe unter gleichen Bedingungen" (CC BY-NC-SA). Diese Lizenz erlaubt es Ihnen, diesen Text - ausschließlich nicht-kommerziell - zu verbreiten, zu remixen, zu verbessern und darauf aufzubauen. Beate Richter ist als Urheberin des Originals stets zu benennen. Die Veröffentlichung eines auf diesem Werk basierenden neuen Werkes muss unter denselben Bedingungen veröffentlicht werden.

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Alles ist relationale Zeichenbildung! Kommunikation als interaktiver Bedeutungsbildungsprozess Ein Versuch, Relationslogik (nach Paul Drechsel & Dieter Leisegang) und Semiotik (nach Charles S. Peirce) zu verbinden.

Beate Richter (9/2015)

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Die Frage, die über diesem Versuch steht und hier nicht abschließend beantwortet werden kann, lautet: Wie entstehen in interaktiven Kommunikationsprozessen Bedeutungen? Mit dieser Frage wird die Suche nach einer relationalen Methodologie verfolgt, wie sie Kivinen und Piiroinen (2006) unter der Bezeichnung pragmatischer Relationalismus fordern [1].
Paul Drechsel behauptet in einer langen, wenig beachteten Tradition: "Alles ist Relation!" [2] (Drechsel 2009). Charles Sanders Peirce eröffnet mit seiner Behauptung "Alles ist Zeichen!" im späten 19. Jahrhundert die neue Tradition der Semiotik. In einer Zeit, in der die Rede vom relationalen Paradigma und relationalen Netzwerken Mode geworden ist, möchte ich diese beiden fundamentalen Ansätze miteinander ins Gespräch bringen, um dem so genannten relationalen Denken eine strukturtheoretische Basis zu geben. Kommunikation wird hierbei als Prozess der Bedeutungsbildung verstanden und als Akt der Zeichenrelationierung interpretiert.
Ziel dieses Textes ist es, auf die Möglichkeiten der Verbindung dieser beiden Ansätze hinzuweisen und sie in ihren sich gegenseitig ergänzenden Kernen darzustellen. Die Zusammenführung in eine gemeinsame Struktur des Bedeutungsbildungsprozesses, in einem Modell der evolutionären Bedeutungsbildung bleibt hier jedoch noch offen.

Paul Drechsel: "Alles ist Relation!"

Wenn Kivinen und Piiroinen (2006) von John Dewey die Idee aufnehmen, dass die Relation, welche die Bedeutungen erst schafft, zum zentralen Untersuchungsgegenstand eines Methodologen werden sollte, so versäumen sie doch zu bestimmen, was sie unter einer Relation verstehen. Eine philosophische Denktradition, die die Relation in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, pflegen die Relationslogiker. Wenig beachtet, bezieht sich Paul Drechsel in seinen zahlreichen Veröffentlichungen zur Relationslogik auf Dieter Leisegang (1969), der nach langer Unterbrechung der philosophischen Diskussion die Relationslogik in den 1960er Jahren in Erinnerung bringt. Drechsels iterative Erweiterung (2000 bis 2010) dieser Relationslogik wird von Beate Richter (2014) aufgenommen und im Rahmen einer entwicklungstheoretischen Axiomatisierung formal präzisiert. Letztere ist Hauptgegenstand des aktuellen, oben genannten Forschungsprojektes der Modellierung von Bedeutungsbildung.
Neben der traditionellen Relationslogik der funktionenlogischen Mathematik [b = R(a)] gibt es eine philosophische Sichtweise der Relation, welche die Relation a r b als ein antinomisches Produkt von Innen und Außen betrachtet (Drechsel 2009). "Zum einen verbindet die Relation ‚R’ die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet somit ihr ‚Innen‘, ‚Einen‘ oder ‚Identität‘, zum anderen trennt sie zugleich die Pole ‚a‘ und ‚b‘, bedeutet ihr ‚Außen‘, ‚Trennen‘ oder ‚Differenz‘" (Drechsel et al. 2000: 40). Diese Momente des Verbindens und Trennens schließen sich wechselseitig ein und aus und führen in eine "fundamentale Widersprüchlichkeit", die im Verlauf der europäischen Denkgeschichte auf drei verschiedene Weisen gelöst worden ist (Drechsel et al. 2000: 40).
Diese von Dieter Leisegang (1969) als Relationen erster, zweiter und dritter Potenz bezeichneten Lösungen können folgendermaßen interpretiert werden: Die Relation erster Potenz stellt sich als absolute Trennung von Zeichen dar, die damit in einer Außenbeziehung stehen. Die Verbindung von Zeichen ist hingegen die reine Innenbeziehung. Beide Momente – das Trennen und das Verbinden – sind Erscheinungsformen der vollständigen Relation R, aber nur unabhängig voneinander denkbar. Die Relation dritter Potenz erscheint als Vollzug des Relationierens (Richter 2014: 53) und ist nach Drechsel die Kombination der ersten und zweiten Potenz der Relation: "Die Relation dritter Potenz operiert in untrennbarer Parallelität von ‚Innen‘ und ‚Außen‘, ihre Momente operieren in einem paradoxen Doppelspiel. Fixiert man das Innen, operiert das Außen, fixiert man das Außen, operiert das Innen" (Drechsel et al. 2000: 65).
Diese Denkweisen der ersten, zweiten und dritten Potenz der Relation lassen sich in Peirce Schlussregeln der Deduktion, der Induktion und der Abduktion wiedererkennen. Während Leisegang und Drechsel die Relation fokussieren und eine allgemeine Bestimmung der Relata überspringen, fokussiert Peirce das Zeichen und lässt die Relation als solche außer Acht. Die Zusammenführung beider Ansätze kann zu einer Präzisierung der Idee einer relationalen Bedeutungsbildung führen. Bevor jedoch dieser Zusammenhang hergestellt wird, soll hier zunächst Peirce Zeichenbegriff in eigener Interpretation zusammengestellt werden.

Charles Sanders Peirce: "Alles ist Zeichen!"

Wohlbekannt und aus den Collected Papers (CP) des Charles Sanders Peirce [3] vielzitiert, sind seine pragmatistische Maxime bzw. das pragmatische Prinzip [4], die Schlussregel der Abduktion und die Definition des Zeichens. Obwohl Peirce die Frage des Pragmatismus mit der Frage der Logik der Abduktion gleichsetzt [5], finden sich keine Untersuchungen, die diese Deckungsgleichheit aufnehmen. Hinzu kommt, dass die Bildung trirelationaler Zeichen auch von Peirce selbst nicht im Zusammenhang mit seinen Schlussregeln diskutiert wird. Im Folgenden wird daher der Versuch gewagt, zunächst die pragmatistische Maxime konsequent auf die triadische Struktur des Zeichens zu beziehen, und damit eine neue Deutung der Peirceschen Zeichendefinition vorgeschlagen. Anschließend wird diese Zeichendefinition unter Verwendung von Leisegangs und Drechsels Interpretation der Relation mit den Denkweisen der Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion verbunden. Damit gelingt es, das Zeichen konsequent dreiwertig und relational zu denken und so das substantielle Denken zu übersteigen.
Wer mit Peirce‘ Verständnis von Semiose arbeiten möchte, muss bezüglich des Zeichen-Begriffes radikal umdenken. Ein Zeichen ist logisch nicht zweiwertig – wie in zahlreichen Zeichentheorien des 20. Jahrhunderts [6] –, sondern dreiwertig zu denken. Nicht nur Zeichen und Bezeichnetes, sondern Repräsentamen, Objekt und Interpretant bestimmen nach Peirce die dreiwertige Zeichen-Struktur. Darüber hinaus ist ein Abschied von der bisherigen Denkweise von Repräsentation nötig. In vielen Auseinandersetzungen mit Peirce‘ Ansatz wird die Rede von Objekt und Repräsentamen unangemessen übersetzt in ein Verhältnis des realen Objekts zum zeichenhaften Abbild und der Interpretant wird fälschlicherweise als ein Interpret aufgefasst, der die Vermittlung zwischen Original und Abbild übernimmt [7].
Nina Ort fordert in ihrer Reflexionslogischen Semiotik in Bezug auf Peirce‘ Zeichenbegriff den Verzicht auf die Idee der Vermittlungsfunktion, die zum Denken der zweiwertigen Logik gehört, und fordert das konsequente Denken dieser Funktion als Relationierung (Ort 2007: 195 f.). Diese Forderung wird hier mit der pragmatischen Maxime von Peirce kombiniert, um zu einem relationalen dreiwertigen Verständnis von Semiose als Prozess der Zeichenbildung zu gelangen. Von nicht unerheblicher Bedeutung ist hierbei das Prozessdenken. Es geht nicht darum, die Entstehung eines materialen Zeichens im Sinne eines Wortes oder eines Verkehrszeichens zu begründen, sondern um die Bildung von Bedeutungen, die Handlungen motivieren.
Das Prinzip des Pragmatismus formuliert Peirce in seinen Harvard-Vorlesungen aus dem Jahr 1903 folgenderma- ßen: "Pragmatism is the principle that every theoretical judgment expressible in a sentence in the indicative mood is a confused form of thought whose only meaning, if it has any, lies in its tendency to enforce a corresponding practical maxim expressible as a conditional sentence having its apodosis in the imperative mood" (Peirce CP 5.18). ["Pragmatismus ist das Prinzip, daß jedes theoretische Urteil, das in einem Indikativsatz ausdrückbar ist, eine unklare Form des Denkens ist, deren einzige Bedeutung, wenn sie eine besitzt, in der Tendenz liegt, eine korrespondierende praktische Maxime zu verstärken, die als ein Konditionalsatz, dessen Nachsatz im Imperativ steht, ausdrückbar ist" (Peirce, 1973, S. 7).]
Ein Konditionalsatz hat die Form: Wenn X, dann Y. Der Nachsatz Y soll hierbei ein Imperativ sein. Wenn ich also das Zeichen X wahrnehme, dann bedeutet mir dieses, dass ich im Sinn von Y handeln sollte. Wenn die Pianistin ihr Klavierspiel beendet und dazu die Hände nach dem Abheben von den Tasten wieder senkt und langsam aufsteht, dann darf bzw. sollte das Publikum applaudieren. Das Applaudieren des Publikums wird wiederum zum Zeichen, das eine scheinbar endlose Kette von Handlungen erzeugt: Die Pianistin verbeugt sich und dankt. Auf ein bekanntes Zeichen (wenn) folgt eine gewohnte Handlung (dann).
Mit der pragmatischen Sicht auf die Zeichenbildung wird negiert, dass ein Zeichen als solches Bedeutung hat, und postuliert, dass es seine Bedeutung durch die Konsequenzen seines Gebrauchs erhält. Für Peirce heißt das: "There is no distinction of meaning so fine as to consist in anything but a possible difference of practice" (Peirce 1999: 265). Es werden keine Originale oder Objekte mit entsprechenden Symbolen oder Abbildern verknüpft, sondern Zeichen mit Zeichen, die einen Weisungscharakter für uns haben. Die Bedeutung des ersten Zeichens Z1 besteht darin, zu wissen, welche Handlung, die wiederum zu einem Zeichen Z2 wird, zu folgen hat. Die Verknüpfung von Z1 und Z2 kann als Regel betrachtet werden.
Im oben aufgeführten Prinzip des Pragmatismus lässt sich der Zeichenbegriff allerdings nur schwer erkennen. Peirce definiert das Zeichen als triadische Relation: "A Sign, or Representamen, is a First which stands in such a genuine triadic relation to a Second, called its Object, as to be capable of determining a Third, called its Interpretant, to assume the same triadic relation to its Object in which it stands itself to the same Object” (Peirce CP 2.274).
Aus pragmatischer Perspektive können das Repräsentamen und das Objekt als die Zeichen Z1 und Z2 interpretiert werden. Sie erscheinen vorerst logisch in der Chronologie von Erstem und Zweitem. Oft als das Allgemeine oder das Vermittelnde interpretiert, ist das Dritte, der Interpretant, der die Relation r im Sinne der Regel "Wenn …, dann …!" zwischen den Zeichen herstellt (siehe Abbildung 1). Da die Bezeichnungen Abbild und Objekt zu häufig in Verbindung mit einer zweiwertigen Logik verwendet werden, verzichte ich darauf und nutze nur den Begriff Zeichen unter Angabe der Position 1 oder 2 bzw. w(-enn) oder d(-ann). Später wird sich zeigen, dass die Reihenfolge 1, 2, 3 der Schlussregel der Abduktion entspricht, wie in Peirce‘ Gleichsetzung von pragmatischem Prinzip und Logik der Abduktion.


Abbildung 1: Pragmatische Interpretation des trirelationalen Zeichens nach Peirce

Nimmt man nun diese Struktur als Basis, lässt sich der oben im Beispiel beschriebene Kommunikationsprozess als eine endlose Kette von Zeichenrelationen verstehen (siehe Abbildung 2). Jede Anschlusshandlung Zd (d = dann) wird in dieser Position 2 wiederum zum Zeichen Zw (w = wenn) in der Position 1 einer Folgerelation. Für ein Ego wird das Zeichen Zd1 von Alter zum Zeichen Zw2.


Abbildung 2: Kommunikationsprozess mit trirelationalen Zeichen

Ein Zeichen hat für mich eine Bedeutung, wenn ich weiß, wie ich reagieren kann oder sollte. Es ist bedeutungslos, wenn ich kein Reaktionszeichen zur Verfügung habe. Bedeutung entsteht also durch die Verknüpfung eines Zeichens mit einer Handlungsanweisung, die wiederum zu einem Zeichen für einen Interpreten wird, so dass ein interaktiver Kommunikationsprozess entsteht.

Relationale Zeichen und Relationslogik

Die oft an Peirce‘ Zeichenbegriff gestellte Frage, was denn nun das eigentliche Zeichen sei – das Zeichen in der ersten Position des Repräsentamens oder die gesamte Trirelation –, lässt sich auch hier noch nicht beantworten und zeigt zugleich ein Befangensein im substantiellen Denken. Bei genauerer Betrachtung werden die Zeichen Zw und Zd und die Wenn-dann-Relation r auch in der pragmatischen Interpretation der Triade substantiell gedacht. Die beiden Zeichen der Triade in Positionen 1 und 2 repräsentieren etwas: eine Wenn-Situation und eine DannHandlung. Die Relation repräsentiert eine Wenn-dann-Schlussregel.
Wie lässt sich dieser Rückfall in substantielles Denken mit Peirce‘ Anspruch auf einen relationalen Zeichenbegriff vereinbaren? Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der Aufnahme der Ideen der oben vorgestellten Relationslogik. Beziehen wir dieses relationslogische Denken auf Peirce Zeichentriade, wird deutlich, dass das Sprechen von den Zeichen Zw und Zd den Charakter der Relation erster Potenz und das Sprechen von einer Wenn-dannRelation der Relation zweiter Potenz gleichkommt. Die Rede von diesen Teilen der Zeichentriade bringt die Semiose (den Zeichenbildungsprozess) zum Stillstand. Mit den Zeichen Zw und Zd und der Zeichenrelation r werden vorerst nur die Produkte oder Ergebnisse des Zeichenbildungsprozesses erfasst. Wir können den Prozess der Relationierung entweder nur als getrennte Zeichen denken, die wir nachträglich in eine Beziehung zueinander setzen, oder nur als die Relation, als ein Wenn-dann. Der Vollzug, die Relationierung selbst ist nicht erfassbar und kann im Schema der Leisegangschen Relationslogik der Relation dritter Potenz zugeschrieben werden. Nur letzteres kann als reines relationales Denken, als relationaler Kommunikationsprozess im eigentlichen Sinne bezeichnet werden, als jener Prozess, in dem neue Bedeutungen gebildet werden. Die Fokussierungen der Relata und der Relation sind dem substantiellen Denken zuzuordnen.

Schlussregeln: Abduktion, Deduktion und Induktion

Eine wichtige Konsequenz dieser Überlegungen ist, dass der Bedeutungsbildungsprozess in drei verschiedene logische Formen aufgelöst werden kann, die wiederum mit den drei Schlussregeln von Peirce – der Abduktion, der Deduktion und der Induktion – identifiziert werden können. Der Vollzug der Relationierung als Relation dritter Potenz ist sich seiner selbst nicht bewusst und kann vorerst mit der Abduktion gleichgesetzt werden. In der Relation erster Potenz zeigt sich eine bewusste Aktivität, die die Bestandteile des Relationierungsprozesses als Zeichen identifiziert, also trennt. Diese Aktivität möchte ich - vorerst unbegründet - mit der Schlussregel der Deduktion identifizieren. Die Folge des deduktiven Schlussprozesses, in dem die Zeichen getrennt werden, bildet der induktive Schlussprozess, in dem die Relation (zweiter Potenz) selbst als ein verbindendes Moment bestimmt wird.
Die Rede von bewussten und unbewussten Aktivitäten ist hier nicht passend. Alle drei Aktivitäten erfordern Bewusstsein, nur dass der abduktive Schluss eine spontane Relationierung darstellt, die als konstruktiver Innovationsprozess bezeichnet werden muss, während man Deduktion und Induktion als Rekonstruktionsprozesse bezeichnen kann, die eine abduktiv gebildete Bedeutung festigen und übertragen. Die Relata als Zeichen und die Relation als Verbindung der Zeichen werden in Wiederholungsakten interaktiver Kommunikation als solche bestimmt. Insofern kann im Falle des abduktiven Schlusses von einem unbestimmten Konstruieren und in den Fällen der deduktiven und induktiven Schlüsse von bestimmendem Rekonstruieren gesprochen werden. Diese Schlussweisen erscheinen nicht erst hier als die originären Methodologien der Sozialwissenschaftler. Die großen Streits der Paradigmen-Vertreter sind immer mit der Präferenz einer Schlussform geführt worden. Alle drei Schlüsse sollten nach den obigen Überlegungen in eine relationale Methodologie aufgenommen werden.
Abduktion, Deduktion und Induktion können mit Blick auf Peirce Zeichendefinition konsequenter relational gedacht werden. Dazu werden hier die (mehr oder weniger) bekannten Definitionen der Schlussformen von Peirce zusammengestellt und kritisch betrachtet.
Erst in seinen späten Schriften zur Logik der Forschung (ab 1901) manifestiert sich bei Peirce der Zusammenhang der logischen Schlussformen von Abduktion, Deduktion und Induktion in dieser Abfolge als die Logik der Forschungsmethoden (CP 7.59). Ralf Müller (1999) fasst diese für jeden Forschungsprozess notwendige Abfolge treffend unter dem Begriff "Metaschlußfolgerung" "als Semiose zweiter Stufe" zusammen und bestimmt sie "als de[n] Prototyp einer Semiose überhaupt, da alle drei Stufen der ‚Schlußfolgerung‘ selbst Schlußfolgerungen sind" (Müller, 1999, S. 85). Isaac Levi (1997) und J. Jay Zeman (1986) verweisen ebenfalls auf diese logische Reihenfolge: "The broadest sketch of the process of inquiry in Peirce’s terms begins with abductive reasoning, which is the educated hypothesis-formation which proposes initial organizations of figure in the problematic field. Deduction enters in a mediating way, drawing out the consequences of the abductive hypotheses. And induction consists in the return to experience which aims at confirming or refuting those hypotheses by seeing whether the deduced consequences hold or not" (Zeman, 1986, S. 12). Hier wird der vielzitierte Zusammenhang aufgemacht, dass die Abduktion eine Hypothese entwirft, die Deduktion deren Auswirkungen/Reichweite aufzeigt und die Induktion diese Auswirkungen/Reichweite überprüft.
Betrachtet man nun Peirce Aussagen zu den einzelnen Schlussregeln ergibt sich folgendes, noch nicht vollständig konsistentes Bild:
Die Abduktion wird mit dem Prinzip des Pragmatismus gleichgesetzt: "… the question of pragmatism … is nothing else than the question of the logic of abduction” (CP 5.195). Sie kann also als die oben aufgezeigte Wenndann-Relation von Zeichen gedacht werden. Hierbei steht die Abduktion am Beginn einer jeden Ausbildung von Gewohnheiten, im Sinne (später) geprüfter Regeln. Peirce spricht von einer Erwartbarkeit (abductive expectability) in Abgrenzung zur deduktiven Notwendigkeit (deductive necessity) und induktiven Wahrscheinlichkeit (inductive probability) (CP 5.193). Scheinbar im Widerspruch zu dieser Begriffswahl steht seiner Charakterisierung des abduktiven Schlusses: "The abductive suggestion comes to us like a flash. It is an act of insight, although of extremely fallible insight. It is true that the different elements of the hypothesis were in our minds before; but it is the idea of putting together what we had never before dreamed of putting together which flashes the new suggestion before our contemplation" (CP 5.181).
Versteht man den Prozess des abduktiven Schlusses als eine Wenn-dann-Hypothese, die durch das nicht-notwendige Zusammenbringen von bekannten Zeichen entsteht, dann liegt in den Zeichen der bewusste, erwartbare Teil; in der Verbindung jener Teil, den Peirce mit einem may be besetzt (CP 5.171) [8]. Diese Hypothese als Ganzes stellt jene neue Idee dar, die nur im abduktiven Prozess entstehen könne (CP 5.171) [9].
Die Deduktion nimmt als das notwendige Schließen die Mittelposition zwischen Abduktion und Induktion ein. Wichtig ist hier, dass wir Peirce‘ Charakterisierung der Deduktion nicht mit der deduktiv-nomologischen Forschungslogik der empirischen Wissenschaften gleichsetzen. Das notwendige Schließen gehe vom hypothetischen Zustand der Dinge aus und definiere diesen abstrakt (CP5.161) durch die Erläuterung der Begriffe der Prämissen (CP5.176). "… necessary reasoning is merely explicatory of the meaning of the terms of the premisses, only reversing the use to be made of it" (CP5.176). Diese Überlegung lässt sich mit Blick auf die pragmatische Wenn-dann-Relation von Zeichen als eine wiederholte Veränderung des Gebrauchs der Zeichen interpretieren, um die Relation bestimmter Zeichen zu festigen. Es geht also um die eindeutige Bestimmung der Zeichen, die in der hypothetischen Relation stehen. Diese Bestimmung ist nicht mit der üblichen Definition von Begriffsinhalten zu verwechseln. Sie ist ein Bestimmen im Sinne von Abgrenzen, was mit der oben genannten Bestimmung von consequences als der Reichweite einhergeht. Welche Zeichen sind jene, die in der Hypothese in eine Relation gebracht werden dürfen? Nicht die Überprüfung der Übereinstimmung der Hypothese bzw. ihrer Zeichen mit dem Zustand der Dinge der realen Welt, sondern die Existenz der Relation zwischen den realen Dingen der Prämisse und der Konklusion ist hier für Peirce entscheidend (CP5.161). Als Ziel des deduktiven Schließens kann damit betrachtet werden, dass durch die Deduktion aus der hypothetischen Anregung der abduktiven Zusammenführung eine stabile Wenn-Dann-Relation wird, die den Charakter einer Vorhersage hat (CP 5.171) [10]. Die Wenn- und Dann-Zeichen werden erst in diesem Trennungsprozess zu bestimmten Zeichen, was einer Relation erster Potenz gleichkommt. Für die Induktion wird das Ergebnis der Deduktion, also die gesicherte Wenn-Dann-Relation bestimmter Zeichen, zum Ausgangspunkt. Sie erhält den Status einer Theorie. "Induction consists in starting from a theory, deducing from it predictions of phenomena, and observing those phenomena in order to see how nearly they agree with the theory” (CP 5.170). Peirce spricht immer wieder von einem Testen der Vorhersage der Deduktion durch die Induktion (CP 5.171). Bezogen auf die pragmatische Wenn-Dann-Relation kann dies nur bedeuten, dass entweder beim Erscheinen eines Wenn-Zeichens mit einer gesicherten Wenn-Dann-Relation als Theorie ein Dann-Zeichen vorhergesagt wird oder umgekehrt beim Erscheinen eines Dann-Zeichens über die bekannte Relation (Theorie) ein Wenn-Zeichen rekonstruiert werden kann.
Der Unterschied zwischen deduktivem und induktivem Schluss ist hier nicht ohne weiteres ersichtlich. In beiden Fällen scheint es um ein Testen der Relation von Wenn- und Dann-Zeichen zu gehen. Im Fall der Deduktion wird jedoch bis zur Fixierung der Relation getestet, welche Zeichen zusammengehören, d. h. die Zeichen werden zu Zeichen gemacht. Im Fall der Induktion wird die Relation bewusst eingesetzt, um das dritte Element zu bestimmen. Im induktiven Testprozess wird die verbindende Relation selbst zum Zeichen gemacht. Diese Fokussierung der Relation entspricht dem Gedanken der Relation zweiter Potenz. Peirce Bezeichnung als induktiver Wahrscheinlichkeit lässt sich nur damit erklären, dass auch hier eine Art Lernprozess einsetzen muss. Zu einem Zeichen Zw1 wurden durch Deduktion ein Zd1, Zd2, Zd3 usw. stabil relationiert. Die Person, die nun in einer bestimmten Situation Zw1 wahrnimmt, muss das richtige Dann-Zeichen wählen. Im Testverfahren wird sie die bekannten verbindenden Relationen einsetzen, bis das richtige Dann-Zeichen bestätigt worden ist. Zw1 und eine bestimmte Relation müssen erkannt sein, um ein Zdx erzeugen zu können. Ungeklärt ist hierbei die Frage, wie diese Fokussierung der Relation gelingt. Gregory Bateson und Paul Watzlawick sprechen von einer Interpunktion. Die Beziehung der Kommunikationspartner wird thematisiert, d. h. sie wird zum Zeichen und kann später sogar symbolisiert werden. Ich halte es nicht für sinnvoll, hier von notwendig und wahrscheinlich zu sprechen. Die Lernprozesse, die Peirce hier als Testprozesse beschreibt, haben denselben Grundcharakter: Sie zielen auf Zeichenbildung und Symbolisierung – nur dass die Deduktion Zeichen in einem Abgrenzungsverfahren bildet und die Induktion versucht, ein Beziehungsmoment symbolisch zu fixieren. Beide Schlüsse sind an Wiederholungsprozesse gebunden.
Die Schlussregeln der Abduktion, der Deduktion und der Induktion können also aus derselben Zeichenstruktur (Wenn-Zeichen, Dann-Zeichen und relationierende Regel) handlungslogisch abgeleitet werden. Die Abduktion wird hier als jener Entwurf verstanden, der alle drei Elemente im selben Moment zusammensetzt: Zwei Zeichen werden zu einer Regel relationiert. Die Deduktion folgt als ein Modus der Anwendung dieser Regel auf ähnliche Situationen. Im Gegensatz zu den bestehenden Peirce-Interpretationen soll hier die Deduktion in ihrer Funktion als Prüfmechanismus aufgefasst werden. Die gebildete Regel wird auf ihre Anwendbarkeit überprüft und in diesem Trennungsprozess eine Zeichenbildung vorgenommen. Die Induktion kann erst auf die Deduktion folgen, da sie die getrennten Zeichen in einer spezifischen Regel voraussetzt. Ebenfalls abweichend von den Peirce-Interpretationen möchte ich die Induktion als die Verallgemeinerung der Regel bzw. der Relation verstehen. Mit induktiven Schlüssen gelangen wir zu allgemeineren Formen der abduktiv erzeugten und deduktiv geprüften speziellen Regel.

Fazit

Aus der Zusammenführung von Drechsel/Leisegangs Relationslogik und Peirce‘ zeichentheoretischen Ansätzen lassen sich folgende Strukturen der Bedeutungsbildung in der menschlichen Kommunikation ableiten:
(1) Der Bedeutungsbildungsprozess einer Person beginnt mit einem abduktiven Schluss. In einer Interaktion von Ego und Alter wird von Ego ein Zeichen mit einem weiteren Zeichen in eine Folgebeziehung gesetzt. Beide Zeichen und ihre Verbindung sind für Ego vorerst hypothetische Setzungen, die in Wiederholungsprozessen stabilisiert werden müssen.
(2) Die intuitiv geistesblitzartige Setzung der Zeichenrelation wird in jenem Sinne deduktiv gefestigt, dass ein Wenn-Zeichen und ein imperatives Dann-Zeichen von jeweils ähnlichen Zeichen durch Wiederholungsversuche durch Ego getrennt werden. Die Betonung liegt hier nicht auf der Bestätigung der Hypothese, vielmehr auf der präzisen Bestimmung der zusammengehörigen Zeichen in einem Abgrenzungsprozess.
(3) Der dritte Schritt von Ego im Rahmen der Entwicklung einer Bedeutung hat induktiv schließenden Charakter. Die Relation der Zeichen wird bestimmt, vermutlich um die deduktiv stabilisierte Zeichenrelation auf andere Interaktionspartner bzw. -situationen übertragen zu können. Die bestimmte Relation kann als Operation genutzt werden, um aus dem Wenn-Zeichen ein Dann-Zeichen abzuleiten und umgekehrt.

Alle drei Schlussformen können demnach als Schritte der Bedeutungsbildung ausgemacht werden. Hierbei hat die Abduktion als Vollzug der (ersten) Relation einen verdeckteren Charakter; die Deduktion als Fokussierung der Zeichen sowie die Induktion als Fokussierung der Relation erscheinen offensichtlicher. Hieran lässt sich der Entwicklungscharakter des Prozesses erkennen. Die Art, wie Ego Bedeutungen bildet, entwickelt sich mit seinen Fähigkeiten zum Fokussieren, d. h. dem Bilden von Zeichen. Der Bedeutungsbildungsprozess ist immer an eine Person gebunden, die mit einer weiteren Person kommuniziert und sich notwendig in diesem Kommunikationsprozess entwickelt, also ihre Art der Bedeutungsbildung verändert. Diese Erkenntnis findet sich in strukturalistischen Ansätzen der Entwicklungspsychologie, wie bei Robert Kegan, und in holistischen Lerntheorien, wie bei Gregory Bateson, die den Weg hin zu einer vollständigeren Beschreibung des Bedeutungsbildungsprozesses zeigen.

Berlin, September 2015

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[1] Siehe hierzu Richter (5/2015).
[2] Paul Drechsel beginnt seinen Aufsatz Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra mit dem Satz: "Alles ist Beziehung!" und postuliert, dass die Relation "Voraussetzung allen natürlichen Seins und Denkens" ist (Drechsel 2009: o. SA.).
[3] Ich beziehe diese Ideen ausschließlich aus dem Spätwerk ab 1903 und hauptsächlich auf die Lectures of Pragmatism aus dem Jahre 1906.
[4] Siehe Peirce Pragmatismus-Vorlesungen an der Harvard-University aus dem Jahr 1903, in der Peirce vom Prinzip des Pragmatismus und gleichzeitig von Maxime des Pragmatismus spricht.
[5] "Thus, the maxim of pragmatism, if true, fully covers the entire logic of abduction” (CP 5.196).
[6] De Saussure, Eco etc.
[7] Beispiele finden sich bei Pape (1989) Müller (1999), Baltzer (1994). Hoffman verweist auf diese Fehlinterpretation: "der ‚Interpretant‘ ist insofern eine notwendige Implikation der Triade und hat keinerlei ‚Freiheit der Interpretation‘. Genau aus diesem Grund darf der Peircesche Interpretant nicht mit einem ‚Interpreten‘ verwechselt werden; er ist allein formal bestimmt als dasjenige singuläre konkrete Ereignis, das durch die allgemeine Seite des Zeichens determiniert wird" (Hoffmann 1996: 12).
[8] "Deduction proves that something must be; Induction shows that something actually is operative (tatsächlich wirkt); Abduction merely suggests that something may be” (CP 5.171).
[9] "Abduction is the process of forming an explanatory hypothesis. It is the only logical operation which introduces any new idea; for induction does nothing but determine a value, and deduction merely evolves the necessary consequences of a pure hypothesis" (CP 5.171).
[10] "Its only justification is that from its suggestion deduction can draw a prediction which can be tested by induction, and that, if we are ever to learn or to understand phenomena at all, it must be by adduction that this is to be brought about” (CP 5.171).

Literatur
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Drechsel, Paul (2009): Philosophie des Relationskonzeptes und der Geometrischen Algebra, Draft, Online: http://www.drechsel-science.de/Startseite-Philosopie%20der%20Relation%20und%20 geometrischen%20Algebra.pdf, Zugriff am: 10.6.2012.
Drechsel, Paul (2010): Von Grassmanns Ausdehnungslehre zur Geometrischen Algebra und Logik, Vortrag im Ernst Schröder Zentrum der TU Darmstadt, 29. Januar 2010, Online: http://www.drechselscience.de/Vortrag%20TU-Darmstadt-29-01-10.pdf, Zugriff am: 11.6.2012. Drechsel, Paul (2013): Relationskonzept, Online: http://www.drechsel-science2.de/relationskonzept/, Zugriff am: 8.4.2013.
Drechsel, Paul (o. J.): Logik der Arbeitsverteilung und Arbeitsverbindung, Kapitel 2 des Manuskripts, Online: www.drechsel-science.de/Globalisierungs-Vortrag/Buch-Kapitel-2.pdf, Zugriff am: 18.4.2012.
Drechsel, Paul; Schmidt, Bettina; Gölz, Bernhard (2000): Kultur im Zeitalter der Globalisierung: von Identität zu Differenzen, Frankfurt/M. 2000.
Günther, G. (1991): Idee und Grundriß einer nicht-Aristotelischen Logik. Die Idee und ihre philosophischen Voraussetzungen. Hamburg.
Hoffmann, Michael (1996): Eine semiotische Modellierung von Lernprozessen. Peirce und das Wechselverhältnis von Abduktion und Vergegenständlichung, Occasional Paper 160, URL: http://www.uni-bielefeld.de/idm/alte-webseite/serv/dokubib/occ160.pdf, Zugriff am: 23.9.2014
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303- 329.
Leisegang, Dieter (1969): Die drei Potenzen der Relation. Frankfurt.
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Müller, Ralf (1999): Die dynamische Logik des Erkennens von Charles S. Peirce. Würzburg.
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Pape, Helmut (1989): Erfahrung und Wirklichkeit als Zeichenprozeß. Charles S. Peirces Entwurf einer Spekulativen Grammatik des Seins, Frankfurt.
Peirce, C. S. (1973): Lectures on Pragmatism - Vorlesungen über Pragmatismus. Hamburg 1973: Mit Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von Elisabeth Walther.
Peirce, C. S. (1991): Vorlesungen über Pragmatismus. Hamburg 1991.
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Peirce, C. S. (1999): How to Make Our Ideas Clear. In: Writings of Charles Sanders Peirce. A Cronological Edition by Christian J. W. Kloesel, Volume 3 1872-1878, Bloomington 1999
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Aktuelle Ansätze einer relationalen Methodologie
Beate Richter (05/2015)

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Das Nicht-Passen von Theorie und ‚Realität‘ wird in wissenschaftstheoretischen Diskussionen auf die vorauslau- fende Dichotomisierung im Rahmen eines substantiellen Denkens zurückgeführt. Die Probleme eines repräsenta- tionalen bzw. substantiellen Denkens, das stets Dichotomien erzeugt und nicht nur das sozialwissenschaftliche Denken an seine Grenzen führt, sind vielfach benannt und lassen sich wie folgt zusammenfassen: Sind die Unter- suchungsgegenstände in einer realistischen Ontologie verortet, müssen epistemologische Erklärungen in einer ge- trennten Welt stattfinden. Beide Welten können anschließend nicht wieder zusammengeführt werden.
Als alternativer wissenschaftstheoretischer Ansatz bietet sich der pragmatische Relationalismus an, der einer rea- listischen eine pragmatische und einer substantiellen eine relationale Perspektive entgegensetzt und mit einem akteurszentrierten Handlungskonzept die Dichotomisierung überwinden will. In dieser Perspektive arbeitet eine finnische Gruppe um den Soziologen und Erziehungswissenschaftler Osmo Kivinen am Research Unit for the Sociology of Education (RUSE) an der Universität Turku. Kivinen veröffentlicht seit 2003 mit wechselnden Ko- autor/innen herausragende, jedoch wenig beachtete Artikel, in denen er einen pragmatistischen, antirepräsentatio- nalistischen und antireferentialistischen Ansatz als Pragmatist Methodological Relationalism vorstellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 307 ff.). Hierbei grenzt er sich von allen relationalen Methodologien ab, die realistische oder metaphysische Konzepte enthalten, etwa von Margaret Archer, Mustafa Emirbayer, Roy Bhaskar, John Se- arle, aber auch von Pierre Bourdieu, dem er trotz seiner antirealistischen Perspektive die metaphysische Suche nach einer Tiefenstruktur sozialer Prozesse vorwirft.
Unumstrittene Wegweiser pragmatistischen Denkens sind für Kivinen et al. John Dewey und Charles S. Peirce. Beide Autoren sind Ideengeber, wenn es um eine pragmatistische Bestimmung einer sozialwissenschaftlichen Me- thodologie geht. Kivinen übernimmt von Dewey die Idee der Handlungsgewohnheiten (habits), die für ihn ein akteurszentriertes embodied knowing-how darstellen, und führt die Idee des Konzeptes (des linguistic knowing- that) als Werkzeug des Wissenschaftlers ein, mit dem er die Handlung(sgewohnheit)en beschreibt, um wiederum Handlungen vorhersagen zu können. Nach Dewey basieren wissenschaftliche – wie alle anderen – Bedeutungsbil- dungen auf den Relationen zwischen Bedeutungen. Diese Relationen seien somit die eigentlichen Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchungen (Kivinen/Piiroinen 2006: 310). Kivinen/Piiroinen fordern, „to replace the whole idea of inquiry revealing the structures of reality with a notion of inquiry simply organizing data to coherent webs of useful descriptions” (Kivinen/Piiroinen 2006: 316). Eigenschaften werden zu Eigenschaften durch ihre Relation zueinander, können aber erst als Eigenschaften oder Relationen erfasst werden, wenn sie in sym- bolischer Sprache ausgedrückt werden (Kivinen/Piiroinen 2006: 316).
Kivinnen und Piiroinen stellen damit dem theory-driven relational realism einen problem-driven/pragmatic me- thodological relationalism entgegen und betonen die Notwendigkeit der Abkehr des wissenschaftstheoretischen Denkens von einer Ursachensuche und der Hinwendung zu einem methodologischen Denken, das die Wie- Frage in den Fokus stellt (Kivinen/Piiroinen 2006: 322). Wie schon Dewey fragen sie, “how different kinds of conceptions could help people to solve the practical problems they face” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325). Sie beschreiben ihre Aufgabe als Methodologen als ein “moving toward pragmatist, action-centered, and thor- oughly operationalist approaches, which support the social scientists’ attempts to assist solving problems of social life through problem-driven case studies” (Kivinen/Piiroinen 2006: 325).
Kivinen/Piiroinen kritisieren am metaphysischen Denken der aktuellen Methodologien, dass sie einen realen Pro- zess voraussetzen, dessen (Tiefen-)Struktur es zu erfassen gelte. Neues Ziel des Wissenschaftlers sei jedoch die Erfassung der relationalen Netze der Bedeutungsbildung mit dem Zweck einer problemlösenden Vorher- sage. Konzepte, die aus der Beschreibung der Relationen zwischen Bedeutungsbildungen abgeleitet werden, sollen zum Werkzeug des Sozialwissenschaftlers werden, um Probleme der sozialen Praxis zu lösen. Kivinen/Piiroinen lehnen hierfür das Nachdenken über Grund- oder Metastrukturen, wie es in ontologischen Betrachtungen erfolgt, und sogar die Fundierung einer Methodologie durch eine Logik ab.
Die Grundannahme einer relationalen, akteurszentrierten und handlungsorientierten Bedeutungsbildung wird von mir übernommen. Einer Ablehnung der Strukturanalyse dieses Bedeutungsbildungsprozesses möchte ich entge- genstellen, dass gerade die (neue) pragmatistische Methodologie einer relationslogischen Fundierung bedarf, um sie noch stärker gegenüber einem metaphysischen Ansatz zu legitimieren. Der Gefahr, mit dem Vokabular wiede- rum dichotome Denkmuster zu übernehmen, kann mit dem Relationskonzept nach Drechsel/Leisegang widerspro- chen werden. Die dichotome Bedeutungsbildung hatte und hat ihre Funktion in wissenschaftlichen Handlungspro- zessen. Es gilt eine Struktur zu entwickeln (abgeleitet aus Axiomen), die im pragmatistischen Sinne wiederum eine Handlungsorientierung – nun als Werkzeug für den Wissenschaftler – gibt, um wissenschaftliche Handlungen vorauszusagen.
Die belgischen Philosophen Jeroen Van Bouwel and Erik Weber vom Centre for Logic and Philosophy of Science der Universität Ghent nehmen im Jahr 2008 die Ideen von Kivinen und Piiroinen auf und fordern konkrete me- thodologische Werkzeuge, etwa im Rahmen von soziologischen Erklärungen (Van Bouwel/Weber 2008a: 424). Sie fordern eine pragmatische Betrachtung der bestehenden Erklärungsansätze und entwickeln ein „framework for explanatory pluralism“ (Van Bouwel/Weber 2008a: 440), in dem die verschiedenen Erklärungsmodelle in Relation zu verschiedenen Erkenntnisinteressen bzw. Kontexten und verschiedenen zu lösenden Problemen gesetzt werden. Lokalisiert und kontextualisiert gehen die soziologischen Erklärungsmodelle in ein plurales Rahmenwerk ein, in dem der Nutzen – im Sinne einer sinnvollen Verwendbarkeit – eines jeden Modells bestimmt werden kann (Van Bouwel/Weber 2008a: 440). In dieser Aus- bzw. Fortführung der Forderung eines methodologischen Relationa- lismus ist der Wunsch nach einer Systematisierung bzw. Verallgemeinerung der soziologischen Theoriebildung zu erkennen, der schlicht in der Feststellung endet, dass die Konzepte plural bleiben müssen.
Ich betrachte diesen Versuch von van Bouwel/Weber als einen typischen Schritt der Bedeutungsbildung, aber nicht als den letzten Schritt, der eine Problemlösung auf der sozialen Handlungsebene leistet. Die Feststellung von Plu- ralität ist vorerst nur Ausdruck unserer Hilflosigkeit. Stößt der Mensch im vorausschauenden Denken auf zu viele und dann zumeist auch widersprüchliche Ergebnisse, versucht er, diese plurale Situation zu bewältigen, indem er von einer höheren Ebene der Bedeutungsbildung aus seine bisherige Art der Bedeutungsbildung betrachtet. Dieser übergreifende Blick erzeugt erst die nächsthöhere Ebene der Bedeutungsbildung und kann in einer Struktur be- schrieben, d. h. modelliert werden.
Ich nehme daher den Vorschlag eines methodologischen Relationalismus auf und mache die Relation als Unter- suchungsgegenstand einer pragmatistischen Methodologie zum Ausgangspunkt einer Modellierung der Struktur der menschlichen Bedeutungsbildung. Im Sinne von Charles S. Peirce wird Bedeutungsbildung als ein Prozess aufgefasst, in dem trirelationale Zeichen relationiert werden. Die Struktur dieses Relationierungsprozesses und den Charakter seiner Produkte gilt es zu erfassen (Relation/Iteration und Zeichen). Ziel ist somit die Beschreibung der Struktur des Prozesses der Bedeutungsbildung und deren Ergebnisse, die eine Methodologie braucht, um Vor- hersagen über den sinnvollen Einsatz von Theorien und entsprechenden Methoden machen zu können. Die Me- thodologie behält hierbei ihren Sinn einer Metastruktur zu einem aktuellen wissenschaftlichen Handeln. Sie wird aber nicht als die eine Metastruktur betrachtet, da ich von einer Entwicklung des Bedeutungsbildungsprozesses ausgehe und damit von einem Übersteigen von Ebenen der Strukturbildung in Vorgängen der Iteration. Ich möchte mit meiner Arbeit das Modell einer evolutionären Prozessstruktur vorstellen, in dem der Bedeutungsbildungs- prozess als relational-iteratives Handlungsgeschehen in symbolischen Interaktionen beschrieben wird und damit die Arten oder Typen der Theoriebildung in den Sozialwissenschaften sichtbar werden.

Berlin, Mai 2015

Literatur
Kivinen, Osmo; Piiroinen, Tero (2006): Toward Pragmatist Methodological Relationalism. From Philosophizing Sociology to Sociologizing Philosophy. In: Philosophy of the Social Sciences 36(2006)3, S. 303-329.
Van Bouwel, Jeroen; Weber, Erik (2008): De-Ontologizing the Debate on Social Explanations: A Pragmatic Approach Based on Epistemic Interests. In: Human Studies 31(2008), S. 423-442.

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Bildungstheorie und Theoriebildung – ein scharfes Paar. Überarbeiteter Wettbewerbsbeitrag für den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung 2013

Beate Richter (2014)

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200 Jahre der Suche nach einer originären pädagogischen Theorie erreichen in der bildungstheoretischen Dissertation „Bildung relational denken“ einen vorläufigen Höhepunkt. Mit der Einführung der Relationalen Entwicklungslogik und unter Anwendung der informellen Axiomatisierung wird eine Präzisierung der Begriffe Bildung, Entwicklung und Lernen so elegant möglich, wie wir es nur von den mathematisierten Naturwissenschaften kennen. Das so entworfene Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung erweist sich als Struktur von Entwicklungsprozessen sowohl von Individuen als auch von Denktraditionen. Damit ist dieses Modell zugleich eine Basis für Konzepte pädagogischer Interventionen und ein Instrument, um Theoriebildungsprozesse jeglicher Fachrichtungen metatheoretisch zu reflektieren. Bildungstheorie wird zu einer übergreifenden Theorie der Theoriebildung und der Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken wird präzise beschreibbar.

In meinen Workshops zum Thema „Wie schreibe ich eine Abschlussarbeit?“ pflegte ich aus der langjährigen Beratungserfahrung heraus zu behaupten: „Wenn Sie Ihre Fragestellung klar formulieren können, dann haben Sie meist auch schon die Antwort im Kopf.“ Eine aufmerksame Studentin stellte dazu jene Frage, die mich seit Jahren beschäftigt: „Aber wie kommt denn dann das Neue in die Wissenschaft?“ Diese Frage war der Anlass für meine Forschungstätigkeit in den Bereichen Bildungstheorie und Theoriebildung.
Präzisiert man diese Frage, eröffnet sich ein Problemfeld, das zwei Forschungsrichtungen nahezu unbemerkt voneinander thematisieren. Das Neue, verstanden als eine neue Theorie über einen Welt-Ausschnitt, ist als Theoriebildung Thema der Wissenschaftstheoretiker. Bildungswissenschaftler hingegen suchen den Entstehungsprozess einer neuen Weltsicht bzw. des Welt-Selbst-Verhältnisses einer Person in Bildungstheorien zu erfassen. Aktuell steht der bildungstheoretische Diskurs vor einem Problem, das ohne die Beschäftigung mit der wissenschaftstheoretischen Diskussion um einen notwendigen Paradigmenwechsel unlösbar scheint. Wissenschaftstheoretiker stellen schon immer die Frage, wie eine zeitgemäße Theorie der Theoriebildung aussieht, wie also die Entstehung des Neuen erklärt werden kann. In meiner Dissertation habe ich mich zunächst wissenschaftstheoretisch mit der Theoriebildung beschäftigt, um anschließend die aktuellen Fragen der Bildungstheoretiker beantworten zu können. Die Entdeckung der untrennbaren Verwobenheit beider Forschungsbereiche war für mich das großartige Neue auf dieser theoretischen Forschungsreise.
Die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung kann als die Forschungsrichtung bezeichnet werden, die sich aktuell am stärksten für eine fundierte Bildungstheorie einsetzt. Der Denktradition von Wilhelm von Humboldt folgend, streben diese Forscher/innen eine Präzisierung des so genannten transformatorischen Bildungsbegriffs an und wollen gleichzeitig den Graben zwischen der theoretischen Bildungsphilosophie und der empirischen Bildungsforschung schließen. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Definition von Bildung als Transformationsprozess der Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses einer Person, deren bisherige Figuren des Welt- und Selbstverhältnisses durch eine Krisenerfahrung in Frage gestellt wurden (u. a. Kokemohr 2007, Marotzki 1990, Koller 2012a/b).
Die Bedeutung dieser Definition bzw. deren Begrifflichkeiten ist nach über 20 Jahren Forschungstätigkeit noch weitgehend unklar. Bildungsforscher rund um die Gründungsväter der bildungstheoretisch orientierten Biografieforschung – Rainer Kokemohr (2004/2007), Winfried Marotzki (1990/2006) und Hans-Christoph Koller (1999/2000/2002/2004/2012a/b) – müssen sich eingestehen, dass nicht geklärt ist, was ein Welt-Selbst-Verhältnis ist, wie sich der Begriff Transformation definieren lässt und was ein Anlass der Transformation sein kann. Die Analyse der methodischen Vorgehensweisen der zahlreichen empirischen Arbeiten in diesem Forschungsfeld zeigt, dass die methodisch zunächst bewusst getrennten theoretischen und empirischen Rekonstruktionen des Bildungsbegriffs nicht wieder zusammengeführt werden können: Die theoretischen Heuristiken können durch die Ergebnisse qualitativer Analysen von biografischen Erzählungen nicht weiter ausdifferenziert werden und umgekehrt finden sich in diesen Daten die theoretischen Konzepte nicht wieder. Die Verbindung von Theorie und Empirie gelingt also im interpretativen Paradigma nicht.
Vor einer Präzisierung des transformatorischen Bildungsbegriffs steht somit notwendig eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der Methodik, in diesem Falle der Begriffspräzisierung. In einem ersten Schritt wurde daher unter Verwendung verschiedener wissenschaftstheoretischer Ansätze eine Relationale Entwicklungslogik hergeleitet, die das methodische Dilemma der Biografieforschung erklären kann, und in einem zweiten Schritt ein Modell für den Entwicklungsprozess entworfen, das eine präzise Definition des Bildungsbegriffs ermöglicht. Somit leistet diese Arbeit zwei wesentliche Beiträge: Sie schafft einen neuen wissenschaftstheoretischen Rahmen, der eine Theorie der Theoriebildung darstellt und sie schafft mithilfe einer methodischen Modellierung eine echte Präzisierung des Bildungsbegriffs.

Die Relationale Entwicklungslogik

Die methodischen Schwierigkeiten der Biografieforscher lassen sich aus deren Methodologie, d. h. ihrer Perspektive auf ihren Untersuchungsgegenstand erklären. Sie nehmen eine so genannte substanzielle Perspektive ein, die heute von einer neueren, der relationalen Perspektive abgegrenzt wird. Eine Substanz-Denkweise geht davon aus, dass eine Person (das Subjekt) über einen Teil der Wirklichkeit (das Objekt) eine Theorie entwickelt. Dieses Denken erzeugt notwendig die Trennung von Theorie und Empirie, deren Zusammenführung anschließend unerreichbar scheint. In einigen sozialwissenschaftlichen Forschungsfeldern finden sich relationale Denkweisen, die davon ausgehen, dass Bedeutungen bzw. Theorien im Interaktionsprozess von Personen oder Gruppen entstehen und somit keine Abbilder der Realität darstellen. Im Kommunikationsprozess werden Zeichen zueinander in Beziehung gesetzt, so dass die (endlose) Zeichen-Relationierung zur eigentlichen Bedeutungsbildung wird. Die Funktion eines Zeichens in einem relationalen Gebilde bestimmt demnach seine Bedeutung und nicht ein vom Zeichen bezeichnetes Etwas, das in seinem Wesen ergründet werden müsste.
Diese relationale Denkweise ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Auf die lange Tradition der Behauptung „Alles ist Relation“ machen Dieter Leisegang (1969) und Paul Drechsel (o.J./2000/2009/2010/2013) seit den 1960er Jahren aufmerksam und verhelfen der Logik der Relation (a r b) zu neuem Gehör. Die Relation wird von diesen Autoren in drei so genannten Potenzen beschrieben. Die erste Potenz stellt eine Reduzierung der vollständigen Relation r auf das Trennen von einzelnen Elementen dar (a t b). Wird die Beziehung zwischen den Elementen fokussiert, also das Verbindende (a v b), wird von einer Relation zweiter Potenz gesprochen. Die erste und die zweite Potenz der Relation stellen einseitige Fokussierungen der vollständigen Relation, als der dritten Potenz dar. Nun behaupten die Relationslogiker, dass es dem Menschen nicht möglich ist, den Vollzug der Relation in Form der dritten Potenz zu erfassen, sondern immer nur eine einseitige Fokussierung. Das Fallen des Apfels vom Baum auf die Erde kann ich im Nachhinein zum einen über die beiden Massepunkte von Apfel und Erde erklären, die sich Stück für Stück einander angenähert haben, zum anderen durch die Massenanziehungskraft, die zwischen beiden herrscht und Stück für Stück größer wird. Ich betone also entweder die getrennten Relata als Ortsbeschreibungen oder die verbindende Relation in Form der Kraft.
Eine zweite relationale Tradition findet sich bei Charles Sanders Peirce (1960a/b), dem als Begründer der modernen Semiotik der Satz unterstellt werden kann: „Alles ist Zeichen.“ Peirce entwickelte einen dreigliedrigen relationalen Zeichenbegriff, in dem das Zeichenmittel für etwas (Objekt) zu etwas (Interpretant) in Beziehung steht. Ein Zeichen erhält als Zeichen für etwas immer erst durch den Interpretanten seine Bedeutung. Unter anderem kann das dreigliedrige Zeichen selbst wiederum zum Objekt einer weiteren Zeichenbildung werden. Diese Möglichkeit entspricht der Anwendung der Relation auf das Ergebnis einer vorherigen Relation und wird, wie in der Mathematik üblich, als Iteration bezeichnet.
Die Idee der Relation von Zeichen und der Iteration dieser Relation können als strukturbeschreibend für den Prozess der Bedeutungsbildung betrachtet werden und sind in meiner Dissertation (Richter 2014) erstmalig zu einer Relationalen Entwicklungslogik zusammengeführt worden. Abbildung 1 macht die Struktur der Entwicklung anschaulich.


Abbildung 1: Relationale Entwicklungslogik

Beginnt man auf der unteren Ebene mit der Betrachtung der Relation r der Elemente a und b, so lassen sich hier die Relation erster Potenz (R1 = a t b) und zweiter Potenz (R2 = a v b) von der vollständigen Relation dritter Potenz (R3 = a r b) unterscheiden. Die Relation dritter Potenz wird hierbei als Vollzug im Sinne eines In-der-Welt-Seins interpretiert. Der Interpretant kann sein momentanes Tun, d. h. das Bedeutungbilden nicht im Vollzug, sondern nur in den einseitigen Fokussierungen erfassen. Soll der Vollzug erfassbar werden, muss er im Sinne von Peirce‘ Iteration, zum Objekt einer erneuten Relation auf einer höheren Ebene gemacht werden. Diese zweite Ebene unterliegt nun denselben Relationsmechanismen. Die vollständige Relation (R‘3) wird nicht erfassbar, nur in den einseitigen Fokussierungen des Trennens oder Verbindens der Relations-Ergebnisse der vorherigen Ebene (R3).
Diese formale Ableitung stellt die Grundstruktur eines Entwicklungsprozesses, die Logik des Bedeutungsbildungsprozesses dar und kann als Basis einer relationalen Methodologie betrachtet werden. Sie kann als Logik sowohl dem individuellen Entwicklungsprozess einer Person unterstellt werden als auch der Entwicklung der verschiedenen wissenschaftlichen Paradigmen bzw. Methodologien.
Jede Methodologie als Perspektive auf die Welt bedingt ein bestimmtes methodisches Vorgehen. Eine ausgewiesen relationale Methode habe ich bei meiner Suche nach einer Präzisierungsmethode für Begriffe bei den so genannten Theoretischen Strukturalisten gefunden. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller (1980a/b/1986) entwickelte in den 1980er Jahren einen neuen Theoriebegriff. Waren Theorien bisher Klassen von gesetzesartigen Aussagen, die zunächst unabhängig von der Wirklichkeit konstruiert werden und dann eine Überprüfung an der Realität bestehen müssen, wendet Stegmüller diese Betrachtungsweise, indem er davon ausgeht, dass eine Theorie zunächst einen intuitiven Entwurf angesichts von Phänomenen darstellt, der noch keine präzise Ausformulierung erfahren hat. Er nennt diesen kreativen Entwurf empirische Theorie und behauptet, dass erst eine präzise Theorierekonstruktion den Theoriekern, d. h. die Struktur der empirischen Theorie herausarbeiten kann. Mit diesen Annahmen umgeht Stegmüller das Problem der Biografieforscher sehr elegant, da er mit der Theoriebildung und -rekonstruktion im Raum der menschlichen Bedeutungsbildung bleibt. Der Sprung über den TheorieEmpirie-Graben gelingt, weil die Strukturalisten die Wirklichkeit nicht als Belegmittel für die Theorie betrachten, sondern die Theorie als eine Art Brille, mit der die Wirklichkeit scharf gesehen werden kann, wenn sie zu dieser Brille passt. Es geht nur um die Einsetzbarkeit der Brille in und nicht um ihre Überprüfung an der Wirklichkeit, also um ihre Funktionalität in einem gleichzeitig zu bestimmenden Ausschnitt der Welt.
Diese Methodik, die so genannte informelle mengentheoretische Axiomatisierung beruht auf der Definition von empirischen Theorien als Objekten, die per se eine bestimmte Struktur haben. Diese Struktur wird mit so genannten Modellen beschrieben, die aus Mengen und Relationen bestehen. Ziel der Axiomatisierung ist die präzise Beschreibung dieser Mengen und Relationen als dem so genannten Theoriekern. Dazu werden die Begriffe, die ein Theoretiker in seiner Theorie verwendet (z. B. Weg/Zeit oder Objekt/Subjekt), vereinheitlicht und in ihren Eigenschaften sowie Elementen und den Relationen zwischen ihnen (z. B. Multiplikation oder Trennen/Verbinden) bestimmt. Wesentliches Element des Theoriekerns ist das zentrale Axiom, das wie ein Gesetz die Begriffe des Theoriekerns untrennbar verknüpft. Jede empirische Theorie hat ihr eigenes spezifisches Axiom.
Die Klärung der relationalen Methodologie und Methode war für meine Arbeit eine wichtige Voraussetzung, um auf einem neuen Weg zu einer präziseren Definition von Bildung zu gelangen. Die Relationale Entwicklungslogik wurde hierbei zu einer Struktur-Brille, mit der eine entsprechende empirische Theorie betrachtet und mit Hilfe der informellen Axiomatisierung in ihrem Kern bestimmt werden konnte, um letztlich Bildung relational definieren zu können.

Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Die Struktur der Relationalen Entwicklungslogik und das Ziel, die drei Fragen der Biografieforscher nach dem Welt-Selbst-Verhältnis, dessen Transformation und dem Anlass zu beantworten, haben die Wahl von Robert Kegans Entwicklungstheorie (1982/1994) als empirische Theorie und deren Axiomatisierung stark bestimmt. Der amerikanische Psychologe Robert Kegan möchte mit seiner strukturalen Entwicklungstheorie die Prinzipien der menschlichen Bedeutungsbildung aufdecken, die unser tägliches Handeln bestimmen. Wie andere Entwicklungstheoretiker vor ihm entdeckt er in der menschlichen Entwicklung Stufen, auf denen der Mensch jeweils auf verschiedene Art Bedeutungen bildet. Die Prinzipien der Bedeutungsbildung auf diesen Stufen nennt er Subjekt-Objekt-Verhältnisse und beschreibt fünf Varianten, die dem Verständnis von Welt-Selbst-Verhältnissen sehr nahe kommen. Für Kegan ist der Mensch immer gleichzeitig eine bestimmte Art von Subjekt der Bedeutungsbildung, das jeweils eine bestimmte Art von Objekten hat. Hierin klingt die Unterscheidung zwischen dem Relation-Sein bzw. In-der-Welt-Sein und dem Haben der einseitigen Fokussierungen aus der Relationalen Entwicklungslogik an. Die Objekte, die der Mensch hat, lassen sich unterscheiden als Dinge, als andere Personen und als das Selbst der Person, so dass sich jeweils drei Entwicklungslinien über die Stufen hinweg erkennen lassen. In seinem zweiten Buch In Over Our Heads (1994), das Kegan zwölf Jahre nach dem ersten Buch The Evolving Self (1982) veröffentlichte, findet sich zudem eine Anordnung der fünf Stufen der Entwicklung auf drei Ebenen. Diese Ebenen haben dieselbe Struktur wie die Ebenen in der Relationalen Entwicklungslogik: auf ein Trennen bzw. Bilden bestimmter Objekt-Strukturen (z. B. Category) folgt deren Verbindung bzw. ein In-Beziehung-Setzen (z. B. CrossCategory). Die Übergänge zwischen den Stufen werden von Kegan als Krisen beschrieben und wie in der Bildungstheorie mit dem Begriff der Transformation belegt.
Die Axiomatisierung von Kegans Theorie hat diese stark verändert. Die informelle Beschreibung der Begriffe hat zunächst viele Ungereimtheiten aufgedeckt. So konnten Synonyme aufgezeigt werden, z. B. die Begriffe SubjektObjekt-Relation, Subjekt-Objekt-Verhältnis und Subjekt. An anderen Stellen fehlen in Kegans Entwicklungsmodell Begriffe, die etwa zur Erklärung von Übergängen dringend nötig sind. So fehlt die begriffliche Einbindung der Interaktion bzw. Kommunikation. Führt man die notwendige Idee des relationalen Kommunikationsprozesses in die Beschreibung des Entwicklungsprozesses ein, muss zudem ein relationaler Zeichen-Begriff eingeführt werden. Hier wurde deutlich, dass die Methode der Axiomatisierung erweitert werden musste: Zur Bestimmung der vorhandenen Begriffe einer empirischen Theorie muss die Ergänzung von fehlenden Begriffen über Referenztheorien erlaubt sein.
Charles Sanders Peirce mit seinem relationalen Zeichenbegriff, Jürgen Habermas (1995) mit seiner relationalen Kommunikationstheorie und Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b) mit seiner Lernstufentheorie waren wichtige Partner, um Kegans Entwicklungstheorie begrifflich vollständig erfassen zu können. Wichtigste Ergänzung war, den Bedeutungsbildungsprozess als eine Relationierung von Zeichen zu deuten, die einen neuen Kontext erschafft oder einen bestehenden aufruft. Stehen wir zum ersten Mal in einem polnischen Restaurant vor dem stillen Örtchen, sind wir überrascht von der Zeichengebung auf den Türen. Was tun, wenn man den Kellner nicht auf Polnisch nach deren Bedeutung fragen kann? Wir warten auf einen Gast und kombinieren, dass diese Frau dort die Tür für die Frauen benutzt. Schon haben wir einen altbekannten Kontext, der gerade eben nicht mehr funktionierte, durch eine neue Zeichenrelationierung ersetzt und etwas Neues gelernt. Diese Annahme der Kontextbildung als Relationierung von Zeichen war der Ausgangspunkt, um Kegans Entwicklungstheorie zum Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung (siehe Abbildung 2) auszubauen, das hier als zweites wichtiges Ergebnis meiner Dissertation vorgestellt werden soll.
Die Stufen der menschlichen Entwicklung, die Kegan beschreibt, können über den Begriff der Kontext-Regel XR definiert werden. Wenn Bedeutung als ein Kontext X durch die Relationierung R von Zeichen Z entsteht (X: Z R Z), dann haben wir es auf einer Entwicklungsstufe mit bestimmten Arten von Zeichen ZA und einem der Typen (Potenzen) der Relation zu tun, die zusammen eine Kontext-Regel ergeben (XR: ZA R ZA). Die Zeichen-Arten ZA lassen sich weiterhin auf jeder Stufe in ihre Zeichen-Bezüge ZB unterteilen. Wir beziehen uns in unserer substanziellen Welt auf Dinge, auf andere Personen und auf unser Selbst. Zu diesen drei Zeichen-Bezügen kommt der besondere Bezug auf die Zeichenbildung selbst. Diese Idee stammt von Habermas und findet sich ebenso in Peirce‘ Iteration des Zeichens. Wird ein trirelationales Zeichen (aus Zeichenmittel, Objekt und Interpretant) wiederum zum Objekt eines Zeichenmittels und eines Interpretanten wird eine Relation erneut auf das Ergebnis der vorherigen Relation angewendet. Die Zeichenbildung wird zum Objekt einer erneuten Zeichenbildung und es entsteht eine völlig neue Art der Bedeutungsbildung: Ich spreche hier von einer neuen Kontext-Ebene XE. In Abbildung 2 ist die daraus ableitbare Struktur der Entwicklungsstufen dargestellt.


Abbildung 2: Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung

Auf jeder Kontext-Ebene finden sich zwei Stufen, die durch die beiden Relations-Typen, das Trennen t und das Verbinden v von bestimmten Zeichen-Arten ZA gekennzeichnet sind. Der Startpunkt (Stufe 0) jeder Entwicklung muss notwendig die Trennung in Sinneszeichen Zi sein. Der Mensch lernt, dass er verschiedene Sinneseindrücke wie Gerüche, Farb-, Form- oder Temperatureindrücke hat und verbindet diese auf der Stufe 1 zu konkreten Wahrnehmungen wie dem Teddy oder der Mutter. Stufe 0 wird zur Stufe 1, auf der wir Sinneszeichen Zi zu Sinneswahrnehmungen Zw verbinden, von Kindern im Alter von sechs Monaten bis zwei Jahren überschritten. Der Übergang von Stufe 1 zu Stufe 2 im Alter von fünf bis sieben Jahren unterscheidet sich vom ersten Übergang fundamental, da hierbei gleichzeitig Kontext-Ebenen überschritten werden.
Das Überschreiten der Kontext-Ebenen entspricht der oben beschriebenen Iteration und kann mit dem Übergang von einem Welt-Selbst-Verhältnis zum nächsthöheren gleichgesetzt werden. Dies stellt den Entwurf einer neuen Welt und eines neuen Selbst dar. Als Erklärung können wir hier wieder die holistische Idee vom In-der-Welt-Sein und Welt/Selbst-Haben aufgreifen. Zu jeder Zeit ist der Mensch in seiner Welt und kann diese nicht gleichzeitig haben. Bildlich schwimmt er in einer Wasserblase und versucht, sich als Selbst vom Wasser zu trennen und die Membran der Blase zu durchbrechen. Auf der nullten Ebene sind wir Substanz und können uns noch nicht zu dieser Substanz verhalten. Auf der Ebene 1 sind wir diese Relation zur Substanz und haben die Substanz in Form von Wahrnehmungszeichen Zw, die wir voneinander unterscheiden und später zu Begriffszeichen Zb verbinden können. Beispiele für diesen Übergang sind die Abstraktionsleistungen von Kindern, bei denen sie die konkrete Wahrnehmung zu etwas Dauerhaftem in Form eines Wortes machen. Der Wasserfall rauscht immer noch, auch wenn wir ihn nicht mehr sehen. Schulkinder können sich auf Stufe 2 von den konkreten Fingern als Zählhilfe lösen und mit abstrakten Zahlen über die Zahl 10 hinaus rechnen.
Die Übergänge zwischen den Ebenen bezeichne ich wie die Biografieforscher als Transformationen TI. Die Übergänge zwischen Stufen derselben Ebene von einem Trennen zum Verbindung von Zeichen-Arten nenne ich abweichend davon Translation T_. Anfangs- und Endzustand einer Transformation lassen sich exakt über die Definitionen der Kontext-Ebenen definieren. Der Transformationsprozess selbst lässt sich nicht näher bestimmen. Auch die Translation wird letztlich über die Anfangs- und Endzustände, also die Definition der Stufen als Trennen oder Verbinden bestimmter Zeichen-Arten definiert. Waren zuvor alle Übergänge mit dem Begriff der Transformation besetzt, lassen sich nun die Übergänge zwischen Kontext-Ebenen klar von anderen Übergängen abgrenzen.
Den Pädagogen interessieren besonders die Einflussmöglichkeiten auf die Entwicklung einer Person, d. h. hier die Förderung des Überschreitens von Stufen bzw. Ebenen. In diesem Interesse steckt die Frage nach den Anlässen einer Transformation und einer Translation. Einen dritten Bereich gilt es in diese Überlegung einzubeziehen. Nicht nur die Übergänge stellen Veränderungsprozesse und damit Lernprozesse dar, auch beim Verweilen auf einer Stufe der Entwicklung lernt der Mensch. Wichtiger Ideengeber für die Präzisierung der Anlässe war der amerikanische Anthropologe Gregory Bateson (1972a/b, 1985a/b), der Lernprozesse immer als Interaktionsprozesse betrachtet. Das Kommunizieren von Alter und Ego wird immer dann zu einem Lernprozess, wenn es zu einer Dissonanz zwischen den Bedeutungsbildungen der beiden kommt. Lernen lässt sich damit anhand bestimmter Fehler-Arten FA in drei Lern-Arten LA unterscheiden, die wir über das Kontext-Ebenen-Modell definieren können.
Um Fehler- und Lern-Arten verstehen zu können, fehlt uns zum Begriff des Kontextes X, der die aktuelle Zeichenrelationierung einer Person bezeichnet, noch ein Begriff, der für den Speicherort dieser Relationierungen steht. Dazu habe ich den Begriff des Hintergrunds H eingeführt. Im Hintergrund werden die erfahrenen Kontexte als relativ stabile Bedeutungsbildungen abgelegt bzw. gespeichert und aus diesem in einem aktuellen Kommunikationsprozess abgerufen. Für jede Entwicklungsstufe dürfte eine Person einen eigenen Hintergrund entwickeln. Treten Alter und Ego mit ihren jeweiligen Hintergründen in Interaktion, kann es drei unterschiedliche Differenzen geben.
‚Stehen‘ beide auf derselben Stufe, kommt es zu Missverständnissen, wenn Ego eine bestimmte Zeichenrelationierung noch nicht kennt oder erkennbar falsch einsetzt. Typische Beispiele hierfür sind Szenen des Spracherwerbs. Luka sagt zu den Männern in seiner Familie Papapa und Opapa, der Hund heißt Papa. Eine Verständigung ist möglich, weil die verwandten Erwachsenen diese Zuordnung kennen. Im Kindergarten stößt Luka bei Lisa aber auf Unverständnis, wenn er seinen Hund als Papa bezeichnet. Sie korrigiert ihn, indem sie dem Hund ein Wauwau zuordnet. Auf höheren Stufen haben wir die gleichen Mechanismen: Konfrontiert ein Erziehungswissenschaftler eine Physikerin mit dem Begriff der Translation im Kontext von Bildung, wird sie die Stirn runzeln. Sie hat die Translation in ihrem Hintergrund in der Mechanik untergebracht und sicherlich nicht mit ihrem Verständnis von Bildung verknüpft. Die Fehler-Art, die hier vorliegt, nenne ich Hintergrund-Fehler FH und der entsprechende Lernprozess wird zum Hintergrund-Lernen LH. Dieses Lernen kann als die einfache Wissenserweiterung verstanden werden.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen derselben Kontext-Ebene, z. B. Alter auf Stufe 3 und Ego auf Stufe 2, kennen sie die gleichen Zeichen-Arten. Ego bildet Begriffszeichen Zb und Alter verbindet diese bereits miteinander. In der Interaktion kann es zwischen beiden zum Fokus-Fehler FF kommen, der das Fokus-Lernen LF im Sinne der Translation von Ego veranlasst. Der Fokus-Fehler wird auch als ein Missverständnis deutlich und ist allen Eltern bekannt, die die Pubertät ihrer Kinder erlebt haben. Der Teenager hat nach Kegan auf Stufe 2 z. B. klar formulierbare Bedürfnisse und lebt diese aus. Seine Eltern haben ebenfalls eigene Bedürfnisse, können aber auch die Bedürfnisse ihres Kindes dazu in Beziehung setzen. Kegan nutzt zur Beschreibung den Begriff der Wechselseitigkeit, die der Teenager noch nicht hat. Im Zentrum der Szene, wenn die Tochter erst um vier Uhr morgens nach Hause kommt, während die Mutter vor Sorge fast gestorben wäre, steht das Missverstehen beider. Die Tochter kennt auf Stufe 2 ihre Bedürfnisse und ihre Rechte darauf, kann diese aber nicht mit den Bedürfnissen ihrer Mutter koordinieren. Sie versteht ihre Mutter wirklich nicht; was die Mutter wiederum nicht glauben kann. Diese Art Streit wird zum wichtigen Auslöser für einen Lernprozess der Tochter, die den Schritt auf die Stufe 3 vollziehen muss, will sie mit anderen Personen in einem verständnisvollen sozialen Gleichgewicht leben. Auch in Bezug auf Dinge müssen wir Beziehungsstrukturen erlernen. Erfährt das Grundschulkind, dass es allgemeine Begriffe für konkrete Wege und Zeitdauern gibt, so wird im Physikunterricht dem Jugendlichen der Zusammenhang zwischen diesen Größen zugemutet. Hier ist der Fokus-Fehler nicht als verärgerte Mutter zu erkennen, sondern oft ein stummes Gefühl der eigenen Hilflosigkeit angesichts der merkwürdigen Formel v = s : t. Viele Menschen erleben bis ins hohe Alter Formeln und Variablen als irritierend, da sie diese nicht mit ihrer dinglichen Erfahrungswelt zur Deckung bringen können. Andere wiederum haben gelernt bzw. akzeptiert, dass hier Begriffszeichen mit Begriffszeichen verbunden werden, ohne dass ein Bezug zu konkreten Wahrnehmungszeichen besteht. Wichtig wäre, dass Physiklehrer uns diesen Fokus-Fehler wie die Mutter der Tochter laut deutlich machen.
‚Stehen‘ Alter und Ego auf verschiedenen Stufen unterschiedlicher Ebenen, kann es infolge des Kontext-Fehlers FE zu einem Kontext-Lernen LE kommen, das wir als Transformation bezeichnet haben. Das Kontext-Lernen gehört zu den großen Geheimnissen der kognitiven Entwicklung, gerade weil sich der Anlass nicht so klar an einem gegenseitigen und korrigierbaren Missverständnis in der Interaktion von Alter und Ego festmachen lässt. Bei Bateson finden sich die formalen Strukturen dieser Fehler-Art definiert, aber lediglich das Wort Verwechslung gibt Auskunft über das Geschehen selbst. Beim Übergang von Ebene 0 zu Ebene 1 verwechselt Ego seine zum Wahrnehmungszeichen verbundenen Sinneszeichen mit dem Begriffszeichen von Alter, da beide als Wort identisch erscheinen. Ein Kind erlernt auf Stufe 1 die Sprache als ein Zeichensystem. Worte dominieren damit die Kommunikation, ohne dass das Kind um den Unterschied zwischen konkretem Gegenstand, bezeichnendem Wort und allgemeinem Begriff weiß. Die Katze ist die konkrete Katze Mila, die gerade durch das Zimmer läuft. Sagt die Mutter später auf dem Weg zur Kita: „Eine Katze ist viel pflegeleichter als ein Kater!“, wird das Kind protestieren, weil der Kater Tom immer draußen ist und die Nachbarn kein Katzenklo sauber machen müssen. Die Mutter wird zustimmen und wahrscheinlich erklären, dass das nur bei ihnen so ist. Für das Kind ist die Verwechslung damit aber nicht beseitigt und wir wissen nicht, wie die konkrete Katze zur allgemeinen Begriffs-Katze wird. Das Wort ist das verführerische Zeichen, das beide Deutungsweisen zulässt. Beim Übergang von Stufe 3 zu Stufe 4 wiederholt sich dieses Verwechslungsproblem, nur dass wir hier die zum Kategorienzeichen verbundenen Begriffszeichen mit den Systemzeichen verwechseln. Unsere Erfahrungen auf Stufe 3 haben uns in ein komplexes Regelsystem eingebunden. Spricht Alter von Stufe 4 aus über Teilchenbewegungen im Raum, hat er die Möglichkeit, sich Teilchenbewegungen innerhalb eines Systems vorzustellen, in dem er selbst steht. Darüber hinaus kann er sich die Bewegung eines Teilchens in einem System und die eines anderen Teilchens in einem zweiten System vorstellen und zudem die relative Bewegung der Teilchensysteme zueinander. Gespräche über den Massebegriff oder WegZeit-Gesetze mit einem Schüler der 10. Klasse, der sich noch nicht mit der Relativitätstheorie beschäftigt hat, müssen zu ähnlich verdeckten Irrtümern führen, wie im Katzenbeispiel. Physiker und Schüler benutzen dieselben Worte, haben aber andere Konzepte. Der Schüler denkt noch im System und kann es nicht übersteigen; dem Physiker ist das bereits gelungen. Das Beispiel ist auf ideologische Regelsysteme übertragbar. Bei diesen wird jedoch noch deutlicher, dass der Austritt aus dem einen Systemdenken in die Vielfalt der Systeme zu einer Unentscheidbarkeit führen muss.
Das Kontext-Ebenen-Modell der Bedeutungsbildung zeigt über Kegans fünf Stufen hinaus noch weitere zwei Stufen, die auf Untersuchungen des Mainzer Ethnologen Paul Drechsel zurückgehen. Seine Betrachtungen von gesellschaftlichen Formationen und Organisationen führten ihn zu verschiedenen Strukturen der Relationierung von Systemen. Das Verständnis für diese hochkomplexen Strukturen bedarf noch weiterer Forschung und es bleibt fraglich, ob ein Individuum in seiner Entwicklung diese dritte Ebene erreichen kann.

Die präzisierte Definition von Bildung

Die Entwicklung des Kontext-Ebenen-Modells der Bedeutungsbildung war Voraussetzung für die Präzisierung des Bildungsbegriffs. Neben einer Bestimmung des Begriffsinhalts gelingt über die Unterscheidung von je drei Fehlerund Lern-Arten eine Bestimmung des Begriffsumfangs, also die Abgrenzung von den Begriffen des Lernens, der Entwicklung und der Wissensaneignung.
Bildung wird als Prozess der Transformation der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung einer Person, unter Konfrontation mit der Kontext-Regel der Bedeutungsbildung nächsthöherer Ordnung definiert. Der Bildungsprozess einer Person hat für den Beobachter die Struktur des Übergangs von einer Kontext-Ebene zur nächsthöheren (also der Transformation), unter vorausgehender Translation der einseitig fokussierenden Kontext-Regeln vom Trennen zum Verbinden von Zeichen-Arten, jeweils unter der Bedingung, dass Ego in der Interaktion von Alter mit der Zeichen-Art der nächsthöheren Kontext-Regel konfrontiert wird.
Das Welt-Selbst-Verhältnis ist dabei immer gleichzeitig die Struktur einer relationierenden Aktivität (ZA r ZA) bzw. eines In-der-Welt-Seins, die für Ego noch nicht bestimmbar ist, und eine fokussierbare Struktur, die als Egos Regel der Zeichenrelationierung von einem Beobachter bestimmt und als Stufe der Entwicklung betrachtet werden kann (ZA t ZA oder ZA v ZA). Die Menge der Welt-Selbst-Verhältnisse kann über die verschiedenen KontextFokusse bzw. Stufen auf den jeweiligen Kontext-Ebenen ausdifferenziert werden.
Die Transformationen der Welt-Selbst-Verhältnisse werden als Übergänge zwischen Kontext-Ebenen definiert und von den Translationen als Übergängen zwischen Kontext-Fokussen bzw. Stufen derselben Kontext-Ebene unterschieden.
Die Anlässe der Transformation der Welt-Selbst-Verhältnisse sind als Kontext-Fehler bestimmbar, die auf einer Verwechslung von Zeichen-Arten von Alter und Ego beruhen, wenn beide über eine Ebene hinweg kommunizieren. Die Anlässe einer Translation liegen in Abgrenzung dazu im Fokus-Fehler, der aus der Kommunikation über eine Stufendifferenz zwischen Alter und Ego erwächst.
Im Kontext-Ebenen-Modell lassen sich alle Veränderungen in der Zeichenrelationierung infolge der ununterbrochenen Interaktion des Menschen als Lernprozesse verstehen. Dabei sind drei verschiedene Lernprozesse voneinander abgrenzbar: Der Wissenserwerb (Hintergrund-Lernen) besteht in der Erweiterung des Hintergrunds durch das Hinzufügen von neuen Zeichen derselben Zeichen-Art. Das Fokus-Lernen als Translation besteht im Überschreiten von Stufen (der Kontext-Fokusse des Trennens und des Verbindens) auf derselben Ebene. Das KontextLernen als Transformation entspricht dem Überschreiten von Stufen über zwei Kontext-Ebenen hinweg. FokusLernen und Kontext-Lernen werden aufgrund ihrer Besonderheit vom Wissenserwerb unterschieden und als Entwicklung bezeichnet, während nur die besondere Form der Entwicklung, die mit der Transformation von KontextRegeln einhergeht, als Bildung gefasst wird.

Bedeutung der Ergebnisse für Wissenschaftler aller Fachrichtungen

Die wichtige Erkenntnis dieser theoretischen Arbeit, dass die Suche nach einer präzisen Theorie der Bildung eine Suche nach einer präzisen Theorie der Theoriebildung ist, offenbart, dass die Relationale Entwicklungslogik einen metatheoretischen Nutzen für Theoriebildungsprozesse in allen Wissenschaften hat. Ob beim Kleinkind oder beim Wissenschaftler, Bedeutungen entstehen im Interaktionsprozess nach Regeln der Relation bestimmter ZeichenArten. Das Kontext-Ebenen-Modell beschreibt damit nicht nur die Struktur der individuellen Entwicklung, sondern auch die Entwicklung der Theoriebildungen in den Wissenschaften. Einzelne Theorien mit ihrer je spezifischen Art der Bedeutungsbildung können nun auf einer Stufe verortet und so die Theoriegeschichte eines Forschungsgebietes geschrieben werden. Mit dem Kontext-Ebenen-Modell kann zudem gezeigt werden, welche Theorien sich auf der Ebene des substanziellen Denkens befinden und welche schon zu Recht als relational gelten. Den Paradigmenwechsel vom substanziellen zum relationalen Denken streben viele sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte bereits an, haben aber noch keine präzise Abgrenzung der Paradigmen gefunden. Das Scheitern von Theoriebildungsversuchen und auch der Paradigmenwechsel können mit dem neuen methodologischen Blick erklärt werden.
Für die bildungstheoretisch orientierte Biografieforschung hat dieser Metablick auf deren Methodologie ergeben, dass sie ihre Theorien auf Ebene 1, entweder auf Stufe 2 oder auf Stufe 3 bildet. Sie nimmt also eine substantielle Perspektive auf Welt-Selbst-Verhältnisse als getrennte Wahrnehmungszeichen oder als deren Verbindung ein. Hierin ist der Grund für den Stillstand in der Bildungsforschung zu sehen. Meine Dissertation stellt somit ein Empfehlungsschreiben an die Biografieforschung dar, zur bisher genutzten Methodologie auf Distanz zu gehen und eine relationale Denkweise in Erwägung zu ziehen.
Unabhängig von dieser Überzeugungsarbeit bleibt im Bereich der Weiterentwicklung der relationalen Methodik viel zu tun. Stegmüller sah in der informellen Axiomatisierung eine fächerübergreifende Methodik, die zur Präzisierung jeglicher empirischer Theorie führen kann. Ich denke, dass es für alle Fachrichtungen sehr lohnenswert ist, diese relationale nicht-substanzielle Perspektive auf die Theoriebildung einzunehmen und das methodische Vorgehen entsprechend anzupassen. Die Erweiterung der Methodologie, also der Annahme einer einfachen Relation um die Ideen der drei Potenzen und der Iterationen erzeugt den wissenschaftstheoretischen Bedarf, die Relationale Entwicklungslogik eingehend zu diskutieren und in Verbindung mit der relationalen Methode der Axiomatisierung in verschiedene Forschungsbereiche zu übertragen. In sozial- und naturwissenschaftlichen Fächern könnte nach einer Analyse des Standes diese Methodik gewinnbringend zur Theoriebildung eingesetzt werden.

Bedeutung der Ergebnisse für die Ausbildungspraxis

Das Kontext-Ebenen-Modell hat zudem für die Aus- und Weiterbildung von Pädagogen und für die Beratungspraxis einen großen Wert. Nahezu alle pädagogischen Ausbildungsprogramme enthalten Entwicklungstheorien. Hierbei streiten die Schulen, ob die normative oder die phänomenologische Herangehensweise an Entwicklung die bessere sei. Normativen Theorien wird vorgeworfen, sie hätten keinen echten Realitätsbezug, und phänomenologischen Theorien, dass sie sich von der Realitätsbeschreibung nicht lösen können. Die in meiner Dissertation vorgestellte methodische Herangehensweise stellt eine Vermittlung in diesem Streit dar, der sich wie bei den Biografieforschern auf Ebene 1 des Modells abspielt. Empirische Theorien werden aus einer phänomenologischen Fallbetrachtung heraus entworfen, dann in ihrem Theoriekern präzisiert und abschließend bestimmt, welche weiteren Beispielfälle zu diesem Theoriekern passen. Man versucht nicht mehr, allgemeingültige Theorien zu entwerfen und in der Wirklichkeit zu widerlegen bzw. belegen.
Der Theoriekern erhält damit einen großen Wert für die Praxis. Die Strukturen – hier das Kontext-Ebenen-Modell – fungieren als eine Art Brille, mit der die Phänomene anders gesehen werden. Die Brille erleichtert das Sehen und verhilft von höherer Ebene aus zur Orientierung in der Praxis. Wichtig zu wissen ist, dass es mehrere Brillen gibt und wir die Brille wechseln können, wenn das Bild mit der alten Brille nicht mehr scharf wird. Die Wirkung von Strukturwissen kann jeder nachvollziehen, der eine gute Mathelehrerin hatte: Auf der Suche nach der idealen Gefäßform, in die das meiste Wasser passt, haben wir in den ersten Schuljahren noch mit Wasser und Messbecher herumprobiert. In höheren Schulklassen folgte dann die mathematische Struktur, die Längenmaße und Volumen ins Verhältnis setzt und uns über den Hochpunkt einer Funktion das ideale Gefäß finden lässt. Funktionen werden zu Strukturen, die uns später die Welt erklären können, wann der Teich vollständig mit Entengrütze bedeckt sein wird, wie lange wir auf das eigene Auto sparen müssen etc. Schon hier versagt unsere Ausbildung zu oft, so dass nicht verwunderlich ist, dass in den nicht-mathematischen Fächern gar nicht erst nach Strukturwissen gefragt wird. Ich würde das gerne ändern. Die kognitive und soziale Entwicklung des Menschen lässt sich in ihrer Struktur erfassen. Wir sollten diese Möglichkeit nutzen.
Einen ersten Versuch habe ich in den letzten Wochen mit einer Studentinnen-Gruppe machen können. Die teilweise schon lange praktizierenden Erzieherinnen kennen aus ihrer Arbeit in der Kita verschiedene Beobachtungs- und Evaluationsinstrumente für den Entwicklungsstand von 0- bis 6-Jährigen. Wir haben uns zwei Tage Zeit genommen, das Kontext-Ebenen-Modell zu verstehen und entsprechend die Begriffe Lernen, Entwicklung und Bildung zu differenzieren. Und es funktioniert. Die Studentinnen haben die Struktur des Entwicklungsprozesses durchschaut und in faszinierender Weise Beispiele aus ihrer Praxis zu den Stufen geliefert. Wir waren uns einig, dass sich Entwicklung mit dem Modell leichter verstehen lässt, als mit dem Blick auf einzelne je nach Entwicklungstabelle verschiedene Beschreibungen, was ein Kind können müsste. Die erstaunlichste Erkenntnis war, dass dieses Strukturwissen nicht zu einer Normierung der Fähigkeiten führt, sondern eine größere Offenheit ermöglicht. Wenn ich weiß, dass ein Kind im Kindergarten auf Stufe 1 die Fähigkeit ausbildet, seine Sinneszeichen zu Wahrnehmungszeichen zu verbinden, dann kann ich alle ähnlichen Versuche als diesen Entwicklungsstand anerkennen, egal welchen Inhalt die Zeichenbildung hat. In den nächsten Modultagen werden wir in Form eines Projektes die vorhandenen Entwicklungspläne analysieren und dazu konkrete Verhaltensweisen von Kindern beobachten, um diese Beispiele in die Struktur zu integrieren, d. h. wir werden die neue Brille einsetzen, um schärfer zu sehen und eventuell Zeichen-Arten noch weiter zu differenzieren.
Ein weiteres Anwendungsfeld stellt für mich die Beratung von Student/innen und Nachwuchswissenschaftler/innen und damit die Aufnahme des Ausgangspunktes meiner Forschungstätigkeit dar. Diese Personengruppe entwickelt sich noch stark, wird also selbst neu. Zudem sind Doktorand/innen diejenigen, die das Neue in ihre Forschungsbereiche einbringen. Beratung durch Hochschullehrer oder externe Berater findet hier in einem doppelten Spannungsfeld statt: Zum einen steht die individuelle Entwicklung des zu Beratenden oft an einem Übergang, zum anderen haben die Forscher/innen mit dem Verstehen und evtl. sogar dem Überschreiten von methodologischen Forschungstraditionen zu tun. Hier ist ein Berater gefragt, der die Strukturen individueller, aber auch wissenschaftstheoretischer Entwicklungen kennt. Ohne das Neue selbst inhaltlich bestimmen zu können, ist der wissenschaftliche Berater ein Geburtshelfer des Neuen. Das Kontext-Ebenen-Modell kann als Hilfsmittel für wissenschaftliche Beratungssituationen innerhalb, aber auch außerhalb der Universität dienlich sein. Dazu muss es aber noch in eine Didaktik übersetzt werden. So wie für die Praxisanwendung im Kindergarten, muss auch für eine Umsetzung in der Hochschule nicht nur ein passendes Beobachtungsinstrument entwickelt werden, sondern auch ein Konzept, wie entsprechende Lern-Arten förderbar sind.
Eines lässt sich für diese Konzepte aus der vorgestellten Struktur schon jetzt ableiten: Transformationen der Regeln der Bedeutungsbildung lassen sich nur aus der bereits bestimmten Struktur rückblickend beschreiben und können nicht für künftige Prozesse bestimmt werden. Transformation fasst nur jenen Begriff, der erklären kann, wie das Neue strukturell entsteht, aber nicht, was das Neue inhaltlich ist.

Berlin, 2014

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